Leben - Erben - Sterben. Charlie Meyer

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Leben - Erben - Sterben - Charlie Meyer

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ernährt sich übrigens auch makrobiotisch und baut auf dem Balkon ihren eigenen Hanf an.“

      „Hanf? Wozu Hanf?“ Derek klang so irritiert, wie ich ihn haben wollte.

      „Cannabis sativa. Sie hält sich jedes Jahr ein paar Pflanzen, und im Herbst, wenn sie die Blätter getrocknet hat, machen wir so etwas wie eine Hausfête.“ Während die roten Flecken auf meinen Beinen kleine Blasen warfen, krümmte ich mich in pubertärem Vergnügen. Die Vorstellung, wie Frau Müller, Frau Reschke, der schüchterne Paul und ich im Schneidersitz auf irgendeinem Balkon herumsaßen und einen Joint von Mund zu Mund weiterreichten, war jede Lüge wert.

      „Hä? Wie alt sind denn die Leute bei dir im Haus?“

      „Frau Reschke ist vielleicht zweiundsiebzig, Frau Müller um die fünfundsechzig und der Kleine von unten emotional etwa sechs bis sieben Jahre alt. Vom Äußeren her würde ich auf dreißig tippen.“

      „Machst du das gern?“ Seine Stimme klang angespannt. „Ich meine, die Leute so zu veralbern?“

      „Nein! Nur in Zeiten, wenn es sonst nichts zu lachen gibt.“ Ich dachte einen kleinen Moment nach und seufzte. „Okay, tut mir leid. Nimm’s nicht persönlich, aber meine häusliche Situation ist etwas angespannt. Ich erzähle es nachher. Oder nein, vielleicht lieber nicht, sonst lasse ich meine Wut versehentlich an dir aus oder stelle dem Kellner ein Bein.“

      „Sehen wir uns trotzdem um neun?“

      „Wie du willst. Du kennst ja den Spruch mit den Risiken und Nebenwirkungen.“

      Ich konnte es nicht leugnen, nach diesem launischen Telefonat fühlte ich mich entschieden besser. Dass Derek noch immer mit mir ausgehen wollte, ließ eine hohe Toleranzgrenze vermuten. Er würde sie eventuell brauchen, die eine oder andere meiner Attacken abzupuffern. Ob er wohl surfte oder segelte? Die Bräune seiner Haut, die gebleichten braunen Haare, der durchtrainierte Körper. Um ein Haar tropfte mir Spucke aus dem Mund, und beschämt schlich ich ins Badezimmer, lauwarm duschen. Doch beim Anblick eines Adonis zu sabbern, schien mir im Nachhinein gesünder, als einen ausgestopften Hund zu umhalsen.

      Viertel vor neun - ich stand gerade vor dem Spiegel und versuchte meiner grünen Bluse etwas abzugewinnen, was die geblümte nicht hatte - klingelte das Telefon erneut. Ich hob ernüchtert ab. Das Wunder von Hameln war vorbei, ich durfte in meinen alten Kartoffelsack zurückkriechen.

      „Macht nichts, dann eben ein anderes Mal“, blaffte ich in den Hörer, ohne Derek zu Wort kommen zu lassen und legte wieder auf. Ich blickte auf die Uhr. Na also - beinahe schon Zeit ins Bett zu gehen.

      Das Telefon klingelte erneut.

      „Ich bin nicht sauer, keine Angst, ich muss sowieso noch mit dem Hund Gassi gehen.“

      „Ich hab‘ mir schon gedacht, dass du früher oder später auf den Hund kommst. Allerdings habe ich nicht geglaubt, dass man mit dieser Art von Hund Gassi gehen könnte. “

      „Uwe?“ Mir sackte das Herz in die Hose. „Ist was mit Eiko? Hatte er einen Unfall?“

      „Nein, hatte er nicht, hör bloß mit deinem Getue auf. Glaubst du, es interessiert ihn, ob’s einem von uns dreckig geht? Ich wollte dir nur Bescheid geben, dass ich meine Überweisungen an ihn eingestellt habe. Ich bin ...“

      „Du hast was? Bist du jetzt völlig meschugge geworden? Du kannst ihm nicht einfach die Gelder streichen. Der Junge ist dein Sohn. Sprich mit ihm, verdammt noch mal. Stell ihm ein Ultimatum, wenn’s denn sein muss. Ja, genau, die Idee ist vielleicht gar nicht so übel. Sag ihm, du stellst deine Zahlungen ein, falls er sich nicht binnen einer Woche zu einem Gespräch mit uns beiden einfindet. Meinetwegen irgendwo auf neutralem Boden. Du kannst ihn jedenfalls nicht ohne Vorwarnung in die Wüste schicken. Das ist mies, und damit erreichst du wahrscheinlich nur, dass er uns noch öfter beklaut. Wo liegt da der tiefere Sinn?“

