Hüben und Drüben. Gerstäcker Friedrich

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Hüben und Drüben - Gerstäcker Friedrich

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senkte sie ihn wieder zu Boden, und glühende Röthe flog für einen Moment über ihre Züge. War es doch das erste Mal wieder seit ihrer Verhaftung, daß sie sich in Gegenwart einer Frau befand, die sie an das Bild ihrer eigenen Mutter aus früherer Zeit erinnerte. Warum führte man sie nur hierher? weshalb ließ man sie nicht in ihrer Zelle? Sie vergaß ganz, daß der Assessor zu ihr gesprochen und ihr gesagt hatte, der alte Brenner habe ein Geständniß gemacht, welches auch sie angehe und betreffe. Der /81/

      Assessor aber, der wohl merkte, wie theilnahmlos die Gefangene seinen Bericht anhöre, fuhr fort:

      „Er hat nämlich gestanden, daß nicht D u, sondern e r das Feuer in Osterhagen angelegt habe, und ich frage Dich jetzt, weshalb Du Dich damals als Thäterin eines Verbrechens angeklagt, das Du gar nicht begangen zu haben scheinst?"

      „Der alte Brenner?" frug aber plötzlich Valerie, und in dem Moment war jedes andere Bild aus ihrem Herzen verschwunden, und nur die Erinnerung an jenen Abend tauchte hell und klar darin auf. - „Der alte Brenner hat den Schulzenhof angezündet? Der war ja krank und lag in seinem Bett."

      „Krank gestellt hat er sich, ja, aber er war vollkommen gesund und munter, und weil die Leute nicht wußten, daß er sich regen könnte, fiel auch kein Verdacht auf ihn. Man glaubte auch deshalb damals, daß Du die That begangen hättest, weil Du von des Schulzen Frau so schlecht behandelt worden."

      Der Assessor schwieg, weil er meinte, daß die Gefangene jetzt etwas darauf erwidern würde; aber er hatte sich abermals geirrt. Valerie entgegnete keine Silbe und nahm auch die Augen nicht mehr vom Boden empor.

      „Beantworte mir die Frage, Kind," sagte da der Assessor endlich; „wie kommst Du dazu, daß Du Dich damals zu der That bekanntest? Ist es denn nicht besser, frei zu sein, als in einer solchen Anstalt eingesperrt zu bleiben?"

      „Ich hab' es gethan," flüsterte da Valerie leise - „lassen Sie mich wieder fort zu meiner Arbeit - der alte Brenner war es nicht."

      „Valerie!" rief da plötzlich die Dame, die sich nicht mehr halten konnte, indem sie ihre Arme ausbreitete, auf das erschreckt zu ihr emporschauende Mädchen zuflog und sie mit wilder Heftigkeit umschlang - „unglückliches Kind meiner verlorenen, armen Schwester - oh, sprich die Wahrheit - sprich die Wahrheit - hast Du es gethan?"

      Valerie duldete schweigend die Umarmung; sie war wo möglich noch bleicher geworden als vorher, und stand wie in einem halben Traum. Seit ihrer Mutter Tode, die langen, /82/ langen Jahre hindurch, hatte sie Niemand an das Herz gedrückt und geküßt - Niemand sie liebend umfangen - wachte sie denn oder träumte sie - die fremde Frau hatte gesagt: Kind meiner verlorenen Schwester! War denn das - -?

      Leise wand sie sich aus ihrem Arme, drückte sie langsam von sich, und sie mit den großen, dunkeln Augen anschauend, flüsterte sie:

      „Sind Sie denn - sind Sie denn die Schwester - meiner Mutter?"

      „Ja, Valerie - ich bin es," rief die Fremde - „ich bin Marie, Deiner seligen Mutter Schwester, Deine Tante. Oh sprich zu mir, Kind - denke, daß mich die Angst um Dich verzehrt - bist Du es gewesen?"

      Valerie hatte, während die Frau sprach, die Augen von ihr gewendet und lauschte dabei wie auf ein fernes Geräusch. Ihr Antlitz verrieth dabei keine Bewegung als die des Staunens, der Ueberraschung. Da plötzlich, als jene schwieg, rief sie, alles Andere um sich her vergessend, aus:

      „Das waren die nämlichen Laute, das war die Stimme meiner Mutter - oh meine Mutter!" und mit wilder Heftigkeit zu den Füßen ihrer Tante niederfallend, umschlang sie deren Kniee, und Thränen - lindernde Thränen zum ersten Mal wieder seit langen trostlosen Jahren entstürzten ihren Augen.

      „Meine Valerie! Mein Kind!" rief die Fremde bewegt, indem sie sich zu ihr niederbog. „Und so muß ich Dich wiederfinden - oh sage mir nur, ob Du das Schreckliche gethan."

