Hüben und Drüben. Gerstäcker Friedrich
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Читать онлайн книгу Hüben und Drüben - Gerstäcker Friedrich страница 9
Auch unter den übrigen Knechten und Mägden hatte sie keine Freunde, denn sie lachte nie oder ging auf irgend einen der rohen Scherze ein, sondern war immer nur still und verschlossen bei ihrer Arbeit, so daß man kaum eine Antwort aus ihr heraus bekommen konnte. Sonntag Nachmittags, wenn sie die Erlaubniß einmal bekam, auszugehen, wanderte sie dann allein auf den Kirchhof hinaus und besuchte das Grab ihrer Mutter, und dort konnte sie Stunden lang mit gefalteten Händen sitzen und den kleinen Hügel anschauen. - Aber sie weinte nie, und nur manchmal sang sie mit einer glockenhellen Stimme kleine schwermüthige Lieder, die man aber im Dorf nicht kannte und die sie noch von ihrer Mutter gelernt haben mußte. Sobald sie aber nur merkte oder selbst Verdacht schöpfte, daß sie belauscht wurde, schwieg sie augenblicklich still.
Die einzige Freundin, die sie im Dorfe hatte, war die alte Nachbarin ihrer Mutter, die sie jedesmal, sobald sie vom Kirchhof kam, besuchte; auch beim Gemeindehaus ging sie manchmal vorüber, um ihrem alten Beschützer guten Tag zu sagen. So viel sie dieser aber auch ausfrug, wie es ihr ginge und wie sie behandelt würde, so klagte sie ihm nie ihre Noth und behauptete immer: gut. Aber der Alte wußte es besser; erstlich kann so etwas nie geheim gehalten werden, denn ein paar Mägde, die mit der Schulzin Streit gehabt und den Hof verließen, erzählten es im Dorfe weiter, wie hart sie mit dem armen Kinde umgehe, und dann zeigte es auch schon ihr ganzes abgehärmtes Aussehen deutlich genug.
„Und was Du für rothe Ränder um die Augen hast, Kind," sagte der Alte kopfschüttelnd. „Gott straf' mich, ich /34/ glaube, die hoffärtige Hexe läßt Dich noch blind bei ihrer magern Oelfunkel nähen."
„Es ist nur eine Erkältung, Herr Brenner."
„Von - ich hätte bald 'was gesagt," knurrte der Alte, „mach' Du mir 'was weis, willst Du? Herr Gott, was ich für eine Wuth auf den Lump, den Schulzen, habe! - umbringen könnt' ich den Schuft. Weißt Du denn, daß er neulich in der Gemeinde den Vorschlag gemacht hat, mich aus dem Gemeindehause zu stoßen, weil ich immer Geld hätte und mich selbst ernähren könnte? Die andern Bauern wollten nur nicht, aber der nichtsnutzige Halunke hätte mich mit Vergnügen auf die Straße gesetzt."
„Er ist Ihnen nur böse wegen meiner, Herr Brenner," sagte Valerie scheu; „oh, wie mir das leid thut!"
„Deinetwegen, nein wahrhaftig nicht," beruhigte sie der Bänkelsänger, „das ist eine ganz andere alte Geschichte, und unsere Freundschaft schreibt sich aus weit früherer Zeit, aber - er kennt mich, und spricht nicht gern davon - was auch das Beste ist, denn solch' alte Dinge aufrühren, thut selten gut."
Valerie ging dann nach solcher Unterredung still nach Hause. Brenner aber ließ sein Ingrimm keine Ruhe, und er verfiel auf eine andere, ihm ganz eigenthümliche Art, den Schulzen zu ärgern.
Seine Mordgeschichten hatte er nämlich fertig, und die Leinwand war aus beiden Seiten, zwei verschiedene Schreckensfälle behandelnd, angemalt. Diese spannte er kunstgerecht auf, holte sich eine lange Stange aus dem nahen Walde und stellte sich nun damit vor des Schulzen Haus auf, um sie abzusingen.
Natürlich liefen die Knechte und Mägde in allem Jubel heraus und hörten zu, und als der Schulze nach Hause kam, war kein Mensch bei der Arbeit. In allem Grimm wollte er den „Künstler" auch fortjagen, aber dieser behauptete, er bettele nicht oder singe nicht für Geld, er treibe die Sache nur zu seinem Vergnügen, aus alter Anhänglichkeit an sein Geschäft - er müsse eine Beschäftigung haben, wenn er hier in dem elenden Nest nicht wahnsinnig werden solle, und das könne ihm kein Mensch verwehren. /35/ Die übrigen Bauern, von denen natürlich auch manche den Schulzen nicht leiden mochten, gaben ihm Recht oder sahen wenigstens keinen Grund, weshalb man dem Manne verwehren sollte, auf der Straße zu singen oder sein Bild zu zeigen - verlangte er doch nicht einmal etwas dafür, und der Schulze mußte sich, ob er wollte oder nicht, der Majorität fügen.
