Narrseval in Bresel. Gerhard Gemke

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Narrseval in Bresel - Gerhard Gemke

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näher als die Hinkende Frida“, meckerte die Oma und wackelte dabei so heftig mit dem Kopf, dass ihr Dutt sich aufzulösen begann, „liegt bald eine Turmlänge tiefer!“

       „Eine bodenlose Frechheit!“, fauchte einer der Buckelsäcke, der Elfriedes Sprichwort aus unerfindlichen Gründen auf sich bezog.

       Wie auch immer. Es kam eh nicht mehr drauf an. Nicht hier auf dem Breselner Marktplatz und nicht heute, denn in Bresel boxte der Bär. Es war Narrseval! Nur der Heilige Urban wusste (vielleicht), warum der Narrseval überall sonst auf der Welt Karneval hieß. Oder Fasching, Fasnacht, Fastelovent. Nur nicht in Bresel. Und warum nur Breselner auf die Idee kamen, sich gräuliche Wunden an die Stirn zu schminken und stinkende Leinensäcke mit merkwürdigem Inhalt über die Schultern zu werfen. Wer dann erriet, was sich in so einem Buckelsack befand, dem winkte Glück im folgenden Jahr. Oder im darauf folgenden. Oder im … ach, weiß der Urban, wie gesagt.

       „Verschwinde mit deiner toten Katze im Sack, du!“, kreischte Oma Sievers zurück.

       Der Buckelsack wurde blass und verschwand hastig hinter dem Kunibald-Brunnen, von dem ihn der eiserne Ritter Kunibald streng musterte. Und Elfriede überlegte, in welchem Jahr ihr jetzt wohl das Glück winken würde. So viele Jahre standen ja nicht mehr zur Auswahl.

       Die plötzliche Kreischpause nutzte Freddie, rubbelte an seinem Rummelpott, und krähte:

      So sitze ich heute und sing meine Lieder

      im Chor mit der schreienden Elster

      zum Rummelpott, hoch in Sankt Urbans Turm,

      ach, seht meine zitternden Glieder –

       über mir schlägt die Hinkende Frida.

       RAWOMMM! Hoch oben vom Urbanturm.

       Ein Aufschrei über dem Markt. Dann, als hätte jemand (Sankt Urban selbst?) bei einem durchgedrehten Kinderkarussell den Stecker gezogen, herrschte schlagartig Stille auf dem Platz. Wie von einem gemeinsamen Faden gezogen klappten sämtliche Köpfe in die Nacken und ein paar hundert Hälse reckten sich in die Höhe.

       Einige meinten, die Kirchturmspitze würde noch zittern. In Zeitlupe wie ein böses Omen sackte der Wetterhahn zur Seite. Ein angstvoller Seufzer kroch über den Markt. Dann ertönte ein gellender Schrei und eine zerzauste Elster schoss pfeilgerade aus dem runden Dachfenster, überschlug sich im Flug, stürzte herab, direkt auf Elfriede Sievers zu, fing sich wie von Elfriedes starrem Blick gebannt kurz vor dem erwarteten Zusammenprall, und flatterte davon.

       Und krächzte. Hässlich und laut.

       Als ob der Vogelschrei die Breselner ins Leben zurück gerufen hätte, begann sich das Narren-Karussell wieder zu drehen. Ein Buckelsack schimpfte „Nein, ich habe keinen Stuhl im Sack!“, Kinder weinten, die halbe Blaskapelle schaffte einen Einsatz, und Bäcker Blume krakeelte „Kauft Lebkuchen-Nasen!“

       Nur Freddie starrte mit offenem Mund zum Eingang des Sankt-Urban-Turms und sah Kommissar van der Velde in der Tür verschwinden, dicht gefolgt von Kriminalassistent Hinrich und Pastor Himmelmeyer.

       Und war es wirklich nur Freddie, der wenige Augenblicke darauf zwei Buckelsäcke aus eben dieser Tür herauskommen sah? Einen langen Dürren, der mit schnellen Schritten den Marktplatz überquerte, gefolgt von einem Kugelförmigen, der mit doppelter Beinarbeit das Tempo des Langen zu halten versuchte. Dann hatte sie das Gewühl der Lachweiber und Hobelitze, Brandkasper, Schabracken, Hohnepipel, Karusos und Forzheimer, der Käsebohrer und Schwarzmaler und was der Breselner Narrseval noch zu bieten hatte, verschluckt.

