Leben - Erben - Sterben. Charlie Meyer

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Leben - Erben - Sterben - Charlie Meyer

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in Kraft traten, gingen dank ihrer etliche Ehen, Partnerschaften und Wohngemeinschaften auseinander, und es kam im ganzen Land zu einem hektischen Getrenne und einem Ansturm auf Singlewohnungen, die der gesetzlichen Norm entsprachen. Nicht mehr als zwei Zimmer, nicht größer als maximal fünfzig Quadratmeter. Das Problem war die radikale Streichung staatlicher Unterstützung für arbeitslose Hilfeempfänger, wenn im selben Haushalt ein Verdienender über einer bestimmten Gehaltsgrenze lebte. Das galt für Ehemänner, Partner und alle, die sich aus einem gemeinsamen Kühlschrank ernährten. Also auch für Uwe und mich, die wir nie geheiratet hatten. Natürlich gab es Schlupflöcher und eifrige Advokaten, die sich für uns nur allzu gern vor die Schranken eines Gerichtes gestürzt hätten, aber wir dachten, den Staat auf billigere Weise austricksen zu können.

      Als sich Eiko vor knapp siebzehn Jahren, der Pille zum Trotz, in meinem Uterus einnistete, suchten wir uns eine gemeinsame Wohnung, ganz kuschelig oben unter der Schräge, mit Blick auf die Hügel des Wesergebirges, und zogen gemeinsam ein. Uwe war eigentlich nur auf einen Sprung aus Hamburg heruntergekommen, um gemeinsam mit seinen Eltern sein BWL-Examen zu feiern. Ich wohnte noch auf dem elterlichen Bauernhof in Selxen, einem kleinen Dorf wenige Kilometer von Hameln entfernt, und gammelte nach dem Abitur und einer Ausbildung zur Reiseverkehrskauffrau antriebslos in der Stadt herum. Tagsüber in Eiscafés und abends in den Kneipen. Schon damals haderte ich mit den Widrigkeiten meiner Existenz. Ich wollte in keinem Reisebüro versauern, ich wollte keine Kühe melken, ich wollte gammeln und leiden. In der Alten Post in der Hummenstraße lernte ich während einer Hillbilly-Nacht Uwe kennen. Wir tauschten erst allgemeine Informationen, dann unsere Körperflüssigkeiten aus, und Eiko baute sich gegen alle Regeln der Medizin sein Nest.

      Unsere Eltern verziehen uns nie. Uwes nicht, weil sie mir das Ende seiner noch nicht einmal begonnenen Karriere anlasteten. Meine Eltern hingegen weigerten sich schlicht, eine Ehe anzuerkennen, die kein Standesbeamter besiegelt hatte. Als es ihnen nach dreizehn Jahren zum ersten Mal einfiel, Eiko persönlich kennenzulernen, rannten sie nach dem Konfirmationsgottesdienst gegen eine Mauer aus Eis und zogen bedröppelt wieder ab. Alle waren sich einig, der Junge zahlte mit gleicher Münze heim. Wie ihr mir so ich euch. Doch das stimmte wahrscheinlich nur zum kleineren Teil, wenn überhaupt. Die Weite von Eikos Toleranzgrenzen hatte mich von jeher überrascht, und ich konnte mich an kein böses Wort gegen seine treulosen Großeltern erinnern, die sich bis zu diesem Moment für den Kontakt mit ihm ausschließlich der Post bedient hatten. Doch was ihn ganz offenkundig erboste, und zwar schon, bevor er Oma und Opa die Hand geben sollte, war der schwarze Anzug für kleine Manager, in den Uwe seinen Sohn gesteckt hatte. Die Krawatte unter dem weißen, gestärkten Hemdkragen, die er ihm eigenhändig band. Schließlich sollte sich sein Sohn beizeiten an die Kleiderordnung eines Managements gewöhnen, dessen Höhen er selbst nur einmal kurz hatte erschnuppern dürfen. Eikos Gesichtsausdruck nach - zusammengepresste Lippen, schmale Augen - hasste er diesen Anzug, in den ihn ein ungewöhnlich heftiger Anfall väterlicher Autorität gezwungen hatte, mit jeder Faser seines Herzens, und wenn Eiko etwas hasste - und sei es auch nur stumm - begannen die übrigen Hamelner unruhig auf ihren Stühlen herumzurutschen.

      Pflegeleicht ist unser Sohn nicht einmal im Krabbelalter gewesen.