So verging ein volles Jahr, und Valerie hatte jetzt zum ersten Mal, wenn auch nur geringen Lohn für ihre Arbeit bekommen. Was sie aber konnte, - denn sie hielt jetzt etwas auf wenigstens reinliche und unzerrissene Kleidung -, sparte sie zusammen, bis sie dem Bänkelsänger ihre Schuld abtragen konnte, und wenn es dieser auch nicht nehmen wollte, weil er behauptete, daß er es doch vertränke, ließ sie nicht nach, bis sie die Schuld von ihrem Herzen wußte.
Die Verhältnisse im Hause des Schulzen wurden aber mit jedem Tag schlimmer; der Mann war selber in Schulden gerathen und dadurch mürrisch und verdrießlich, die Frau natürlich nicht besserer Laune, und wer das Alles entgelten mußte, war niemand Anderes als die unglückliche Waise.
Valerie zeigte aber, daß sie nicht mehr das arme unterdrückte und widerstandslos mißhandelte Kind von früher sei. Eines Sonntags, als sie wieder auf den Nachmittag frei bekam, ging sie nicht auf den Kirchhof, sondern in die nächste Stadt, und suchte und fand dort einen andern Dienst bei einer Herrschaft, die sie jedenfalls von der Tyrannei der Schulzenfrau befreite. Diese war aber außer sich, als das junge Mädchen nach Hause kam und ihr für den Ersten nächsten Monats die Stelle aufkündigte. Die „Frechheit" und „Undankbarkeit", wie sie es nannte, war zu bodenlos, und Valerie hatte, da sie nichts dagegen ausrichten konnte, von dem Tag an die Hölle auf Erden.
Sie ertrug Alles still, sie murrte, sie klagte nicht und nie kam eine Thräne in ihre Augen - das Kind hatte verlernt zu weinen. Nur bleicher und abgehärmter wurde sie mit jedem Tag, so daß es selbst dem alten rauhen Brenner auffallen mußte, und dieser sich soweit vergaß, dem Schulzen in das eigene Haus zu rücken, um ihm Grobheiten zu machen. /36/ Das war freilich gefehlt. Dieser rief einfach seine Knechte und ließ ihn aus der Thür werfen, und der alte Bänkelsänger lief nach Haus und wurde vor Aerger krank.
Er legte sich wenigstens in sein Bett, ließ den Bader kommen und erklärte ihm, daß er ein Gallenfieber hätte und Medicin verlange.
Der Bader konnte allerdings nichts Derartiges an ihm entdecken, war aber doch seiner Sache nicht gewiß und gab ihm eine Medicin, die den Alten so krank machte, daß er behauptete, es wäre sein Letztes, und sie sollten ihm den Tischler schicken, daß der das Maß zu seinem Sarge nähme.
Zwei Tage darauf zog Valerie von dem Haus des Schulzen ab, und der letzte Abend war der schlimmste von allen, denn des Schulzen Frau behauptete, Valerie habe ihr eine silberne Schnalle gestohlen, die sie nirgends finden konnte und die das junge Mädchen absolut versteckt haben sollte. Diese leugnete allerdings, auch nur das Geringste davon zu wissen, aber das half nichts; alle ihre Sachen wurden untersucht, und die Frau schlug sie so unbarmherzig, daß sie die blutigen Spuren an Gesicht und Nacken davontrug.
Das aber war zu viel für das arme Kind - nicht eine Stunde wollte sie länger in diesem Hause bleiben, und trotz des schon vorgerückten Nachmittags schnürte sie ihr kleines, auseinander gerissenes Bündel wieder zusammen und verließ, ohne Abschied von den Bewohnern zu nehmen, den Schulzenhof.
Vorher mußte sie freilich noch von der Mutter Grab und ihren Bekannten Abschied nehmen. Sie ging auch zu ihrer alten Freundin, der Nachbarin, vor und dann zu dem Bänkelsänger, der hart und fest auf seinem Bett lag; aber er hatte eine Lampe neben sich stehen und las in einem Buch, und als er das geronnene Blut in dem Gesicht des Mädchens bemerkte, und Valerie ihm diesmal die Ursache nicht verschweigen konnte, wollte er wie rasend in seinem Bett auffahren. Aber die alte Schulmeisters-Wittwe kam gerade herein, um ihm seine Suppe zu bringen, und wieder auf sein Kissen zurückfallend, sagte er:
„Oh Du heiliges Kreuzdonnerwetter, daß ich jetzt auch /37/ gerade an