Leben - Erben - Sterben. Charlie Meyer

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Leben - Erben - Sterben - Charlie Meyer

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die Anforderungen an eine Putzfrau oder Küchenhilfe steigen lassen. Ein Stundenlohn von sechs Euro für Fachpersonal mit langjähriger Erfahrung erwies sich als nichts Ungewöhnliches. Natürlich nur auf „geringfügiger Basis“ bis 400 Euro monatlich. Auf diese wenigen Stellen stürzte sich das Heer der Hartz IV-Kandidaten. Diejenigen, die tatsächlich Arbeit suchten und auch diejenigen, denen das Jobcenter ein Feuer unterm Hintern entfacht hatte und mit immer neuen Schikanen am Brennen hielt. Die Arbeitgeber rieben sich die Hände, weil sie keine Sozialabgaben zahlen mussten, und pickten sich aus dem Teig die Rosinen heraus.

      Uwes Leben war auf eine andere, spektakulärere Art den Bach runtergegangen. Er begann seine durchaus hoffnungsvolle Karriere vor siebzehn Jahren als Trainee in der Chemiefabrik Syntho-Lab, bis sie, nur zwei Monate später, ein unglücklicher Trugschluss abrupt beendete. Im Sekretariat der Fabrik erwischte er einen stoppelbärtigen Penner dabei, wie er aus der Portokasse Geld stahl. Eigentlich wollte er ihm lediglich den Arm auf den Rücken drehen und die Polizei rufen, doch sein Griff war so unglücklich, dass er dem Mann die Schulter auskugelte. Noch unglücklicher erwies sich die Tatsache, dass es sich bei dem angeblichen Strauchdieb um seinen obersten Chef handelte, einen Quartalssäufer, der eben nach dreitätigem Saufgelage aus der Versenkung wieder auftauchte, um sich in der Firma das Geld fürs Taxi nach Hause zu holen.

      Zu der Zeit war ich schwanger und jobbte als Aushilfssekretärin in der Müllverbrennungsanlage neben dem E-Werk, und weil Uwe einen Monat nach seinem Rauswurf bei den öffentlichen Verkehrsbetrieben als Koordinator anfangen konnte, gerieten wir lediglich in einen überschaubaren finanziellen Engpass. Seine Karriere als Betriebswirt hatte er sich jedoch ein für alle Mal vermasselt. Er traute sich nicht einmal mehr zum Managerstammtisch ins Mercure-Hotel, und erst letzte Woche hockte ich im Eiscafé über einem Bananensplit und hörte am Nachbartisch einen Mann im Anzug den Witz über den jungen, ehrgeizigen Trainee erzählen, der diesem Penner von Chef die Schulter auskugelte.

      In den Jahren darauf erwies sich keiner von uns beiden als besonders beständig. Uwe wechselte zur AEG, während ich in einem Reisebüro jobbte, ich arbeitete bei einem Partyservice, während Uwe sich damit abplagte, einem Autoverleih wieder auf die Beine zu helfen. Seit eineinhalb Jahren fand ich nur noch Gelegenheitsjobs, und Uwe war im Straßenverkehrsamt als Sachbearbeiter gelandet. Ich begann mich zu fragen, ob sich mein Ex mit der Überführung seiner Eltern auf den hiesigen Friedhof nicht doch einfach nur an ihnen hatte rächen wollen. Schließlich arbeitete er sich damals schon Stufe für Stufe nach unten, und sie würden tatenlos mit ansehen müssen, wie er schließlich die letzte Stufe der Karriereleiter hinunterstolperte und brutal auf die Nase fiel. Ich wurde das Gefühl nicht los, der Engel an ihrem Grab rang seine steinernen Hände nicht über den Tod der Eltern, sondern flehte zu Gott, ihre Seelen mit Blindheit zu schlagen.

      Als mich Ingeborg Schulze nach einer Stunde Wartezeit in ihr Büro rief, musste ich Uwes Lebenslauf in meinem Kopf einen weiteren Posten hinzufügen. Er arbeitete nicht mehr beim Straßenverkehrsamt. Ich sah seinen breiten Rücken sich an einem der vier Schreibtische versteifen, und die Wände erbebten unter Ingeborgs Hohngelächter. Uwe gab vor, ungerührt weiterzuarbeiten, doch der karmesinrote Nacken verriet seine Bedrängnis.

      „Hab‘ ich nich‘ gesagt, es wird dir nicht gefallen? Ganz und gar nicht gefallen?“, japste Ingeborg und wies auf den einzigen Besucherstuhl. Er stand frei im Raum und ließ sich drehen und wenden, je nachdem, welcher der vier Fallmanager - mit Ingeborg zwei Frauen und zwei Männer - sich sein Opfer hereinrief.