      Uwes Eltern interessierten sich ebenfalls nicht für das Aufwachsen ihres Enkelkindes. Sie schafften uns einfach aus der Welt, indem sie ihre Hamelner Villa gegen eine mallorquinische Finca eintauschten, mit der Begründung, das Elend nicht mit ansehen zu können. Drei Jahre nach ihrem Umzug kamen sie oberhalb eines Fischerdorfes namens Banyalbufar von der Straße ab und stürzten über eine Felsklippe in die Bucht. Uwe und ich flogen nach Mallorca, standen lange Zeit auf den Felsen und starrten auf den Haufen Blech hinunter, der noch nicht geborgen worden war. Dann flogen wir mit zwei tropfsicheren Transportsärgen zurück nach Deutschland und begruben seine Eltern auf dem Friedhof an der Deisterstraße. Ich persönlich war - nicht nur aus Eigennutz, weil ich kommen sah, was tatsächlich kam - der festen Überzeugung, sie wären auch tot lieber auf Mallorca geblieben, doch Uwe verbiss sich geradezu in Hameln und schritt hoch erhobenen Hauptes den Särgen auf dem Weg zu ihrem Grab hinterher. Seine Eltern bekamen ein derart teures Begräbnis, dass wir uns noch Monate später beinahe ausschließlich von Nudeln mit Tomatensauce ernährten. Da sie kurz vor ihrem Tod ihr Vermögen in einem spektakulären Aktienschwindel verloren hatten, trugen sie selbst nichts dazu bei, sich angemessen unter die Erde bringen zu lassen. Vom Verkaufserlös ihrer mallorquinischen Finca gab Uwe beim Steinmetz zwei Grabsteine in Auftrag. Für jeden einen. Mit persönlicher Widmung. Für Papa Auf immer unvergessen und In ewiger Liebe auf Mamas Stein. Ich schluckte und schwieg. Doch als zusätzlich noch ein überlebensgroßer, weinender Engel auftauchte, die ringenden Hände gen Himmel gereckt, bekamen wir den ersten großen Streit unserer Beziehung, nach dem tagelang Funkstelle herrschte und wir weiter Nudeln mit Tomatensauce aßen.

      Nach dieser wahren Eruption seiner postmortalen, steinernen Elternliebe ging Uwe übergangslos zum Tagesgeschehen über. Die Grabpflege oblag mir, und mit jeder meiner Aufforderungen, mich wenigstens zu begleiten, wuchs die Liste seiner nur mühsam zu widerlegender Ausflüchte. Es kostete mich weniger Energie, mit Eiko allein zum Friedhof zu fahren, als Uwe moralisch niederzuringen. Ab seinem zehnten Lebensjahr blieb mein Sohn den Toten ebenfalls fern. Warum auch sollte er auf einer unbekannten Oma und einem fremden Opa Unkraut jäten?

      Fünf Jahre später kam der Absturz unserer Familie. Uwe holte seine DVD’s ab und teilte mir die endgültige Trennung mit. Ich zerschlug das Tafelservice seiner Eltern, das sie uns gnädigerweise vor ihrem Umzug nach Mallorca überlassen hatten, Teller für Teller und Tasse für Tasse. Uwe beschuldigte mich, an der Entfremdung zu seinen Eltern schuld gewesen zu sein, ebenso an ihrer Auswanderung und damit auch indirekt an ihrem Tod. Ich warf ihm den miesen Sex und seinen schwächlichen Charakter vor. Er rächte sich mit dem Verdacht, ich sei absichtlich und gegen seinen ausdrücklichen Willen schwanger geworden.

      Dann klappte die Tür zu, und auf meiner Seite der Leprastation starrte ich noch immer gegen das Holz.

      Ich vermutete, dass meine Eltern noch lebten. Etwa einmal im Jahr gingen wir wortlos in der Fußgängerzone aneinander vorbei, das letzte Mal im vergangenen Herbst. Falls sie mittlerweile verstorben waren, hatte man versäumt, mich zu benachrichtigen. Nach der unerfreulichen Konfirmationsbegegnung hatten sie aufgehört, Eikos Geburtstage mit einer Karte zu würdigen.

      Jemand stieß mich mit dem Ellenbogen an, und ich schrak aus meinen düsteren Gedanken auf und wusste einen Moment lang nicht mehr, wo ich war.

      „Hey, wer träumt denn hier am hellichten Tag? Wenn das nicht die kleine Pusch ist.“

      Ich erstarrte. Die Stadt verfügte über einen Fundus von mehr als sechzigtausend Einwohnern, die Eingemeindungen mitgezählt, aber das Schicksal schickte mir ausgerechnet Ingeborg Schulze mit ihrem Stockmaß von ein Meter neunzig und den drei Zentnern Lebendgewicht vorbei. Ihre tiefe Stimme dröhnte über den Flur und tötete in Nullkommanichts jede andere Unterhaltung. Alle Köpfe fuhren herum, hier gab’s vielleicht was zu lachen in all der Tristesse.

      Äußerlich hatte sie sich seit der Schulzeit kaum verändert. Die weißblonden Haare fielen ihr noch immer in Locken bis auf die Schultern, und ihre großen, blauen Babyaugen starrten einen noch immer mit diesem trügerisch unschuldigen Blick an. Zwei Zentner weniger, mit oder ohne ihre sadistische Ader, wäre sie nach mitteleuropäischer Norm eine durchaus attraktive Frau gewesen.

      „Was machst du denn hier?“, startete ich den Gegenangriff, in der Hoffnung, aufgerufen zu werden, bevor es an mir war, meine Lebensgeschichte in aller Öffentlichkeit platt zu walzen. Ingeborg Schulze war diejenige meiner Klassenkameradinnen gewesen, die ich am meisten gehasst hatte, was damals ganz offensichtlich auf Gegenseitigkeit beruhte, so oft, wie sie mich in den Schwitzkasten nahm. Darüberhinaus gab es noch heute auf meiner Kopfhaut ausgesprochen sensible Stellen, und ich wusste nie, ob sie in Erinnerung der ausgerissenen Haarbüschel schmerzten oder weil Nervenschäden zurückgeblieben waren.

      „Ich? Du meine Güte, ich arbeite hier. Früher war

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