      „Nein, nein, nein, nein!" schluchzte aber das Kind, noch immer ihr Antlitz in ihrem Kleid bergend; „nie, nie habe ich ein Unrecht gethan - es war die erste Lüge, die über meine Lippen kam - aber wo wollte ich hin? - Alles stieß mich fort von sich - Niemand, Niemand auf der weiten Erde hatte mich lieb, und ich - wollte sterben."

      „Oh, Gott sei ewig Lob und Dank!" rief da unter Freudenthränen die fremde Dame, und neben Valerie zu Boden knieend, umschlang sie das zitternde Mädchen mit ihren Armen und küßte wieder und wieder ihr Haupt. Der alte Assessor /83/ aber nahm, ganz in Gedanken, eine Prise nach der andern, und der Director sagte:

      „Hm, das ist ja eine ganz wunderbare, höchst merkwürdige Geschichte und bedarf doch wohl noch einiger Aufklärung." Assesor Buntenfeld aber ging auf ihn zu, nahm ihn unter dem Arm und führte ihn an's Fenster, wo er lange und angelegentlich mit ihm sprach, so daß der alte Herr fortwährend vor Verwunderung dazu mit dem Kopf schüttelte. Eigentlich hatte der Assessor aber nur den Beiden Zeit geben wollen, sich wieder zu sammeln, und als er sich auf's Neue nach ihnen umdrehte, saß die alte Dame auf dem Stuhl, den ihr der Neffe hingerückt, und hielt die neben ihr knieende Valerie fest und innig an sich gepreßt.

      Der alte Assessor war übrigens ein praktischer Mann und wußte außerdem, daß Gefühlsäußerungen nirgends mehr am unrechten Platze sein konnten als in diesen Räumen. Es mußte etwas geschehen, denn eine Wiedererkennungsscene und einfache Betheuerung der Unschuld einer schon Verurtheilten konnte diese nicht so ohne Weiteres befreien.

      Außerdem hatte die Scene jetzt auch lange genug gedauert, und der Director, ein reiner Formenmensch, wäre ihm am Ende ungeduldig geworden. Er rückte sich deshalb einen Stuhl zum Tisch, nahm von dem dort liegenden Papier und forderte dann Valerie auf, ihm jetzt mit klaren Worten die Erlebnisse jenes Abends zu schildern und dabei auf das Bestimmteste auszusprechen, ob sie sich noch jetzt des früher eingestandenen Verbrechens für schuldig bekenne, oder, wenn nicht, weshalb sie früher eine falsche Aussage gemacht. Er litt auch nicht, daß Valeriens Tante ein Wort hineinsprach - er wollte nichts als die einfache Erzählung der Verurtheilten, und die gab ihm auch Valerie mit so schlichten, einfachen Worten, aber so herzerschütternd zugleich in der schmucklosen Schilderung ihres früheren Lebens, ihres trostlosen Verlassenseins, aus welchem sie nur durch den Tod befreit zu werden hoffte, daß die Dame vor Schluchzen kaum dem Gang derselben folgen konnte, und selbst der Assessor wieder ein paar Mal nach der Dose greifen mußte.

      Vor der Hand ließ sich nun allerdings weiter nichts in /84/ der Sache thun, denn der Director konnte natürlich keinen der Sträflinge, was auch immer seine eigene Ueberzeugung gewesen wäre, entlassen - aber sie war trotzdem in guten Händen, denn der alte Assessor versprach ihnen schon für den nächsten Morgen alle nöthigen Papiere, und wenn er die ganze Nacht arbeiten sollte, mit denen sie dann in der Residenz die Freilassung der jedenfalls schuldlos gefangen Gehaltenen erwirken konnten.

      Der Director war allerdings für seine Person noch nicht ganz überzeugt, und er meinte gegen den Assessor, es seien ihm in seiner Praxis schon ganz wunderbare Dinge vorgekommen, die er selber nicht glauben würde, wenn er sie nicht selber erlebt hätte. Aber der Justizminister oder das Ober-Appellationsgericht möchte entscheiden, und er wolle bis dahin dem jungen Mädchen ein besonderes Zimmer und bessere Kost geben, als die übrigen Gefangenen bekämen. Auch sollte sie die Zeit über von der Arbeit frei bleiben. Einen weiteren Verkehr mit ihren Verwandten, bis er genaue Instructionen habe, weigerte er sich aber zu gestatten. Das erlaubte ihm sein Dienst und seine Pflicht nicht, und nur die ersterwähnte Vergünstigung glaubte er unter den bestehenden Verhältnissen verantworten zu können.

      Dabei mußte es natürlich vor der Hand bleiben, und wie schwer sich auch die Fremde jetzt gerade von dem kaum wiedergefundenen Kinde trennte, so geschah es doch in der frohen Hoffnung, die Unglückliche bald, recht bald wieder dem Leben, der Freiheit zurückgegeben zu sehen. Immerhin vergingen indeß noch volle drei Wochen,

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