Leben - Erben - Sterben. Charlie Meyer

Чтение книги онлайн.

Читать онлайн книгу Leben - Erben - Sterben - Charlie Meyer страница 18

Автор:
Серия:
Издательство:
Leben - Erben - Sterben - Charlie Meyer

Скачать книгу

Du warst damals einen Kopf größer als ich. Mich hättest du psychisch wie physisch mit der Lupe suchen können. Leider fing ich erst nach dem Abi zu wachsen an. In beiderlei Hinsicht.“ Er lächelte. Einer seiner unteren Schneidezähne war abgebrochen, aber ansonsten ließ sich nicht meckern. Die Bizepse, Trizepse und Brustmuskeln wölbten sich in gerade richtigem Maße unter seinem T-Shirt, der Bauch war platt und der Hintern knackig, falls die engen Jeans das Gesamtbild nicht verfälschten. „Tja“, er zögerte. „Hat mich jedenfalls gefreut, dich mal wiederzusehen. Ich muss noch den Kühlschrank in meiner neuen Wohnung auffüllen, damit ich am Wochenende was zu beißen habe. Bisher habe ich in Berlin gelebt, aber meiner Mutter geht’s nicht so gut. Krebs.“ Er schluckte. „Na ja, jedenfalls bin ich wieder in Hameln.“

      „Es tut mir Leid für deine Mutter, aber ich finde es klasse, dass du dich um sie kümmerst. Lebt dein Vater noch?“ Ein nicht übel aussehender, durchtrainierter Kerl mit tadelloser Figur - ohne Ehering - der sein eigenes Großstadtleben der krebskranken Mutter opferte? So etwas war mir schon lange nicht mehr untergekommen, und mir schoss sofort durch den Kopf, dass an diesem Idealbild eines Mannes irgendetwas nicht stimmen könne. Wahrscheinlich stellte sich heraus, dass er schwul war.

      Er nickte und verzog das Gesicht. „Schon, aber er hat Alzheimer. Es gibt Tage, da lässt ihn sein Gedächtnis derart im Stich, dass er heulend in der Ecke steht. Manchmal weiß ich wirklich nicht, wer von den beiden meine Hilfe dringender braucht.“ Diesmal war es an mir zu schlucken. Der arme Kerl. Da jammerte ich meinem durchgeknallten Sohn hinterher - der immerhin gesund und glücklich war - und Derek hatte sich selbst dazu verdonnert, das langsame Sterben seiner Eltern mitanzusehen.

      „Tut mir Leid“, echote ich stupide. „Aber du wohnst nicht bei deinen Eltern, oder? Ich frage nur, weil du eben was von einer eigenen Wohnung gesagt hast.“

      „Nein, nein, ich bin nur tagsüber da. Meine Eltern wohnen in einem kleinen Häuschen in der Nordstadt, und es fehlt ihnen an Platz, mich unterzubringen. Außerdem ist meine Mutter noch nicht bettlägerig oder so, das heißt, sie kann noch was im Haushalt machen und sich abends allein um meinen Vater kümmern. Aber früher oder später ...“ Seine Stimme brach, und er senkte den Blick auf die Spitzen seiner Cowboystiefel.

      „Und wo wohnst du nun?“

      „Oh, in einer kleinen Siedlung unten an der Weser. Nichts Besonderes, nur eine Zwei Zimmerwohnung in einem Mehrfamilienhaus. Die Straße hat einen ulkigen Namen: Froschpfuhl.“

      Ich starrte ihn an. Froschpfuhl? Wenn ich in meinem Storchengrund aus einem der Giebelfenster unseres Wohnblocks blickte, lag unter mir eine kleine Siedlung mit bescheidenen Ein- und Mehrfamilienhäusern, die sich entlang einer Straße aufreihten, die Froschpfuhl hieß. Wenn das kein Zufall war!

      Ich weiß nicht warum, aber irgendwie brachte ich in diesem Moment nicht die richtige Begeisterung auf. Ein toller Mann, der gleich um die Ecke wohnte. Es war beängstigend. Sein Enthusiasmus hingegen war geradezu rührend, zumal sich herausstellte, dass er nur zwei Häuser vom Storchengrund entfernt wohnte, also an meinem Ende des Froschpfuhls. Was er noch nicht wusste, und ich ihm auch nicht sagte, war die Tatsache, dass wir uns würden zuwinken können, sobald er auf seinen Balkon hinaustrat. Ich ahnte, von welcher Wohnung er sprach, und ich ahnte, dass sich meine Ahnung nicht trog. Die Wohnung stand - weil völlig überteuert - bestimmt schon seit einem Jahr leer. Was hieß, dass Derek offenbar nicht jeden Cent einzeln umdrehen musste.

      Wir plauderten noch eine Weile über dies und das und ließen den Wolken über dem Supermarkt Zeit, sich zusammenzuballen. Als ich endlich mit meinen überquellenden Plastiktüten im Fahrradkorb die Breslauer Allee hinunterjagte, zuckten Blitze über einen tintenschwarzen Himmel, und der Donner krachte. Bevor ich den Storchengrund erreichte, war ich ein wandelnder Wasserfall.

