Das letzte Schuljahr. Wilfried Baumannn

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Das letzte Schuljahr - Wilfried Baumannn

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der Feind lobt, der hat Fehler gemacht.“

      Nun war alles wieder in Butter. Das ideologische Schema stimmte wieder, in das alles eingeordnet werden konnte.

      Sie zeigte sogar Verständnis für den Widerstand des tschechischen Volkes; aber, so betonte sie, der Sieg des Sozialismus sei nicht aufzuhalten und eines Tages werden die tschechischen Menschen im Rückblick auf ihre Geschichte den Truppen des Warschauer Vertrages für ihre selbstlose Hilfe dankbar sein.

      Schade, dass sie es nicht mehr erleben konnte, wie sich später die Regierungen der Warschauer Vertragsstaaten für diesen Einfall vor dem tschechischen Volk entschuldigten.

      Müller sollte diese Politinformation in einer neunten Klasse durchführen. Eine Genossin der SPL (Schulparteileitung) wollte bei ihm hospitieren.

      „Sie waren in Prag, Kollege Müller, und ich kann mir vorstellen, dass es Ihnen schwer fällt, unbefangen über diese Dinge dort zu sprechen. Fragen Sie doch einfach, was die Schüler darüber wissen. Außerdem hat mein Sohn einen Kurzvortrag zu den Ereignissen vorbereitet.

      Der Fahnenappell wird Ihnen die Zeit auch noch etwas verkürzen.“

      Sie zwinkerte ihm bedeutungsvoll zu, und er merkte, dass die Genossen untereinander auch nicht so einmütig dachten.

      Erst später erfuhr er, dass die Genossin noch ein anderes Motiv hatte, ihm aus dieser vertrackten Situation, die ihm Beruf und Altersversorgung gekostet hätte, zu helfen. Sie stammte aus der gleichen ostpreußischen Stadt, in der er während des Krieges geboren wurde. Müller konnte in seinem Leben immer wieder die Erfahrung machen, dass Menschen, die von dort kamen, innerlich tief miteinander verbunden waren.

      Trotzdem wurmte es ihn, dass er vor den Schülern bisher keine Stellung bezogen hatte.

      Als er im Geschichtsunterricht einer sechsten Klasse die Hussitenbewegung nach dem vorgeschriebenen Lehrplanstoff behandelte, spielte er den Kindern Bed?ich Smetanas Komposition „Tabor“ aus dem Zyklus „Mein Vaterland“ vor.

      Er erläuterte die Komposition so, dass man leicht Rückschlüsse auf die Gegenwart ziehen konnte.

      Er ging sogar noch einen Schritt weiter und erklärte ihnen den Inhalt der folgenden Sinfonischen Dichtung „Blanik“:

      „Das ist ein Berg in der Tschechoslowakei, in dem nach der Sage die Befreier der Tschechen warten. Eines Tages werden sie heraus kommen und ihnen die Freiheit bringen.“

      Die Kinder schauten ihn groß an. Einer wollte sich sogar die Platte kaufen.

      Als er seinem Freund Pavel davon erzählte, holte der stumm ein kleines Relief aus der Schublade und zeigte es ihm bewegt.

      „Nur meine besten Freunde dürfen das sehen.“

      Horst Müller sah die Darstellung des Wenzelsdenkmals mit einem angelehnten Kranz.

      „Jan Parlach“, murmelte er, „was bedeutet aber die Inschrift ,NEPOMINAME’?“

      „Wir werden es niemals vergessen.“

      „Weißt du, neulich traf ich unseren Pionierleiter. Er war so voller Hass gegen euch. Ich sagte ihm, ich bezweifle, dass überhaupt jemand die Truppen um Hilfe gebeten hätte. Er antwortete mir, dass er gut mit Heinz Hoffmann, dem Verteidigungsminister, bekannt sei und der hätte in diesem Zusammenhang die Namen Bilak und Husák erwähnt.“

      „Das kann ich mir nicht vorstellen, denn Husák versucht ja noch zu retten, was zu retten ist“, zweifelte Pavel.

      Das war nun schon 20 Jahre her. Pavel verstarb Mitte der 70er Jahre ganz unerwartet an einem Herzinfarkt.

