Leben - Erben - Sterben. Charlie Meyer

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Leben - Erben - Sterben - Charlie Meyer

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verlor sich ganz offensichtlich in einer Vergangenheit voll herumtobender polnischer Hütehunde. Auch er schien in die Jahre gekommen zu sein, und da mich Hunde nicht mögen, ein reziproker Prozess womöglich, empfand ich für seine Zurückhaltung Dankbarkeit und bewunderte aus der Ferne sein breites Halsband mit den funkelnden Strasssteinen. Doch F.C.‘s nächste Worte trafen unter die Gürtellinie.

      „Es geht um ihn. Ich bezahle Sie dafür, Churchill mitzunehmen und ihn nach meinem Tod demjenigen meiner Erben auszuhändigen, der ihnen eine testamentarische Legitimation seines Anspruches nachweisen kann.“

      Ich öffnete den Mund zu einem von Herzen kommenden Ich denke gar nicht daran!, als sie ein paar unbedeutende Worte hinzufügte. „Tausend Euro für diesen ersten angefangenen Monat und tausendfünfhundert für jeden weiteren.“ Meine Lippen schlossen sich wieder, hinter meiner Stirn begann es zu rotieren. Ich hasste Hunde - ich hasste sie wirklich von Herzen - aber mindestens ebenso hasste ich den Gedanken an mein leeres Konto und den Verzicht auf meine Käsecracker und den abendlichen Rotwein. Letzte Woche erst hatte sich Eiko, mein knapp sechzehnjähriges, obdachlos spielendes Fleisch und Blut, zur mütterlichen Wohnung Zutritt verschafft - ohne Schlüssel - und meinen Kühlschrank geplündert. Immerhin, so tröstete ich mich nach derartigen Attacken, ernährt er sich gesünder, als wenn er tollwütige Füchse von der Landstraße kratzt. Die Hühner, die er bei mir in unregelmäßigen Abständen aus der Kühlung stahl, waren allerhöchstens mit Vogelgrippe infiziert und die Schweine umetikettiertes Gammelfleisch.

      „Nun, was sagen Sie zu meinem Vorschlag?“

      „Er klingt ...“, ich rang nach Worten, „... zumindest interessant.“ Lammkoteletts in Cognacsauce! „Aber es wäre nett, wenn Sie mir ein paar Fragen beantworten könnten, bevor wir zum Geschäftlichen übergehen. Zunächst einmal würde ich gerne erfahren, warum Sie mir am Telefon Ihren Namen nicht nennen wollten. Am Tor steht zwar F.C., aber das hilft mir nicht wirklich weiter. Es sei denn, F.C. heißt Fußballklub, und die Villa gehört einem Sportverein. Weiterhin wundere ich mich darüber, dass Sie nicht einfach Ihren zukünftigen Erben anrufen und ihn bitten, den Hund abzuholen. Nicht“, fügte ich hastig hinzu, „dass ich an dem Auftrag uninteressiert sei, ganz im Gegenteil, aber mir leuchtet die höhere Logik dieser Geheimniskrämerei nicht ein.“

      „Sie sind doch die Inhaberin der Firma Service AG - Aufträge aller Art. Diskretion garantiert. Oder irre ich mich?“, fragte sie mit ihrer samtenen Stimme zurück.

      Ich nickte. Ich war nicht nur die Inhaberin der Firma, ich war die Firma, und zwar vom Direktorium über das mittlere Management bis runter zum Laufburschen, und das genau seit neun Tagen und zwei bescheidenen Anzeigen in der DEWEZET - der Deister- und Weserzeitung. F.C. war meine erste Kundin und der Zusatz AG reiner Größenwahn.

      Sie schien unschlüssig, was mit meinem stummen Nicken anzufangen sei, raffte sich dann aber doch zu weiteren Worten auf. „Nun, dieser Firmenname, respektive das Anhängsel Diskretion, schien mir Programm genug, Sie anzurufen. Sollte ich mich geirrt haben, verschwenden wir beide unsere Zeit. Bruno wird Sie nach draußen begleiten.“ Sie rollte mit quietschenden Rädern auf die Tür zu, neben der ein altmodischer Klingelzug, ein Samtband mit Glöckchen, hing. Ich war schneller. Zumindest mit Worten, denn unter dem Schwung ihrer Hände drehten sich die Räder verblüffend flott. Der Hund in seiner Ecke schien mir plötzlich mehr als nur akzeptabel, ich brannte geradezu darauf, ihn mitzunehmen und in eine meiner eigenen Ecken zu stellen.

      „Gönnen Sie Bruno eine Verschnaufpause“, stieß ich hastig hervor und hasste mich dafür. „Ich nehme den Hund, ich stelle keine Fragen, und ich werde ihn auftragsgemäß Ihrem Erben aushändigen, so er denn die nötigen Papiere vorlegt.“ Ich musterte sie genauer. Sie sah nicht krank aus, und ich fragte mich aufgeschreckt, wie viele Jahre ich den Hund Gassi führen musste. Meine Urgroßmutter war hundertundzwei geworden. Denk ans Geld, ermahnte ich mich erneut und brachte ein Lächeln zustande.