      „Tiefer konntest du wohl nicht sinken?“, erkundete ich mich mit schwacher Stimme. „Großer Gott, dein armer Sohn wird lügen müssen, wenn man ihn fragt, wo Papa zurzeit arbeitet.“

      Er wandte mir das Gesicht zu, und ich musste tief durchatmen, um mich nicht augenblicklich auf ihn zu stürzen. Man hört nicht auf, jemanden zu lieben, bloß weil er ein gewissenloser Halunke ist, und es sah an ihm alles so vertraut aus, dass ich hätte losheulen können. Die mittlerweile schwarz-grau melierten Haare, der Leberfleck auf der Wange, die schiefe Brille. Aber irgendetwas passte nicht ins gewohnte Bild. Nur was? Ich grübelte noch darüber nach, als er mit belegter Stimme loslegte. „Solltest du ihn vor mir sehen, sag ihm, er soll schneller in die Pedalen treten, wenn ihm sein Leben lieb ist. Er hat mir vor ein paar Tagen den Laptop geklaut. Sag ihm, ich zeig ihn an, wenn er sowas noch mal durchzieht. Ich habe endgültig die Faxen dicke!“

      „Sag’s ihm doch selbst. Ich habe nämlich auch die Faxen dicke, und zwar davon, die Einzige zu sein, die sich um Eiko sorgt und ihm hinterherjagt. Du strengst lediglich deine Zunge an, um mir die Ohren vollzujammern, aber hast du auch nur einen Versuch unternommen, deinen Sohn zur Vernunft zu bringen? Mann, Uwe, wenn wir ihn nicht bald stoppen, versaut er sich seine Zukunft. Willst du das? Kann es sein, dass du dich eher damit abfindest, dass Eiko deine Wohnung als Supermarkt betrachtet, als ihm auch nur ein einziges Mal persönlich auf die Finger zu klopfen? Schwing deinen Hintern aus dem Sessel. Hol dir den Laptop zurück.“ Ich starrte ihm demonstrativ auf den Bauch, und er zog ihn prompt ein. Uwe ließ sich so leicht manipulieren, dass ich nie widerstehen konnte, seine Grenzen auszutesten. Er rächte sich mit gelegentlichen Überraschungsangriffen wie seiner Trennung von mir. „Und kauf dir ein Rennrad mit Zehnganggetriebe, sonst hast du gegen Eikos Waden keine Chance.“

      Die Sachbearbeiter hatten aufgehört, die Monitore anzustarren, ihre Blicke flogen nun zwischen Uwe und mir hin und her. Offenbar kannte doch noch nicht jeder unsere verzwickte Familiengeschichte. Es war mir egal. „Übrigens finde ich seinen unerwarteten Wiederzugriff auf die Errungenschaften der Neuzeit ziemlich hoffnungsvoll. Vielleicht zwingt ihn der Laptop in die Realität zurück. Vielleicht spielt Eiko sogar mit dem Gedanken, vorzeitig sesshaft zu werden. Er braucht Strom, ein regensicheres Dach über den Kopf, einen Drucker, einen Tisch zum Draufstellen, einen Stuhl zum Sitzen. Internetanschluss! Hey, je länger ich darüber nachdenke, desto begeisterter bin ich. Zu deinen Gunsten hoffe ich, du hast den Laptop nicht mit Pornos vollgemüllt. Dein Sohn ist noch keine sechzehn!“

      „Ha, ha, ausgesprochen witzig. Ich pinkel mir vor Lachen gleich ins Hemd. Und was das andere betrifft. Einen Laptop kann man sich auf die Knie stellen. Strom zum Aufladen des Akkus gibt’s auf jedem Campingplatz. Dein Sohn hat ein regensicheres Zelt - nämlich meins - und fürs Internet braucht man schon lange keine Telefonbuchse mehr. Aber du verstehst nicht, worum es eigentlich geht, verdammt noch mal. Dein Sohn hat meinen Laptop geklaut. Ein wahnsinnig schnelles Multimediagerät mit soviel Speicher, dass du ihn mit Nichts vollmüllen kannst. Das Ding war so teuer wie ...“

      „Die Urlaubsreise mit deiner letzten Tussie auf die Malediven?“, unterbrach ich zuckersüß.

      Ingeborgs Augen funkelten vor boshaftem Vergnügen. Und dabei war heute erst Mittwoch. Was für Pikanterien würde die Woche sonst noch zutage fördern? „Und ich verstehe dich gut, du sprichst wie immer laut genug. Nur deine Logik macht mir Sorgen. Wenn dein Sohn deinen Computer klaut, was ich sehr wohl begriffen habe, warum jammerst du mir die Ohren voll und holst dir das Scheißding nicht einfach wieder zurück? Wieso werde ich das Gefühl nicht los, du schiebst die ganze Verantwortung, einschließlich der Schuld für alles in der Vergangenheit Schiefgelaufene und alle zukünftigen Schlappen, mal wieder mir in die Schuhe?“

      „Das müssen wir hier wohl nicht vor allen Leuten ausdiskutieren.“

      Ingeborg, die mit einer Pobacke auf ihrer Schreibtischecke hockte, starrte stirnrunzelnd auf seinen melierten Schopf hinunter, und auch die anderen wirkten nicht erfreut über dieses Ausbremsen eines vielversprechenden Streits.

      „Wo sonst? Wenn dein Telefon klingelt, guckst du zuerst aufs Display. Erscheint meine Nummer, gehst du nicht ran. Deine Mailbox ist ausgeschaltet, und sobald ich an der Haustür klingele, behauptet deine Nachbarin, dich schon seit Jahren nicht mehr gesehen zu haben. Als Reaktion auf meine Telegramme, wir müssten uns endlich wegen Eiko zusammensetzen, schickst du eine blödsinnige Hochrechnung mit dem Fazit, der Fall regele sich in einem Jahr ohnehin von selbst. Weißt du überhaupt, wie leicht

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