Die Pferdelords 06 - Die Paladine der toten Stadt. Michael Schenk
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Niyashaar in den Schutz der steilen Felsklippe ducken, die hoch über ihm
aufragte. Es war eine klare Nacht, und in der eiskalten Luft funkelten die
Sterne besonders hell. Nur fern im Nordwesten zog eine einsame Wolkenbank
über den Himmel, sanft angestrahlt vom Licht des Mondes.
Es war ungewöhnlich kalt, und die elfischen Wachen auf der Wehrmauer
von Niyashaar hüllten sich eng in ihre Umhänge. Doch selbst die besondere
Machart des elfischen Tuches konnte sie nicht vor dem beißenden Wind
schützen, der durch jede Öffnung zog und leise pfeifend um den hohen Turm
strich, auf dessen Spitze das ovale Banner des Hauses Tenadan wie ein Brett
im steten Luftstrom stand.
Elgeros, Bogenführer des Hauses Tenadan und Kommandierender der
Hundertschaft, fand keinen Schlaf. Er hatte im obersten Stockwerk des
Verteidigungsturms auf dem Bett gelegen, die Hände im Nacken verschränkt,
und war vollständig angekleidet. Obwohl er die Decke über seinen Körper
gezogen hatte, war ihm kalt. Im Kamin des Turmzimmers brannte kein
wärmendes Feuer, und auch in den Unterkünften waren die Feuerstellen kalt
geblieben. Einige der Männer hatten gemurrt, aber Elgeros hatte darauf
bestanden, in der Nacht keine Feuer und Lampen zu entzünden. Irgendetwas
war da draußen, und es war den Elfen feindlich gesinnt. Ein Licht würde weit
in die Nacht hinausstrahlen, und der Bogenführer wollte den unbekannten
Feind nicht unnötig auf die neue Besatzung von Niyashaar aufmerksam
machen. Die verschwundene Hundertschaft, welche die Anlage zuvor besetzt
gehalten hatte, ging ihm nicht aus dem Kopf. Die Disziplin der elfischen
Krieger war zu groß, als dass die Truppe Niyashaar einfach aufgegeben hätte.
Sie würde auch nicht versäumt haben, einen Boten zu den Häusern zu
schicken. Nein, die Elfen hier waren von irgendetwas überrascht und
überwältigt worden. Elgeros glaubte nicht, dass es Orks gewesen waren.
Diese Bestien hätten ihre Spuren hinterlassen. Aber wer war dann für das
Verschwinden der Elfen verantwortlich? In der nördlichen Öde existierte
nichts mehr, was einer Hundertschaft ihrer Bogen gefährlich werden könnte.
Und das Volk des Eises, das hoch im Norden lebte, ging nicht so weit nach
Süden, denn es fürchtete die Öde. Oder hatten es die Eismenschen doch
gewagt?
Elgeros fand einfach keine Ruhe. Über sich hörte er gelegentlich das leise
Scharren von Füßen, wenn die beiden Elfen auf der Turmplattform ihren
Standort wechselten. Sie bewegten sich öfter, als es üblich war. Vielleicht
wegen der Kälte oder weil auch sie beunruhigt waren …
Er seufzte leise und richtete sich auf. Sein Blick schweifte durch den
Raum. Die mit Klarstein verschlossenen Fensteröffnungen ließen genug
Sternenlicht herein, um sich mühelos orientieren zu können. Er brauchte
keine Lampe zu entzünden, als er sich erhob und zu dem Schreibtisch
hinüberging, der gegenüber an der Wand stand. Von unten hörte er leises
Schnarchen. Er hatte die Hundertschaft aufgeteilt und je zu einem Drittel in
den beiden Unterkünften und im Turm untergebracht. Sollte es einem Feind
gelingen, über die Mauer zu gelangen, würde er so von drei Seiten unter
Beschuss genommen werden.
Mit wenigen Handgriffen legte Elgeros seinen Waffengurt um und
vergewisserte sich, dass der kurze Kampfdolch und das Schwert leicht durch
ihre Scheide glitten. Dann hängte er den gefüllten Pfeilköcher an den Gurt,
legte den Umhang um seine Schultern und griff seinen Bogen. Holz knarrte,
als er durch den Raum schritt und zur Treppe hinüberging. Einer der
schnarchenden Schläfer verstummte für einen Moment. Elgeros hörte das
Ächzen des Schlafgestells und das Rascheln, als der Elf sich herumwälzte,
dann setzte das leise Schnarchen wieder ein. Wenigstens einer seiner Männer
fand in dieser Nacht Schlaf.
Er erreichte die unterste Ebene. Zwei Zehnen der Männer hielten auf Turm
und Mauer Wache, eine dritte Gruppe lag hier unten in Bereitschaft. Die
Männer dösten und wirkten entspannt, aber ihre Köpfe hoben sich sofort, als
ihr Führer den Raum betrat. An ihren Augen konnte Elgeros erkennen, dass
keiner von ihnen wirklich geschlafen hatte. Raubte Niyashaar auch diesen
Männern die nächtliche Ruhe? Oder spürten sie wie er selbst, dass eine
finstere Bedrohung über diesem Ort lag?
Er nickte ihnen mit einem aufmunternden Lächeln zu und verließ den
Turm. Der eisige Wind ließ ihn frösteln, und er zog den Umhang enger um
seine Schultern. Rasch sah er sich um. Vor dem sternklaren Nachthimmel
waren die Wachen gut zu erkennen. Jeder Mann war auf seinem Posten. Vier
Krieger standen direkt am Tor, und er sah, wie sie sich die Hände rieben und
ihre Füße bewegten. Es war wirklich kalt und vielleicht ein Fehler, den
Männern kein wärmendes Feuer zu gönnen. Aber schließlich waren sie
abgehärtete