Leben - Erben - Sterben. Charlie Meyer

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Leben - Erben - Sterben - Charlie Meyer

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wuschelige Pfoten nur Zentimeter über dem Parkett. Litt der Hund vielleicht unter den Lähmungserscheinungen eines Schlaganfalls und konnte sich nur noch getragenerweise fortbewegen? Die Konsequenzen aus dieser Mutmaßung missfielen mir durch und durch. Ich sah mich dreimal pro Tag einen gelähmten Hund aus der Wohnung auf die Straße tragen und unter einer Laterne absetzen. Ich sah mich sogar sein Hinterbein anheben. Ein grässlicher Gedanke.

      Bruno schleppte seine Last auf den Rollstuhl zu und stellte sie vor den Füßen seiner Herrin ab. Ich horchte irritiert auf. Es klang, als stellte er einen Stuhl oder eine große Vase auf den Boden, und einen Augenblick lang überwältigte mich die bizarre Vorstellung eines aus Holz geschnitzten Hundes, dem irgendein Witzbold einen Flokati übergeworfen hatte. Die alte Frau jedoch beugte sich vor und strich ihm sanft über den Kopf.

      „Am nächsten achtzehnten“, so begann sie, „hat Churchill seinen fünfzigsten Todestag. Leider Gottes starb er schon 1955 mit nur zwei Jahren. Dem Welpenalter kaum entwachsen. Er fraß Rattengift. Sie müssen wissen, dass auch mein Gatte zur gleichen Zeit starb, und als mich dann beide ganz allein zurückließen, wandte ich mich an einen Präparator und ...“ Ihre Stimme verlor sich, es glitzerte nass auf ihren Wangen.

      Ich starrte sie ungläubig an. Naturkundemuseen stopfen seltene Tiere aus, Jäger die Köpfe von Zwölfendern, aber was für eine kranke Seele ließ ihren Schoßhund ausstopfen? Auf der bangen Suche nach der ausgestopften Hülle ihres Ehemannes ließ ich unauffällig meine Augen schweifen, konnte ihn jedoch zu meiner grenzenlosen Erleichterung nirgendwo entdecken. Was für eine Horrorvorstellung, die Zimmerecken mit den Leichen verstorbener Familienmitglieder zu dekorieren. Tableaux vivants mit Toten.

      „Der Hund ist ausgestopft?“, fragte ich unnötigerweise nach. „Und ich bekomme das Geld, um auf einen toten Hund aufzupassen, bis ihn Ihr Erbe bei mir wieder abholt? Das ist verrückt!“

      „Er war nicht irgendein Hund“, entgegnete sie scharf. „Churchill war mir ein Gefährte, der treuer an meiner Seite verharrte als ...“ Sie brach abrupt ab. „Nun, ich gebe gern zu, damals möglicherweise in einer Art emotionaler Überreaktion die Entscheidung getroffen zu haben, aber im Nachhinein erwies sie sich als richtig und gut. Allein Churchills Anwesenheit hat mir Kraft gegeben, ein Leben zu meistern, das nicht immer leicht war.“ Sie schlug mit den Handflächen demonstrativ auf die Armlehnen des Rollstuhles.

      „Sitzen Sie schon Ihr Leben lang im Rollstuhl?“

      Sie musterte mich kühl. „Nein, aber ich bemerke zu meinem Missfallen, wie überaus leichtfertig Sie Ihre Beteuerung ad absurdum führen, auf weitere Fragen zu verzichten. Im Gegensatz zu Ihnen schätze ich die Konsequenz des Handelns, die einer einmal getroffenen Entscheidung zu folgen hat. Doch zurück zu unserer Abmachung. Ich kann Ihnen natürlich nicht das genaue Datum meines Todes vorhersagen, aber ich bin mir sicher, es wird bald - sehr bald - sein. Daher sollten Sie ab und an einen Blick in die DEWEZET werfen. Mit dem Geld, das ich Ihnen zahle, werden Sie sich wohl ein Abonnement leisten können. Mein Tod wird einiges Aufsehen erregen.“ Sie zog die Augenbrauen hoch und legte eine Kunstpause ein, doch aus Angst, schon wieder in irgendein Fettnäpfchen zu treten, kam mir die Frage nach dem Warum nicht über die Lippen. Also sprach sie weiter: „Wenige Tage nach dem Ereignis wird sich der Erbe bei Ihnen melden, wobei ich mich zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht entschieden habe, wem ich Churchill vermache. Ich bedaure, wenn Ihnen dieser Auftrag ein wenig geheimnisvoll erscheint.“

      „Ein wenig?“, hakte ich nun doch spontan nach.

