Leben - Erben - Sterben. Charlie Meyer

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Leben - Erben - Sterben - Charlie Meyer

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Fluss entlang, und beim Anblick der glitzernden Wasseroberfläche überkam mich die katermäßige Gier, ihn restlos auszutrinken. Um ein Haar wäre ich bereits im Biergarten der Tündern’schen Warte vor einer eisgekühlten Apfelschorle gestrandet, doch zu Eikos Pech hatte er noch geschlossen.

      Dann kam Tündern, ein großes Dorf mit jeder Menge Neubauten in Sicht, und ich hatte die ersten sieben oder acht Kilometer geschafft, ohne mich besser zu fühlen. Auf dem Tündern’schen Weserdamm wühlte ich mich durch eine Herde blökender Schafe und hob willig meinen Hintern aus dem Sattel. Wenn die Evolution geplant hätte, dass sich der Mensch eines Tages aufs Fahrrad schwang, hätte sie mit Sicherheit seine verwundbarste Stelle nicht gerade zwischen den Beinen plaziert. Während die Schafe um mich herumblökten, besah ich mir die Villen, die wie Schnüre aufgereiht hinter dem Damm lagen. Ich würde es mir niemals leisten können, ein viergiebeliges Haus in vornehmer Schräge auf einem großen Gartengrundstück mit Teich und quakenden Fröschen zu bauen. Mit Balkonen im Obergeschoss, die in alle vier Himmelsrichtungen wiesen und der Sonne keine Chance zum Entkommen ließen.

      Es gab keinen Zweifel, ich spielte im falschen Film die falsche Rolle. Statist statt Akteur. Wenn man von dem Glückstreffer absah, dass ich mir am Vortag einen Tausend-Euro-Scheck verdient hatte. Ich würde ihn bar bei der Post einlösen, damit der Betrag nicht auf einem meiner Kontoauszüge erschien. Im Internet kursierte die Geschichte eines Göttinger Hilfeempfängers, der bei der Abgabe seines Hartz IV-Folgeantrags sämtliche Kontoauszüge des letzten Vierteljahres hatte vorlegen müssen. Er wurde prompt der Schwarzarbeit überführt.

      Ich versuchte so wenig wie möglich über die Hundeangelegenheit nachzudenken, doch das flaue Gefühl blieb. Tausend Euro im ersten Monat, tausendfünfhundert für jeden weiteren, das ergab summa summarum für - sagen wir mal ein halbes Jahr - achttausendfünfhundert Euro, ein Vermögen für eine arme Arbeitslose. Doch was tat ich als Gegenleistung? Ich hütete einen ausgestopften Hund, der weder fressen noch trinken noch Gassi gehen wollte und im Gegensatz zu mir nicht einmal bellte. Ich hütete einen toten Hund, den ich später an einen Erben weiterreichen sollte, der angesichts des Gegenstandes seiner Erbschaft mit Sicherheit einem Herzschlag erlag.

      Als mich eine Gruppe Pfadfinder in der Neunziggradkurve unter der Emmerthaler Eisenbahnbrücke in die Brennesseln abdrängte, ärgerte ich mich gerade über F.C.‘s alberne Geheimniskrämerei bezüglich ihres Namens. Und wie ließ sich die kryptische Andeutung interpretieren, ihr Tod werde in den Medien Aufsehen erregen? Üblicherweise erregte das Ableben derjenigen Aufsehen, die im Rampenlicht der Öffentlichkeit standen. Wer war F.C.? Eine schrullige, inkognito lebende Schriftstellerin, die außer mir jeder im Land kannte? Oder eine Milliardärin? Ich nahm mir vor, das Rätsel zu lösen. Als Anhaltspunkt gab es immerhin zwei Buchstaben, einen Butler namens Bruno und eine Adresse.

      Die Eurobahn donnerte auf ihrem Weg nach Bad Pyrmont über die Brücke, und ich zog wie üblich den Kopf ein. Manchmal quälte mich die Vorstellung einer begierig vor sich hinschnaufenden Lokomotive, die nur darauf wartete, dass sich eine gewisse Delia A. Pusch der Unterführung einer Eisenbahnbrücke näherte, um sich von oben auf sie herabzustürzen. Eine Art Pendant zu Stephen Kings menschenmordenden Trucks.

      Ich trug nur Bermudashorts, und meine nackten, von den Brennesseln juckenden Waden brachten mich schier zur Verzweiflung, als ich in Hagenohsen, dem nächsten Dorf, wieder auf die Landstraße traf und einen langgezogenen Berg in Angriff nahm. Aus den Wipfeln des bewaldeten Huckels jenseits der Straße ragten Baukräne. Halbfertige Villen lugten zwischen den Bäumen hervor. Auch wer dort oben baute, besaß einen wohlgefüllten Sparstrumpf.

      Aus den Kleingärten unten an der Weser winkte mir ein Mann in Badehose zu. Er hielt einen Rechen in der Hand, und Heugeruch lag in der Luft. Ich seufzte unwillkürlich und blickte rasch wieder weg. War ich tatsächlich schon so tief gesunken, mich am Anblick eines Siebzigjährigen in Badehose aufzugeilen oder einen ausgestopften Hund zu umarmen? Beides war mit Sicherheit keine Lösung für meine Einsamkeit. Ich wollte meinen Sohn zurück, ich wollte Uwe zurück, und es gab sogar Phantasien, in denen ich mir zusätzlich zu Uwe Angelo in der Vorratskammer hielt.

