Bill & Bill. Xaver Engelhard

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Bill & Bill - Xaver Engelhard

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wünschte mir nur, ich könnte mehr Zeit mich euch verbringen. Es wirkt wie im Zeitraffer, euch heranwachsen zu sehen, weil so viel zwischendrin fehlt, aber so ist es nun einmal. So belaste ich euch wenigstens nicht mit meinen Dämonen, auch wenn die inzwischen ganz klein und eigentlich recht niedlich sind!

      Ich werde nächstes Semester dir zu Ehren ein Seminar in Elisabethanischem Drama belegen (genauso, wie ich für Großvater dieses Jahr in einen Kurs über Edgar Rice Burroughs gegangen bin: schrecklich langweilig, aber erzähl’s nicht weiter!), und ich freue mich schon so sehr darauf, Kindern das Schreiben und Lesen beizubringen. Ich kann dir gar nicht sagen, wie sehr!

      Nun, meine Migräne meldet sich zurück. Umarme also die kleine Amy für mich und sag ihr, ich besuche euch so bald wie möglich, spätestens aber Thanksgiving!

      Deine dich liebende Mum

      Meine Hände fangen an zu zittern; und ich stopfe den Brief schnell zurück in den Karton und wühle wütend zwischen den Schachteln herum und entdecke welche, die stabiler aussehen als die anderen und verstärkte Ecken haben und Metallrahmen, in denen Schilder stecken. Auf einigen steht Amy und das jeweilige Jahr, und die Schachtel lässt sich wie eine Schublade öffnen, und darin stecken Großvaters Fotos, Dutzende von Silbergelatineabzügen, mit dünnem Seidenpapier von einander getrennt, zarte Grauskalen, weiche Umrisslinien, eine willkürliche, fast demonstrative Vergeudung von Zeit und Geld, Großmutters Geld und meiner Zeit, denn ich war verurteilt, ihm als Assistent zur Seite zu stehen, wenn er seinen kostbaren Kitsch komponierte der Welt und dem guten Geschmack zum Hohn: Amy mit einem Arm um Sam, beide in den Anblick einer Rose versenkt, Amy in einem weißen Kleid auf einer Schaukel, beinahe aufgelöst im flirrenden Licht, im Schattenspiel des Baums über ihr, Amy auf ihrem Fahrrad, ein weißer Lackschuh auf dem Boden, einer auf dem Pedal, der Blick noch hier und fast schon weg, ein Lächeln so vage, dass es einer Kamera so groß wie eine Nebelkammer bedurft hatte, um dieses flüchtige Phänomen aufzuzeichnen. Ich will die Schublade wieder in den Karton schieben, aber ein Umschlag hat sich verklemmt. Ich ziehe ihn heraus, greife automatisch hinein und halte noch mehr Fotos in der Hand, immer noch Amy, aber diesmal Fotos, die ich nicht kenne und bei denen ich nicht geholfen habe: Amy nur in einen durchsichtigen Tüllschleier gehüllt, Amy wie eine scheiß Lady Godiva auf dem Schaukelpferd, Amy und Sam, Amy mit versteinertem Gesicht und flacher Brust, Amy traurig und ratlos und splitternackt an der Schwelle zu Befangenheit und Bewusstsein, an der Grenze zwischen Kind, das nicht weiß, was passiert, und jungem Mädchen, das sich zu schämen und zu fürchten beginnt, und sie schaut in die Kamera, zu mir, bittet mich zu kommen und ihr zu helfen, und mir wird schlecht, und ich stopfe alles zurück und schiebe den Karton hinein in einen Haufen anderer und wanke zur Tür. Wo war ich? Und wann? Und ist sie deshalb geflohen an der Hand unserer Mutter, die Brandstifterin, die meine Kulissen angezündet hat, Sam mit Tritten quälte und nicht nur Freddas Essen verweigerte, sondern irgendwann auch meins, Makkaroni mit Käse oder Hackbraten, mit dem wir uns sonst getröstet hatten, als wären wir die letzten Überlebenden einer Katastrophe, der die ganze restliche Welt zum Opfer gefallen war, und irgendwann nicht nur mein Essen, sondern auch die Hand, die ich nachts zu ihr hinab baumeln ließ, damit sie sich daran festhalten konnte, und zuletzt sogar den Schlafplatz auf der Matratze neben meinem Bett, und ich verstehe nicht. Was hat er mit ihr gemacht, wenn ich nicht da war?

      Ich habe sie nicht gefunden, rufe ich, als ich in Großmutters Zimmer stürme.

      Was haben Sie nicht gefunden, junger Herr? fragt eine dicke Afroamerikanerin, die einen Kittel und ein Schwesternhäubchen trägt und Großmutter den Blutdruck misst.

      Mein Enkel! krächzt diese.

      Sohn der Lehrerin? fragt die Pflegerin.