       Freddie rieb sich die Augen. Er blickte an Sankt Urban hinauf. Sah den Kommissar auf dem Balkon, der den Turm auf halber Höhe umkreiste, nach Luft schnappen und wieder im Inneren verschwinden. Und den Wetterhahn, der kopfunter am Turmkreuz hing, als wollte er einen Blick in das Fensterloch werfen, aus dem die Elster katapultiert worden war. Und hinter diesem Fensterloch …

       Jan klammerte sich verzweifelt an die armdicke schmiedeeiserne Stange, den Klöppel der riesigen Glocke, die ihn umhüllte wie ein schützender Mantel. Oder ein tödliches Gefängnis. Ein beinahe tödliches. Eben noch hatte sie dort oben gehangen, in der Mitte der Turmspitze. Jan war in seiner Not auf den niedrigen Tisch, der darunter stand, gesprungen, hatte den Klöppel gepackt, sich in Windeseile nach oben gehangelt, und die Füße auf die kugelförmige Verdickung am unteren Ende des Klöppels gestützt. Und hatte mit angehaltenem Atem den Dicken beobachtet, der unter ihm schwitzend und keuchend diesen Stein in das Mauerwerk drückte. Stein Nummer 5C! Und dann … RAWOMMM!

       Der Dicke hatte verdammt Glück gehabt, dass die Glocke ihn nicht erschlagen hatte. In letzter Zehntelsekunde war er zur Seite gerollt. Die Kugel, auf der Jan gestanden hatte, war beim Aufprall abgesprungen und wie von einer Kanone gefeuert davon geschossen, nur einen Wimpernschlag bevor der Rest der Glocke ringsum auf die Bodendielen krachte – ein Wunder, dass die hielten. Und der Klöppel hatte die hölzerne Tischplatte wie Pappe durchbohrt.

       Jetzt war der Dicke fort, keine Frage. Jans Finger tasteten an der immer noch summenden Glocke entlang, fühlten die Schrift. Jan wusste, was dort stand.

       Fridun borge dir, Frida fuoret den tod.

       Etwas pickte von außen an das Metall. Tack-tack-tack. Die Glocke sang mit. Es pickte wieder. Plötzlich, ohne dass er es eigentlich wollte, schrie Jan, schrie wie besinnungslos und hämmerte mit beiden Fäusten gegen die bronzene Wand. Er saß hier und hatte überlebt. Er ja. Aber Robin? Jetzt war alles zu spät. Da hätten sie früher dran denken müssen. Viel früher.

       Doch wer hatte das schon ernst genommen? Robins blasses Gesicht und alles. Was hatten sie von Robin gewusst? Klar, er war der neue Bassmann von Schnürs Enkel , der besten Rockband zwischen Augsburg und Ulm, die heute nicht spielen wollte, ohne Bass. Aber sonst?

       Jan lehnte die Stirn gegen die kalte Glocke. Bald würde man ihn finden und befreien. Es war vorbei. Er musste nur noch mit der Erinnerung leben. Der Erinnerung, die beim letzten Narrseval begann. Vor einem Jahr. Dort unten hatten sie gestanden, am Kunibald-Brunnen. Freddie und Lisa und Jan. Nur Jo fehlte zu ihrem Kleeblatt, selbst Lisa wusste nicht, wo sie heute steckte. Um sie herum tobte der Frohsinn mit all den Buckelsäcken und Lachweibern, Hobelitzen, Brandkaspern, Forzheimern und Weiß-der-Geier. Und Bäcker Blume, der seine Lebkuchennasen loswerden wollte, das Stück zu Eins-Fünfzig.

       Der übliche wilde Breselner Narrseval. Von dem ein paar verwirrende Fäden ausgingen, die sich im Laufe des Jahres zu einem Strang bündelten und wie eine mörderische Schlinge zusammenzogen.

       „Scheiß Musik“, hatte Freddie geschimpft.

       „So eine elende Scheiß...“

       „Halt's Maul!“ Der Tubaspieler der Schützenkapelle hatte wohl nicht gut geschlafen. Jedenfalls konnte Freddie von Glück sagen, dass er nicht kopfüber

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