      Mein Problem bestünde darin, nicht loslassen zu können, hatte mir eine Bekannte vor wenigen Monaten erst erklärt, als wir uns auf ein Glas Bier im Sudhaus trafen. Es war unser letztes gemeinsames Bier gewesen, was sie hoffentlich den Unsinn ihres psychologischen Geschwafels lehrte. Ich betrat die Gaststätte nie wieder, aus Angst, Ilona könne nach meinem Gebrüll noch immer wie angenagelt auf ihrem Stuhl hocken.

      Ich wollte schließlich nur, was mir gehörte!

      Hinter dem letzten Haus ging es wieder zur Weser hinunter. Weg von der Landstraße und rein in die Felder. Vom Rausch der Geschwindigkeit inspiriert, passierte ich in flottem Tempo die Kühltürme des Kernkraftwerkes Grohnde, die jenseits der Weser als rauchspuckende Wächter aus einer Schafherde aufragten. Der Zweck dieser Schafe war mir gleich nach Inbetriebnahme des Reaktors klargeworden. Sie dienten dem Direktorium des AKW als lebende Indikatoren für den drohenden Super-GAU. Als unbestechliche, wollige Instrumente auf vier Beinen, die bei Stromausfall nicht abstürzten und keine roten, hektisch blinkenden Lämpchen brauchten. Sie fielen einfach tot um. Beim ersten toten Schaf packte das Management die Aktenköfferchen, beim zweiten schlich es sich durch die Hintertür davon, und wenn es zum Knall kam, zeugte nur noch ein Kondensstreifen am Himmel von seiner Flucht.

      Als ich in der Ferne die schnurgerade Allee ausmachte, die von der Landstraße abging und sich feldergesäumt zur Fähre hinunterzog, begann es in meinem Magen zu kribbeln. Das Fährhaus mit seinem Campingplatz rückte in greifbare Nähe, und ich schickte ein schnelles Stoßgebet zu den Göttern, sie mögen mich mit Erfolg segnen und mir einmal, nur ein einziges Mal, erlauben, meinen abtrünnigen Sohn in die mütterlichen Finger zu bekommen. Allerdings schien mir eher, dass sie sich auf meine Kosten über die erfolglosen Jagden amüsierten. Eiko auf seiner Route zwischen Holzminden und Minden telefonisch zu orten, war dabei das kleinste Problem. Ein Fünfzehnjähriger mit roten Rastalocken und einem Gesicht voller Sommersprossen, der allein auf einem klapprigen Fahrrad durch die Gegend strampelt und immer wieder auf denselben Campingplätzen nächtigt, ist niemand, der sich leicht übersehen lässt. Das Problem bestand lediglich darin, seiner tatsächlich habhaft zu werden. Bisher war es mir nicht gelungen. Die tragikomische Geschichte der Jägerin Delia A. Pusch und ihres windschlüpfrigen Opfers Eiko war wahrscheinlich längst aus der Weser in die Nordsee geschwappt und verbreitete sich gerade über Atlantik und Pazifik in die letzten ahnungslosen Refugien des Erdenrunds. Zur allgemeinen Belustigung oder zum Zwecke der Abschreckung, je nachdem, aus welcher Sicht man es betrachtete.

      Ob es im Internet einen Chatroom für Versager gab?

      Es war Viertel vor elf. Dass mir Eiko auf dem Radweg noch nicht entgegengekommen war, konnte zweierlei bedeuten. Er sauste, von seinem Instinkt gewarnt, längst in Gegenrichtung davon, oder die Campingplatzbetreiber hatten mit ihrer Behauptung recht, er bräche seit einiger Zeit erst gegen Mittag auf und fände sich bereits am frühen Abend wieder auf dem nächsten Platz ein. Die Monate seines ersten Dahinhetzens von Sonnenaufgang bis zur Abenddämmerung gehörten, Gott sei’s gelobt, offenbar der Vergangenheit an. Je strammer seine Waden wurden, desto mehr Tempo nahm er raus.

      Uwe, der Spender des Samens, aus dem diese Unrast entstanden war, schickte mir vor vierzehn Tagen den Computerausdruck einer Hochrechnung zu. Eine unerwartete Antwort auf meine zahlreichen Telegramme, mit denen ich seit zwölf Monaten vergeblich versuchte, sein väterliches Verantwortungsgefühl zu wecken. Vorausgesetzt, Eikos Pensum betrage täglich nur noch sechs Stunden, werde unser Sohn, selbst wenn er seine Fahrzeit um nur eine Minute pro Tag kürzte, in weniger als einem Jahr (genauer gesagt in dreihundertsechzig Tagen) ganz von selbst zum Stillstand kommen. Zumindest interpretierte ich die Zahlenkolonnen dementsprechend, denn ein schriftliches Fazit hatte sich Uwe gespart. Es war auch so der perfekte Freibrief für meinen Ex, den Hintern im Sessel und die Fernbedienung in der Hand zu lassen. Ich hingegen plante keineswegs, Eiko ein weiteres Jahr dabei zuzusehen, wie er mich für was auch immer bestrafte. Darüberhinaus

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