      Ihre Hand am Klingelzug zögerte, dann bimmelte das Glöckchen. Ich fühlte mich an Weihnachten erinnert, wenn wir Kinder auf der Treppe gesessen und auf das Glöckchengebimmel gewartet hatten, das uns zur Bescherung rief, nur dass ich diesmal auf den Rausschmeißer wartete. Ich hatte den Auftrag vermasselt - meinen ersten und vielleicht sogar einzigen in diesem meinem letzten Aufbäumen, Leben und Finanzen in den Griff zu bekommen. Wieso musste ich immer mit allem herausplatzen, was mir in den Sinn kam? Auf diese Weise war meine Beziehung in die Brüche gegangen - behauptete zumindest mein Ex - und mein Sohn auf dem klapprigsten unserer Fahrräder in die Obdachlosigkeit geflohen. Auf diese Weise hatte ich auch Angelo, meinen Pizzabäckerfreund, vertrieben, den letzten einer Reihe halbherziger Liebschaften, die es alle nicht schafften, mein Ego aufzubessern.

      Schon erstaunlich, wie ein Wurm es zuwege brachte, selbst die hungrigste Krähe in die Flucht zu schlagen.

      Bruno schlurfte ins Zimmer, eine Dokumentenmappe in der Hand, die älter aussah als er selbst. Er trug sie vor sich auf einem Tablett, als gedenke er Tee zu servieren, und blieb stumm abwartend hinter der Schwelle stehen. Die beiden Alten blickten sich an, und ich begann im Geiste meine Siebensachen zusammenzuklauben: Frust, Blödheit und die zehn Kilo, die ich schon immer hatte abspecken wollen. Dann begann F.C. zu sprechen, und meine Füße hoben ein ganz klein wenig vom Boden ab.

      „Ist der Scheck vorbereitet, Bruno? Frau Pusch und ich sind uns handelseinig geworden. Sie wird Churchill nehmen.“

      Bruno verbeugte sich stumm. Das Tablett geriet in Schräglage, die Mappe ins Rutschen, und Bruno richtete sich würdelos hastig wieder auf. Diese Szene musste noch geprobt werden, ansonsten war der Zusammenschnitt aus alten Edgar-Wallace-Schinken und Psycho durchaus gelungen. Doch trotz Situationskomik und der greifbaren Aussicht auf den ersten Scheck fühlte ich mich beklommen. Wieder, wie schon in dem Moment, als meine Finger den Türklopfer berührten, hämmerte ein kleines Männchen von innen gegen meine Stirn und riet mir, auf der Stelle Fersengeld zu geben. Leider hatte ich die Intuitionen meines bisherigen Lebens so gründlich missverstanden, dass ich keiner mehr traute. Ich blieb.

      „Churchill?“, fragte ich betont forsch. „Wieso heißt der Hund Churchill?“ Meine erste Reaktion auf ihre Blicke war der Wunsch, etwas Intelligenteres von mir gegeben zu haben, die zweite Wut auf den Hochmut der Welt.

      „Er kam an dem Tag zu uns, als Winston Churchill der Nobelpreis verliehen wurde, daher entschloss sich mein Gatte, den PON Churchill zu taufen. - Den Polski Owczarek Nizinny,“ fügte sie nach kurzer Pause hinzu, als sie mein ratloses Gesicht sah.

      „Das kann nicht sein.“ Selbst in den engen Grenzen meiner humanistischen Bildung regte sich Protest. „Ich weiß nicht, wann Churchill der Nobelpreis verliehen wurde ...“ - ich wusste nicht einmal, dass er ihn überhaupt bekam - „... aber wenn wir beide von demselben Churchill sprechen, dem englischen Politiker, ist er meines Wissens nach irgendwann Anfang der Sechziger gestorben. Der Hund kann doch unmöglich über vierzig Menschenjahre alt sein. Vielleicht bin ich kein Intelligenzbolzen, aber derart grobe Schnitzer bekomme ich schon mit.“ Ich biss mir auf die Unterlippe. Der letzte Satz war so überflüssig wie mein Abschiedsgebrüll durchs Treppenhaus, ich würde nie wieder eine Pizza essen, als Angelo mich verließ. Was für eine Strafe für den Ärmsten. Noch wochenlang danach schreckte mich sein breites Grinsen aus meinen Alpträumen auf.

      „Bruno!“, befahl F.C. „Hol bitte Churchill.“

      Bruno schlurfte im Schneckentempo durchs Zimmer. Das Tablett hatte er auf einem Teewagen neben dem Rollstuhl abgestellt. Kurzzeitig geriet ich in Versuchung, mir ans Schienbein zu klopfen und Komm, Hundchen, komm zu rufen, um den Hund Bruno vor der Nase wegzulocken, doch es blieb bei der Versuchung. Churchill starrte dem alten Butler reglos entgegen. Wahrscheinlich hatte er sich sein Leben im Dämmerlicht so eingerichtet, dass er rund um die Uhr schlief. Nachts zusammengerollt im Körbchen und tagsüber unauffällig im Stehen. Er blinzelte nicht einmal,

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