      Großmutter nickt. Sie ist in sich zusammengesackt und wirkt noch schwächer und kleiner als noch vor einer Stunde.

      Nun, es wurde aber auch langsam Zeit. Die Pflegerin wendet den Blick von dem Gerät in ihrer Hand ab und mustert mich durch die Nickelbrille, die auf ihrer Nasenspitze sitzt.

      Princeton! stößt Großmutter mit letzter Kraft hervor.

      Hat seine Mutter nicht erzählt … Die Pflegerin macht ein verwundertes Gesicht.

      Glauben Sie ihr nicht! Ich schüttle den Kopf. Was meine Mutter gesagt hat, stimmt sicher. Großmutter will es nur nicht wahr haben. Wie so vieles nicht!

      Wenn du wirklich im Gefängnis warst, ist das immerhin eine Entschuldigung dafür, dass du dich nicht früher hier hast blicken lassen, und zwar so ungefähr die einzige, die ich gelten lasse. Sie entfernt die Manschette von Großmutters dünnem Oberarm, rollt ihr den Ärmel herab und trägt ein paar Werte in einer Tabelle ein, die in einem Klemmbrett befestigt ist. Bist wohl sowas wie das schwarze Schaf der Familie!

      Die ganze Familie stinkt zum Himmel.

      Du musst es wissen. Aber weil wir grade davon sprechen … Sie wendet sich an Großmutter. Ich glaube, es ist Zeit für unser Bad, Mrs. Lundgren.

      Hat er sein Zimmer gefunden? Großmutter greift nach dem Arm der Pflegerin. Wir werden neue Laken brauchen, Bessie. Und vergiss nicht seine Wärmflasche!

      Ich bin keine Haushaltshilfe, Mrs. Lundgren, und ich heiße ganz bestimmt nicht Bessie. Die Pflegerin kichert gutmütig, kramt in einer großen, schwarzen Tasche und schaut mich an. Hast du hier noch was zu erledigen? Weil, wir beide, Mrs. Lundgren und ich sind jetzt für ne Stunde im Bad beschäftigt. Hinterher bring ich sie ins Bett; und sie nimmt dann ein Schlafmittel, sodass es vermutlich am Besten ist, wenn du morgen wiederkommst. Oder übernachtest du wirklich hier im Haus?

      Ich schüttele den Kopf.

      Wäre vielleicht gar keine so schlechte Idee! Du hörst ja, dass sie nichts dagegen hätte. Und es ist nicht gut, dass sie immer noch so alleine wohnt. Wir haben versucht, sie in einem Pflegeheim unterzubringen, aber sie wehrt sich mit Händen und Füßen dagegen, und dieser Rechtsanwalt …

      Mr. Winston!

      Genau der! Alt und tattrig und halb blind, fährt hier aber immer noch alle paar Wochen in einem riesigen schwarzen Cadillac vor, der nicht viel jünger ist als er selbst! Jedenfalls ist der keine große Hilfe, behauptet, dass wir ihren Wunsch respektieren müssen, will aber auch nicht das Geld rausrücken, um deine Großmutter hier rund um die Uhr betreuen zu lassen. Er sieht nicht ein, in was für Gefahr sie schwebt. Vor allem nachts! Sie braucht nur aus dem Bett zu fallen. Bricht sich das Becken, holt sich ne Lungenentzündung, und das war’s dann. Hab ich oft genug erlebt.

      Sicher, aber ich kann nicht bleiben! Ich bin gerade erst rausgekommen und muss noch weiter, muss sie finden, muss sie retten, verraten, an die Welt verloren.

      Meinetwegen! Ich hoffe nur, du wirst es nicht eines Tages bereuen. Sie senkt die Stimme. Deine Großmutter wirkt zwar meist noch recht fit, aber es könnte jederzeit mit ihr zu Ende gehen, wenn ich ehrlich bin, und nicht so ganz allein in diesem Spukschloss hausen zu müssen, würde einen Riesenunterschied für sie machen. Auch wenn sie das natürlich niemals zugeben wird!

      Ich werd’s mir merken, Miss, und ich bin Ihnen wirklich dankbar, dass Sie sich so um meine Großmutter kümmern.

      Es ist mein Job, Kleiner. Ich tu’s nicht aus reiner Nächstenliebe. Auch wenn ich sagen muss, dass mir deine Großmutter imponiert. Sie ist eine harte Nuss; und ich wette, sie hat zu ihrer Zeit den Leuten ganz schön den Kopf verdreht und so ziemlich gemacht, was sie wollte.

      Zumindest, bis sie an meinen Großvater geraten ist, der unschuldige Wesen, die Unschuld selbst, nicht von Wissen entstellt, von Bewusstsein befallen, von Sprache gebeutelt, auf Platten zu bannen versuchte, aber wenn es unschuldig war, weshalb hat er dann nichts davon erzählt und sich

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