Leben - Erben - Sterben. Charlie Meyer

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Leben - Erben - Sterben - Charlie Meyer

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hatte Verstärkung geschickt. Noch immer kreisten Hubschrauber über der Stadt, der Klütwald wurde mit Suchhunden durchkämmt, als ob sich die Täter in einem Baumhaus versteckt hielten, und die Autofahrer klagten über verschärfte Radarkontrollen an den Ausfallstraßen. Die Kripo schien von der seltsamen Schlussfolgerung auszugehen, wer vor einem Mord nicht zurückschrecke, sei auch skrupellos genug, Geschwindigkeitsbegrenzungen zu überschreiten und obendrein so dummdreist, die Tatwaffe oder die goldenen Kerzenständer im Handschuhfach aufzubewahren. Und ich taperte zu Hause im Storchengrund durch meine Dachgeschosswohnung und fragte mich, ob man mir all diese horrenden Rechnungen in voller Höhe anlasten würde, wenn mich die Polizei schnappte und feststellte, dass das angebliche Diebesgut nichts weiter als ein ausgestopfter Hund war. Mit jedem Tag, den ich verstreichen ließ, ohne mich zu melden, mauerte ich mich in meiner Sackgasse weiter ein.

      Mein umlackiertes Fahrrad stand noch immer im Keller. Paul, dem jungen Mann von unten erzählte ich, ich habe das alte Rad endlich verschrottet, weil unter meinem Gewicht der Rahmen weggebrochen sei und mir auf dem Flohmarkt ein neues besorgt. Dasselbe teilte ich Frau Reschke mit, die auf einen Plausch hochkam, um sich über die Lautstärke des Fernsehers zu beschweren. Tags darauf fand ich in meinem Briefkasten diverse Rezepte für eine Diätkur vor. Da mich das ständige Geklingel an meiner Wohnungstür nervös machte, beschloss ich mich in Zukunft lautstärkemäßig ein wenig zurückzuhalten. In meiner Situation konnte ich mir einen Protestmarsch der Nachbarn nicht leisten. An die kupferroten Haare gewöhnte ich mich nur langsam, doch am Samstagmorgen wachte ich auf, blinzelte in den Spiegel und fand sie gar nicht mal so übel.

      Churchill, der ausgestopfte Hund, verbrachte seine Tage im Schlafzimmerschrank. Abends kramte ich ihn heraus, und er durfte mir beim Fernsehen oder Lesen Gesellschaft leisten. Schließlich war er außer mir das einzige Lebewesen in der Wohnung - wenn auch ein totes. Ich hatte ihn vom Kopf bis zu den wuscheligen Pfoten einer eingehenden Untersuchung unterzogen, ihn umgedreht und sogar geschüttelt, ohne mehr zu erreichen, als dass ihm ein paar Haare ausfielen. Es klimperten keine Golddukaten in seinem Inneren, es gab keine verborgenen Reißverschlüsse im Fell, die bunten Steine am Halsband waren nur Tand, nichts an Churchill ließ sich aufklappen, und soweit ich sehen konnte, hatte ihm auch niemand eine Schatzkarte in die knochenharte Haut tätowiert. Alles, was ich fand, war die lange uralte Bauchnarbe, wo der Präparator den armen Hund wieder zunähen musste, nachdem er Gott weiß, was mit seinen Innereien angestellt hatte. Ich kam zu der Überzeugung, dass Churchill genau das war, was er optisch darstellte: ein ausgestopfter Hund, der niemanden, geschweige denn einen Mörder, zum Töten animieren würde. Warum immer F.C. ihn aus dem Haus geschafft hatte, mit ihrer und Brunos Ermordung konnte er ganz einfach nichts zu tun haben. Meine Phantasie war mit mir durchgegangen. Für den Fall jedoch, dass ich mich irrte und der Mörder irgendwann bei mir vorbeischaute, sollte er den Hund ohne größere Suchaktion schnell finden und noch schneller wieder verschwinden.

      Außerdem hatte F.C. nicht ganz unrecht, in Churchills Gegenwart fühlte man sich etwas weniger einsam.

      Doch Samstag Nachmittag hielt ich es trotz Hund nicht mehr aus. Aus meinem Kühlschrank starrte mir die gähnende Leere entgegen, statt Mineralwasser trank ich mittlerweile frisch Gezapftes aus der Leitung, und anstelle von Toilettenpapier benutzte ich Papiertaschentücher, die nun ebenfalls zur Neige gingen. Ich musste zum Bankautomaten, ich musste einkaufen, ich musste an die frische Luft und mein Leben wieder aufnehmen. In der Samstagszeitung stand etwas Neues. Die Polizei suchte nach einem Hund, der sich zum Zeitpunkt des Doppelmordes eventuell in der Villa aufgehalten haben könnte. Man hatte eine Bürste mit Hundehaaren gefunden. Von einem toten, ausgestopften Hund war keine Rede. Weiterhin schloss die Soko Fiona mittlerweile ein Drama im familiären Umfeld aus.

      Familie? Im Revival war keine Rede von einer Familie gewesen.