      Vorbereitungswoche - Müller macht sich seine eigenen Gedanken

      Das neue Schuljahr 1988/89 begann mit der üblichen Vorbereitungswoche, in der die Lehrer sich um ihre Fachräume, die Lehrbücher und Materialien zum Unterrichten kümmerten und vor allem politisch eingeschwenkt werden sollten. Außerdem erhielten die Klassenleiter die Stundenpläne des ihnen anvertrauten Schülerkollektivs und alle Kollegen ihren persönlichen Einsatzplan. Dann mussten organisatorische Fragen des Schuljahres gelöst werden, wie die Überarbeitung der Hausordnung, die Bekanntgabe des Schuljahresarbeitsplanes, die Pausenordnung, die Ordnung während der Schülerspeisung, die Festlegung der Pausenaufsichten und, und, und ...

      Die Direktorin, Genossin Sanam, wurde in der ersten großen Sitzung für alle Lehrer nicht müde, die führende Rolle der SED (Sozialistische Einheitspartei Deutschlands, eine marxistisch-leninistische Partei, die für sich die führende Rolle im Staatswesen der DDR beanspruchte) zu betonen.

      Jedes Klassenelternaktiv (KEA), das bis zum Oktober neu aufgestellt und gewählt werden musste, hatte mindestens einen Genossen der Partei zur Mitarbeit in diesem Gremium zu gewinnen.

      Warum eigentlich, fragte sich Müller, der jetzt eine zehnte Klasse zum Abschluss führen sollte.

      ***

      Seine Gedanken schweiften wieder ab.

      Diesmal zum Urlaub, den er in diesem Jahr mit seiner Frau Carolin in Rumänien verbracht hatte.

      Ihr Sohn hatte ihnen diese Reise verschafft. Schon mit achtzehn Jahren war er mit einem Kollegen kreuz und quer durch Ungarn, Bulgarien, die Tschechoslowakei, die Sowjetunion und Rumänien gefahren, gewandert und getrampt.

      Nun hatte er seinen Eltern eine Individualreise verschafft, eine Reisemöglichkeit, die nicht DDR-typisch war. Für die Angestellten im Haus des Reisens am Alexanderplatz schien diese Individualreise ein Horror an Arbeit zu sein. Müllers mussten lange am Schalter warten, bis sie alle Voucher und anderen Unterlagen wie beispielsweise Flugtickets in der Hand hielten.

      Der Flug nach Bukarest mit einer Maschine der rumänischen Fluggesellschaft TAROM verlief ohne besondere Zwischenfälle. Nur das Bordessen war schon ein kleiner Vorgeschmack auf die Mahlzeiten im Hotel. Es mundete nicht sehr gut.

      Als Individualreisende wurden sie vom Flughafen von einer jungen Reiseleiterin zu einem schwarzen Dacia mit gelber Nummer geführt, dessen Fahrer einen schwarzen Anzug trug. Er fuhr sie zu einem der Erste-Klasse-Hotels in Bukarest, nahm einen der Voucher entgegen und fuhr ab.

      Am nächsten Tag wurden sie mit diesem Wagen zu einer Stadtrundfahrt geladen, besichtigten ein Landmuseum, eine orthodoxe Kirche und vieles andere mehr. Müller wunderte sich, mit welcher Frechheit der Fahrer durch die Straßen von Bukarest fuhr. Zur Kirche benutzte er eine Einbahnstraße in Gegenrichtung. Ein ihnen entgegen kommender Polizist salutierte sogar.

      „In was für einem Wagen saßen wir denn da? Der Mann konnte sich alles erlauben“, wandte sich Müller nach der Stadtrundfahrt verwundert an seine Frau. Carolin konnte sich das auch nicht erklären.

      Bei der Rundfahrt fielen die großen Plätze und protzigen Bauten auf. Carolin flüsterte ihrem Mann spontan ins Ohr:

      „Staatlicher Größenwahnsinn! Der Ceaucescu muss verrückt sein.“

      Nachts war Bukarest dunkel. Die Straßenbahn, die vor ihrem Hotel hielt, schien innen nur mit einer installierten Taschenlampe beleuchtet zu sein, deren Batterien schon ziemlich schwach waren.

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