Kurzgeschichten. Gisela Schaefer

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Kurzgeschichten - Gisela Schaefer

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auf der Hose, mal eine grasgrüne Strähne im Haar oder schmuddelig braune Reste unter den Fingernägeln. Aber sie hatte sich längst daran gewöhnt, mit Thilos nicht alltäglichen Überraschungen und Eigenarten zu leben. Mathilde hatte die Bahnen zusammengenäht, Meter für Meter, und zum Schluss Gardinenband und Haken angebracht. Gerade als sie erleichtert aufatmend die letzten Stiche getan hatte, das Rattern ihrer Nähmaschine verstummt war, entdeckte sie ein übrig gebliebenes Stück Stoff. Einen Moment starrte sie es unschlüssig an, eigentlich war sie kurz davor, Maschine und Garnröllchen zum Fenster hinaus zu werfen, aber, Verschwendung war ihr fremd – und außerdem kam ihr ein wahrhaft grandioser Gedanke, wie sie den Rest verwerten konnte.

      „In jedes Meer gehört eine Meerjungfrau,“ behauptete sie und nähte ein grünes Hemdchen für Marie.

      Elmar, gelernter Elektriker und auch sonst handwerklich hoch begabt, hatte Schienen an die Decke gedübelt, das Ganze mit Motor und Fernbedienung versehen und die Lämpchen an die Wände montiert.

      Von dem Moment an, da Marie als Nixe in ihre eigene Unterwasserwelt eintauchen konnte, war ihre Lieblingsfarbe Grün. So mussten, passend zum Gewand, grüne Pantoffeln aufgetrieben werden, was Frau Thanner im zwölften Schuhgeschäft tatsächlich gelang, und auf Maries Geburtstags-Wunschzettel stand: Glasperlenkette, grün – wobei das Wort ‚grün‘ mehrmals unterstrichen war. Selbst Barbie musste ihre Garderobe und ihren Lidschatten auf grün umstellen. Die Schulhefteinschläge wurden mit maritimen Motiven beklebt und im Zeichenunterricht malte sie exotische Tiefseefische mit furchterregenden Zähnen und Lämpchen vor der Stirn, deren Namen nicht einmal ihre Lehrerin kannte.

      „Wenn das so weitergeht, wird Marie Meeresbiologin oder Tiefseetaucher,“ stellte Herr Thanner eines Tages fest.

      „Oder Herings-Fischer,“ fügte Thilo hinzu.

      „Oh mein Gott, dass du mir das ja nicht in ihrer Gegenwart erwähnst, sie macht blind alles, was du sagst.“

      Thilo versprach es und dachte über das, was sein Vater beobachtet hatte, nach – ja, es war was dran. Marie liebte ihren Bruder sehr, das war unübersehbar, sogar für Thilo. Obwohl sie inzwischen etwas weniger plapperte und sich öfter und länger in ihrem eigenen Zimmer aufhielt, dachte sie sich immer wieder kleine Beweise ihrer Zuneigung aus: Mal saß eines ihrer Plüschtiere auf seinem Bett, natürlich nur leihweise für eine Nacht. Oder sie machte ihm zum Mittagessen eine Tasse Kakao, den er trotz der vielen Knubbel darin hinunterschluckte. Je nach Jahreszeit wurde auch weiterhin das Schnapsglas als Blumenvase für Kleeblätter oder Butterblümchen benutzt. Wenn er mit ihr redete, hörte sie aufmerksam zu, denn sie zweifelte nicht daran, dass er der klügste Bruder auf der Welt war. Thilo war nicht ganz sicher, wie er das finden sollte, weil er sich vor ihrer Anhänglichkeit fast fürchtete. Nicht, dass er Marie nicht mochte, im Gegenteil, ab und zu war es recht lustig mit ihr. Aber stets blieb eine gewisse Scheu vor zu viel Geselligkeit, vor zu großer Nähe. Ja, er übte Einfluss auf sie aus – und diese Erkenntnis

      führte ihn dann kurze Zeit später auf den Weg, wie er Wunsch Nr. 3 erfüllen und

      gleichzeitig die Chance für sich selber nutzen konnte. Es war klar, dass er nicht dauernd

      aufwändige Sachen erfinden oder bauen konnte, nur um ein paar Wochen oder Monate seine Ruhe zu haben. Es musste etwas Grundsätzlicheres sein, etwas Dauerhaftes, keine Eintagsfliege. Als er lange genug nachgedacht hatte, wusste er, wie er vorgehen wollte, um sein Ziel zu erreichen.