      „Du tust es immer. Immer und immer wieder, und wenn ich in hundert Jahren bei dir anrufe, wirst du es wieder tun. Du ...“

      „Was denn? Ich weiß überhaupt nicht, wovon du redest?“

      „Mich zu unterbrechen!“, stieß Uwe mit mühsamer Beherrschung hervor. „Seit wir uns kennen, tust du es. Und nicht nur mich, o nein, den Rest der Welt ebenfalls. Frag doch deinen Sohn, warum er auf und davon ist.“

      „Sobald ich ihn erwische, werde ich das tun“, entgegnete ich bissig.

      „Du bist eine absolut egomanische, selbstgefällige und ...“

      „Schon gut, schon gut, diese Leier kenne ich mittlerweile auswendig. Wolltest du nicht endlich zur Sache kommen? Oh, warte mal, bei mir klingelt‘s.“

      „Bei dir piept’s“, brüllte es aus dem Hörer, als ich ihn auf dem Tisch ablegte. Ich sprintete den Flur hinunter, drückte den Türöffner, riss die Wohnungstür auf und sprintete zum Telefon zurück. Eine Sache von drei Sekunden, doch Uwe murrte, das sei genau das, was er meinte. Unterbrechen. Abwürgen. Missachtung eines jeden anderen in der ganzen weiten Welt - außer mir selbst natürlich.

      „Fass dich kurz, ich krieg Besuch. Für die ganze weite Welt habe ich momentan keine Zeit.“

      „Kommt dein Pizzabäckerfreund, damit ihr zusammen was in den Ofen schiebt?“, fragte er gehässig.

      „Hast du deine kleine Freundin für heute Nacht schon aufgeblasen?“, fragte ich angewidert zurück, während Dereks Schritte geradezu dämonisch durchs Haus hallten. „Können wir jetzt zur Sache kommen? Ich will gleich weg.“

      „Hallo, jemand zuhause?“, rief Derek im Flur.

      „Hier hinten, komm rein“, brüllte ich zurück und gleich darauf ins Telefon: „Verdammt noch mal, Uwe, was willst du?“

      Als Derek in der Tür des Arbeitszimmers erschien, deutete ich auf den Schreibtischstuhl und mit vagen Kopfbewegungen eine Entschuldigung an. Er zog es vor, den Flur auf und ab zu schlendern. Dieser Mann war in seiner feinfühligen Rücksichtnahme eindeutig nicht von dieser Welt. Ich wünschte nur, er hätte seine Cowboystiefel zu Hause gelassen.

      „Gut, da du offenbar Wichtigeres zu tun hast, als mit mir über das Schicksal deines Sohnes zu beraten, fasse ich mich kurz. Ich habe Eiko die Gelder gestrichen, weil mein Sohn seit beinahe einem Jahr nichts mehr mit mir zu tun haben will. Schlimmer noch, er beklaut mich dauernd. Zelt, Fernrohr, Lebensmittel und jetzt der Laptop. Du weißt, dass ich eigentlich ein dickes Fell habe, aber jede Mensch erträgt nur ein bestimmtes Quantum an Ablehnung. Ich ...“

      „Du und dickes Fell, ja? Ich weiß nicht, wer von euch beiden die größere Mimose ist. Der Vater oder der Sohn. Außerdem bist du unterhaltspflichtig, und Eiko könnte dich theoretisch verklagen.“

      „Würdest du mich bitte zu Ende reden lassen?“ Kleine bedeutungsvolle Pause. „Danke vielmals. Sollte sich Eiko entscheiden, bei dir wieder einzuziehen, werde ich meinen Verpflichtungen wie gehabt nachkommen. Und falls er mich verklagen will - bitte, ich werde ihm mit Vergnügen vor Gericht gegenübertreten. Das dumme Gesicht des Richters möchte ich um nichts auf der Welt verpassen, wenn er Eiko fragt Wo wohnen Sie, junger Mann? und dein Sohn antwortet Meinen Sie letzte Nacht, morgen oder in zwei Wochen?“ Er lachte bitter auf, und irgendwie reichte die Kapazität meiner Lunge nicht aus, um tief durchzuatmen. Das Hinterhältige an der Rache unseres Sohnes - wofür auch immer er uns bestrafte - war ihr reibungsloses Funktionieren.

      „Hör

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