      Ich föhnte mich trocken, trank eine Tasse Kaffee und dachte über die Neuerung in meinem Leben nach. Wollte ich sie überhaupt? Hatte es in den letzten Tagen nicht schon genug Aufregungen gegeben, um mich das nächste Jahr emotional über Wasser zu halten? Nun, wir würden sehen. Ich hatte mich tatsächlich für ein erstes Date mit Derek Schaper verabredet. So gegen neun kam er mich abholen, und ich hoffte nur, dass er nicht gleich maßlos übertrieb und mich unter einem Berg roter Rosen begrub.

      Gedankenverloren öffnete ich das Kuvert, das ich aus meinem Briefkasten gefischt hatte, und erstarrte. Ingeborg Schulze vom Jobcenter hatte mir einen Termin beim Amtsarzt verschafft, den ich bitte davon überzeugen sollte, dass zwischen mir und der 400-Euro-Stelle des Thanatopraktikers eine gesundheitliche Unverträglichkeit bestehe. Montagmorgen um acht. Aus eigener Anschauung und in Rücksprache mit Herrn Kuhn sei sie zu der Überzeugung gelangt, dass ich psychisch wie physisch stabil genug sei, die Stelle auszufüllen. Es folgte der Hinweis auf zwei weitere Stellen, die ich im letzten Jahr ebenfalls aus „nicht zwingenden Gründen“ abgelehnt hatte.

       Kommen Sie bitte nüchtern und bringen Sie eine Urinprobe mit.

      Ich saß wie vom Donner gerührt, obgleich das Gewitter draußen längst über die Weser gezogen war und nun den Hohenstein, eine Kalksteinklippe, die als heller Fleck aus dem bewaldeten Höhenzug des Süntels ragte, mit seinen Blitzen attackierte. Sollte mich der Staat tatsächlich zwingen können, die Gehilfin eines Leichenfledderers zu werden, würde ich Uwe höchstpersönlich einen Eimer mit gestocktem Blut vorbeibringen. Er spuckte schon, wenn er sich an einer Nadel stach. Und für Ingeborg Schulze ließ ich mir etwas ganz Besonderes einfallen. Etwas, dass ihr die helle, boshafte Freude am Leben vergällte. Etwas, dass mir bestimmt noch einfiel.

      Toilettenfrau auf dem Schützenfest und Spargelstechen in Beelitz waren die beiden Jobangebote gewesen, die ich im letzten Jahr abgelehnt hatte. Doch besonders wurmte mich an dem Brief der Hinweis auf meine „körperliche Stabilität“.

      Als ich mit meinem Kaffee in der Hand aus dem Fenster blickte, fuhr vor seiner neuen Wohnung im Froschpfuhl gerade Derek vor. Er fuhr, ich konnte es kaum fassen, ein Alfa Romeo Sportcoupé. Es war rot. Kirschrot. Ich tauchte weg und verschüttete den Kaffee, als er sich schwungvoll des kleinen Flitzers entledigte, sich umwandte und die Fenster in meinem Block nach mir absuchte. Wahrscheinlich hatte er mich trotzdem gesehen. Das letzte Bild auf meiner Netzhaut war ein hochgereckter Arm mit einer winkenden Hand.

      Heiliger Strohsack, das kann ja heiter werden, dachte ich auf dem Boden hockend und versuchte hektisch, mich meiner kaffeedurchtränkten Hose zu entledigen, während die Haut meiner Beine schon in Flammen stand. Falls Derek und ich am Ende des Abends im Bett landeten, sollte ich vielleicht ganz nebenbei betonen, dass ich mich lediglich verbrüht hatte und nicht unter Krätze litt. Oder rechtzeitig das Licht löschen.

      Fünf Minuten später klingelte das Telefon. Eine mir unbekannte Handynummer erschien auf dem Display.

      „Hallo“, sagte Derek, „alles in Ordnung mit dir? Von unten sah’s aus, als seist du gestürzt.“

      „Nein, nein, ich bin nur ...“ Verzweiflung überkam mich. „... unglücklich über den Hund gestürzt.“ Hilf Himmel, was log ich denn da?

      „Ein Hund? Ich liebe Hunde. Was für eine Rasse ist es denn?“

      „Ein ...“ Mir fiel nicht eine einzige Hunderasse ein. „... Mischling. Mehrere Hunderassen in einem. Und eigentlich ist es auch gar nicht mein Hund. Er gehört meiner Nachbarin, und ich passe nur solange auf ihn auf wie sie ...“ Samstag. Die Friseure hatten zu, die Geschäfte ebenfalls ... „... in der Sauna ist.“

      „Sauna! Bei dieser Hitze? Es sind immer noch fünfundzwanzig Grad im Schatten. Und das nach einem Gewitter.“

      Die Sache begann mir langsam Spaß zu machen. Ich bin nie eine begnadete Lügnerin gewesen, doch Übung soll bekanntlich zur Meisterschaft führen.

Скачать книгу