      Ich atmete tief durch: Wenn bislang, fünf Tage nach dem Mord, weder mein Name in den Medien noch mein Mörder an der Wohnungstür aufgetaucht war, stiegen meine Chancen, mit einem blauen Auge davonzukommen.

      Entschlossen, aber mit weichen Knien, trug ich mein kornblumenblaues Fahrrad an die frische Luft. Versorgungsmäßig wohnte ich, mit Ausnahme eines kleinen Tante-Emma-Ladens gleich um die Ecke, in einer Gegend der langen Wege. Ich steuerte den Geldautomaten am Brückenkopf an und radelte dann gleich weiter Richtung Penny-Markt am Stadtrand. Aus irgendeinem mir nicht einleuchtenden Grund fühlte ich mich seltsam belebt, geradeso, als stünde ich im Begriff, in eine Achterbahn einzusteigen, die nur darauf wartete, bis ich kopfüber in einem ihrer Loopings hing, um sich vom Strom abzukoppeln. Eine Art masochistisches Prickeln.

      Zu meiner großen Bestürzung zog mein Fahrrad die Blicke der übrigen Verkehrsteilnehmer auf sich. Wie eine Kornblume aus tristem Weizen der Sonne entgegenleuchtet, bildete mein Fahrrad im Grau der Straßen einen Farbfleck, der sich nicht übersehen ließ. Wahrscheinlich leuchteten meine Haare nicht weniger, und gerade eben färbte der Phantomzeichner der Soko Fiona mein Haar rot und mein Fahrrad blau, und der Mörder dachte: Sieh an, deshalb habe ich sie noch nicht gefunden.

      Und doch kam es mir vor, als trüge ich mein Kinn unter beziehungsweise über der neuen Farbe ein wenig höher.

      Aus einem der offenen Fenster des Geburtshauses gegenüber vom Supermarkt quäkte ein Baby, und ich fragte mich, was wohl später einmal aus ihm werden würde, ein Gedanke, der mir seit einem Jahr Kindern gegenüber immer öfter kam. Bei Eikos Geburt hatte ich lediglich gedacht: Hauptsache er bleibt gesund und wird glücklich. Er war gesund und glücklich (hoffte ich jedenfalls), doch offenbar waren meine Ansprüche mittlerweile gestiegen. Er sollte gesund und glücklich sein und einem Ziel entgegenstreben, das sich nicht durch die Kraft seiner Beine, sondern durch die Stärke seines Geistes erreichen ließ. Mehr verlangte ich doch gar nicht für meine eigene Zufriedenheit.

      Während ich mein Fahrrad anschloss, warf ich einen misstrauischen Blick in die Runde. Irgendwo hier draußen musste doch ein heller Kopf lauern, der ein frisch lackiertes Hollandrad mit einem Hollandrad in Verbindung brachte, das wegen Mordes gesucht wurde. Doch ich stieß nur auf lächelnde Gesichter und ab und an ein freundliches Nicken. Die neue Farbe heiterte offenbar die Gemüter auf, und dieser Effekt wiederum heiterte auch mich auf. Es war das erste Mal, dass ich mich als Wohltäter der Gemeinschaft betrachten durfte, und mein Ego schrie nach mehr.

      Trotzdem gaben am Obststand meine Beine nach, als sich mir von hinten eine Hand auf die Schulter legte. In meinem Kopf klirrten Handschellen.

      „Delia Pusch? Ich kann’s kaum glauben, aber du bist das wirklich! Mensch - wie geht‘s dir denn? Was machst du so? Erzähl doch mal.“

      Ich starrte längere Zeit in das strahlende, braun gebrannte, männliche Gesicht mit der langen Narbe quer über der rechten Wange, und da war auch nicht das leiseste Klicken in meiner Erinnerung. Die erwartungsvolle Pause dehnte sich.

      „Mensch! Hallo!“, stieß ich schließlich überschwenglich hervor. „Wo kommst du denn her? Es muss ja Ewigkeiten her sein, seit wir uns das letzte Mal begegnet sind.“ Ich wartete und hoffte, er möge die Hand noch ein wenig länger auf meiner Schulter lassen. Doch er zog sie weg.

      „Du erinnerst dich nicht mehr an mich, oder?“, fragte er enttäuscht. „Dabei war ich früher so verschossen in dich, dass mich meine Mutter am liebsten im Keller eingesperrt hätte.“

      „Ein Vorschlag zur Güte: du hilfst mir auf die Sprünge, gehst raus, kommst wieder rein, und wir spielen die Szene noch einmal.“

      „Derek Schaper aus deiner Nachbarklasse. Die Lateiner, du weißt schon.“

      „Ach?“, brachte ich dümmlich über die Lippen. Waren die Lateiner nicht die pickeligen Streber gewesen, um die jedes anständige Mädchen einen großen Bogen machte? Ich jedenfalls konnte mich an keinerlei Kontakte erinnern, und wenn dieser interessant aussehende Kerl jemals in mich verliebt gewesen war, hatte mich irgendein eifersüchtiger

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