      Aber zunächst war Marie noch abwechselnd im Luftblasen-Universum oder im Korallenmeer glücklich und zufrieden. Als ihr dann irgendwann doch ihr dritter Wunsch wieder einfiel, brauchte sie nicht lange zu warten - Thilo war gerüstet.

      „Hallo Marie, ich hab gehört, du willst dich mit mir unterhalten,“ sagte Trulle die Eule eines Nachmittags wie aus heiterem Himmel.

      Marie wär vor Schreck fast vom Stuhl gefallen. Sie sprang auf und wusste nicht so recht, was sie tun sollte, zu groß war der Schock.

      Da fuhr Trulle auch schon fort: „Wenn es dir damit Ernst ist, musst du drei Regeln beachten:

      Regel Nummer 1: Ich spreche nur, wenn ich es will. Also laber mir nicht die Ohren voll um mich umzustimmen.

      Regel Nummer 2: Von unseren Gesprächen darfst du absolut niemandem erzählen … es muss ein Geheimnis bleiben zwischen uns.

      Regel Nummer 3: Tatsch mich nicht an, während ich mit dir spreche, das mag ich nicht.

      Wenn du die Regeln nicht befolgst, werde ich nie wieder ein Wort zu dir sagen, hast du das verstanden?“

      „Ja,“ nickte Marie atemlos.

      „Gut … na dann … was willst du wissen?“

      Marie war normalerweise nicht um Fragen verlegen, aber in diesem Augenblick fiel ihr partout nichts ein, sie starrte Trulle nur unverwandt an.

      „Du kannst mir auch was erzählen … wie war’s denn in der Schule heute?“

      „Geht so,“ maulte sie, „wir müssen einen Aufsatz schreiben.“

      „Klingt nicht so, als wenn’s dir Spaß macht.“

      „Tut es auch nicht.“

      „Warum?“

      „Weil Frau Kaufmann immer so blöde Aufsatzthemen aufgibt. ‚Mein schönstes Geschenk

      zu Weihnachten‘ … das kann ich in einem Satz sagen: Mein schönstes Geschenk war eine Barbiepuppe mit rosa Abendkleid von Tante Hedwig. Oder ‚Mein schönstes Erlebnis im Urlaub‘! Ich hab am Strand eine große, weiße Muschel gefunden … fertig. Aber ich soll drei Seiten voll schreiben … das kann ich nicht.“

      „Natürlich kannst du, Marie. Lektion 1: Gebrauch deine Phantasie! Wenn du meinst, dass die Geschichte, die du erlebt hast, zu einfach ist, dann schmücke sie aus. Ich will dir ein Beispiel geben: Nehmen wir die Muschel. Beschreib einen Sonnenaufgang am Strand und

      wie die Fischer in ihren Booten heimkehren und dir zuwinken. Du siehst einen Delphin springen oder die Fontäne eines Wals hoch aufspritzen. Möwen segeln über deinem Kopf, sie kreischen und zanken sich um einen Fisch. Wellen spülen leise gurgelnd an den Strand, weichen wieder zurück und kleine Luftbläschen bilden sich im Sand. Ein Felsen ragt ins Wasser hinein und du siehst undeutlich etwas Weißes aufblitzen jedes Mal dann, wenn das Wasser sich zurückzieht. Neugierig watest du durchs Wasser, wirst von einer anrollenden Welle bis zu den Haaren nassgespritzt und fast umgeworfen. Du bückst dich und findest … eine große weiße Muschel, wie die von der Tankstelle, mit gleichmäßigen, strahlenförmig angeordneten Rillen. Natürlich ist das nur ein Beispiel, du könntest es auch ganz anders erzählen.“

      „Ist aber gelogen!“

      „Ach Marie, deiner Lehrerin geht es doch darum, dass du lebendig und spannend erzählen kannst, dass du einen großen Wortschatz zur Verfügung hast. Okay … wenn dich wirklich ein schlechtes Gewissen plagt, dann schreibst du eben unter den Aufsatz, dass du ein klein wenig übertrieben hast.“

      „Und wie kriege ich so viel Phantasie?“

      „Die hast du längst in dir drin. Das Geheimnis ist, dass du dich in den Augenblick hineinversetzen musst. Schließ mal die Augen und denk ans Meer, an nichts anderes … was siehst du, was hörst und riechst du?“

      „Es rauscht.“

      „Gut,

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