      Sie überging den Einwurf und entließ mich mit einer Handbewegung, die eines Shakespeare-Mimen würdig gewesen wäre. „Churchill wird Ihnen nicht all zu lange lästig werden, glauben Sie mir. Und nun nehmen Sie den Hund und gehen Sie. In diesem Leben werden wir uns nicht wiedersehen.“

      Ich wusste nicht, ob ich lachen oder weinen sollte, doch das Perverse an der Perversion ist, wie leicht man sie akzeptiert, und so beobachtete ich einfach Bruno, wie er sich abmühte, einen ausgestopften Hund namens Churchill in einen Kopfkissenbezug zu stecken. Dann sagte ich wohlerzogen Auf Wiedersehen, registrierte ihr stummes Kopfschütteln und folgte Bruno zur Tür. Ich nahm ihm das pralle Kopfkissen ab, und er zuckte zusammen, als ich es wie einen Kartoffelsack schulterte. Am Fuße der drei Stufen zum Vorgarten hörte ich ihn hinter mir noch etwas raunen: „Nehmen Sie sich in acht, und erzählen Sie niemandem von dem Hund. Hören Sie? Niemandem! Trauen Sie keinem.“

      Die Dämmerung senkte sich bereits über das Wesertal, und meine Gänsehaut hielt mühelos bis zum Fahrrad durch. Etwas später blühte sie neu wieder auf, als ich den Berg hinunterbrauste auf meinem zweirädrigen Sportcoupé mit Pedalen, das schneller und schneller wurde, und mir meine defekten Bremsen einfielen. Der Rücktritt trat durch, und die Bremsbacken der Vorderbremse waren lange schon abgeschliffen. Einhändig, den Hund noch immer geschultert, fragte ich mich, wie ich vor der Hauptstraße unten zum Stillstand kommen sollte. Andernfalls, wenn ich wie ein Pfeil über das Ziel hinausschoss, lag die Chance einen LKW zu erwischen schätzungsweise bei eins zu eins. Zweihundert Meter weiter gabelte sich die Straße in die B1 und die B83, und keiner ihrer Anwohner beklagte ein zu geringes Verkehrsaufkommen.

      Der Pathologe würde sich bestimmt über die seltsame Mischung aus frischem Menschenfleisch und den Bröseln einer steinharten, ein halbes Jahrhundert alten, zermalmten Hundehaut wundern.

      2.

      Ich hatte eine unruhige Nacht verbracht, was zum einen am roten Inhalt einer Flasche mit dem Aufdruck Shiraz Cabernet, South Eastern Australia lag und zum zweiten an den ungelösten Mysterien des Vortages. Ohne mich als moderne Sibylle ausgeben zu wollen, rumorten in meinem Innersten die widersprüchlichsten Ahnungen und sorgten für ein zerwühltes Bettlaken und ein schweißnasses Kopfkissen. Gegen halb vier, als die Vögel munter zu tirilieren begannen und sich die Dunkelheit lichtete, war ich über mein Bett gerollt und hatte dem Polski Owczarek Nizinny das gestickte Deckchen vom Hocker, der mir als Nachttisch diente, über den Kopf gehängt. Mir war gewesen, als starre mich Frankensteins Monster an. Am Abend zuvor hatten Churchill und ich ab einem bestimmten Glas Cabernet gemeinsam vor der Mattscheibe gehockt und uns einen hirnlosen Film namens Dead Man on Campus angesehen, in dem zwei durchgeknallte Studenten danach trachteten, andere durchgeknallte Studenten in den Selbstmord zu treiben. Der Plot gefiel weder ihm noch mir, daher hatten wir eine nette kleine Plauderei angefangen, von der mir allerdings nur noch ein einseitiges selbstmitleidiges Jammern durch die Erinnerung geisterte. Ich hätte vor dem Entkorken der Rotweinflasche etwas essen sollen. Wie Churchill mit seiner hängenden Zunge neben meinem Bett gelandet war, wusste ich nicht mehr, nur noch, dass er, mit dem Fingerknöchel beklopft, seltsam tönern klang und sich überhaupt nicht kuschelig, sondern hart und sperrig anfühlte, sobald man ihn umarmte.

      Es beschämte mich sehr, wie tief eine einsame Frau sinken konnte.

      Nach dem Aufstehen bestrafte ich mich mit einer kalten Dusche, Toast Hawaii und dem festen Vorsatz, meinen Filius aufzuspüren und ihm ein für alle Mal die Flausen auszutreiben. Er brauchte eine Wohnung und einen Schulabschluss - er brauchte ein geregeltes Leben unter mütterlichen Fittichen. Und eine Gebrauchsanweisung für seinen Verstand. In selbstkritischen Momenten quälte mich die Frage nach meinem ganz eigenen Beitrag zur Flucht des Jungen. Stimmten die Vorwürfe meines Ex, ich sei eine egomanische und machtbesessene Mutter und Lebensgefährtin gewesen, die niemanden in der Familie hochkommen ließ? Hatte ich allen beiden tatsächlich nur die Wahl gelassen, aus meinem Umfeld zu fliehen oder sich totzustellen wie der verdammte Hund? Eiko war am Morgen seines fünfzehnten Geburtstags auf das klapprige Fahrrad seines Vaters gestiegen, in der Plastiktüte auf dem Gepäckträger nicht mehr als ein paar Socken und eine Unterhose zum Wechseln, und in die Welt hinausgeradelt. Meiner Kontrolle entschwunden. Und alles nur, weil ich ihn mit einer kerzenbestückten Torte weckte und Happy Birthday sang, als er die Augen aufschlug. Er beklagte sich - über das frühe Wecken, das unbefugte Eindringen in seine

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