Maßstäbe. Helmut Lauschke

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Maßstäbe - Helmut Lauschke

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Bardenbrecht bejaht die Frage, weist aber darauf hin, dass der Tag auch stillere Zeiten hat und genug Gelegenheit gibt, das Gespräch am Familientisch zu führen. Das Gespräch als Brücke der Kommunikation ist von vitaler Bedeutung für jede Familie. Das Kind fühlt sich verloren und verwaist, wenn es diese Brücke nicht gibt. Es braucht die Aufmerksamkeit und Andacht durch das Gespräch, das die Richtung durch die Kinder- und die Schuljahre weist und ihm das Gefühl der Geborgenheit und Hilfe gibt.

      Der Kinderpsychologe fügt hinzu, dass der Lärm nicht nur von der Straße, sondern auch von den bis hintenhin aufgedrehten Radios und Lautsprecherboxen komme. Manchmal sei die Lautstärke so weit hochgedreht, dass man sein eigenes Wort nicht höre. Es sei bekannt, dass Kinder durch den permanenten Lärm früh unter Hörstörungen leiden, wenn sie das normal gesprochene Wort nicht mehr hören.

      Eine Lehrerin beklagt das unfreundliche Verhalten einiger Kinder, die nicht bei der Sache sind, ihre Hausaufgaben nicht machen und durch Zwischenrufe den Unterricht stören. Diese Störenfriede machen die Disziplin zunichte und bringen die Klasse durcheinander. Jungen hänseln Klassenkameraden aufgrund ihrer gestopften und anderswie abgetragenen Hemden, Jacken und Hosen. Kräftige Jungen toben ihre Gewalt an schwächeren Jungen aus. Der Klassengeist, wie er früher die Kinder zur Ordnung, Disziplin und Gemeinschaft führte, existiert nicht mehr. Die Ursache liege im Elternhaus, wo die Kinder sich selbst überlassen sind und eine Erziehung durch die Eltern nicht stattfindet.

      Schuldirektor Schucht stimmt der Beobachtung zu und unterstreicht noch einmal die Rolle der Eltern, die diese in der Erziehung ihrer Kinder zu erfüllen haben. “Es ist die höchste Zeit, dass Eltern die erzieherische Verantwortung an ihren Kindern wieder wahrnehmen und erfüllen. Denn die Erziehung beginnt im Elternhaus und nicht in der Schule. Wie oft habe ich es erfahren, dass sich Eltern über das schlechte Verhalten und den mangelnden Fleiß ihrer Kinder beklagen. Das geht so weit, dass sie die Schule und den Klassenlehrer dafür verantwortlich machen, was natürlich nicht geht. Denn die Schule ist eine Lehr- und Lerneinrichtung und keine Erziehungsanstalt für zu Hause nicht erzogene oder sonst wie schwer erziehbare Kinder.

      Die Eltern können doch an ihren Kindern nicht einfach vorbeileben. Die Kinder müssen Inhalt ihres Lebens sein, und wenn sie es nicht sind, dann wird es höchste Zeit, dass Kinder den Lebensinhalt der Eltern füllen. Wie schon gesagt, spielt dabei das Gespräch in der Familie die ganz wesentliche Rolle. Die Eltern haben den erzieherischen Teil zu erfüllen und nicht auf die Schule abzuladen, die mit der Bildungsarbeit voll ausgelastet ist. Eltern haben den Lehrer in seiner Arbeit zu unterstützen und sich zu vergewissern, dass ihr Kind die Hausaufgaben macht. Lehrer und Eltern müssen verständnisvoll und verantwortlich zusammenarbeiten, wenn aus dem Schüler ein verantwortungsbewusster und motivierter Staatsbürger werden soll. Das ist ohne die Aufgabenteilung Erziehung und Schulbildung nicht möglich.”

      Die Lehrerin stimmt dem Kommentar des Schuldirektors zu. Sie sagt, dass das Prinzip ‘Menschlichkeit’ wieder in die Schule gehört und mit dem Kind auch in die Schule kommt, wenn es vorher in den Familien wieder geweckt und “großgezogen” wird. Wenn die Dinge im Elternhaus in Ordnung gebracht und in Ordnung gehalten werden, dann gibt es auch in der Schule die besseren Leistungen mit den besseren Noten.

      Andere Teilnehmer des Samstagabendgesprächs sprechen die Jugendkriminalität und die Kinderprostitution und Kinderpornographie an, die in alarmierender Weise Ausdruck der gesellschaftlichen Entgleisung und Schieflage sowie des gesellschaftlichen Zerfalls sind. Missionspfarrer Bardenbrecht meint, dass sich die Situation nicht bessern werde, so lange die Eltern die Verantwortung für ihre Kinder nicht wahrnehmen. Große Aufgaben sind zu bewältigen, um die Kinder von der Straße wegzuholen und wieder in die Familien und Schulen zurückzuführen und einzugliedern. Pfarrer Bardenbrecht dankt für die Vorträge und Diskussionsbeiträge und schließt den Abend mit dem hundertsten Psalm:

      Schmettert Ihm zu, alle Lande,

      dient Ihm zur Freude!

      Kommt mit Jubel vor sein Antlitz!

      Erkennt an, dass Er Gott ist,

      der uns gemacht hat.

      Wir sind sein,

      sein Volk, seine Schafe auf seiner Weide.

      Kommt mit Dank in seine Tore

      mit Preisung in seine Höfe!

      Ihm dankt, und segnet seinen Namen!

      Denn Er ist gütig.

      Seine Huld währt über die Tage hinaus,

      und seine Treue hält von Geschlecht zu Geschlecht.

      Es gibt noch einige Gespräche mit den Menschen im kleinen Missionssaal, die Pfarrer Bardenbrecht mit der zuvorkommenden Geduld des Zuhörens verfolgt und die an ihn gestellten Fragen auf die verständlichste Art und Weise beantwortet. Eine Teilnehmerin, eine Dame im mittleren Alter mit den frühen Grausträhnen im zurückgekämmten braunen Haar, berichtet über die zusätzlichen Probleme durch ihr hirngeschädigtes Kind, das mit einem Down-Syndrom geboren wurde. Pfarrer Bardenbrecht denkt bei dieser traurigen Schilderung an seine Tochter, die nach einem Autounfall an epileptischen Anfällen leidet, und wünscht der Mutter Kraft und Zuversicht, nicht zu verzweifeln und dem Kind das Leben mit der verkürzten Lebenserwartung so gut wie möglich zu gestalten.

      Ein Herr, der noch vor der Lebensmitte steht, erwähnt seine Frau, die an einem Brustkrebs erkrankt ist und nach der Operation, bei der ihr eine Brust entfernt wurde, sich der Bestrahlung und Chemotherapie zu unterziehen hat, die ihr den totalen Haarausfall beschert habe. Der Eingriff sei deshalb so dramatisch, weil es zwei kleine Kinder in der Familie gibt, die auf die mütterliche Fürsorge angewiesen sind. Pfarrer Bardenbrecht ist von der Schilderung sichtlich ergriffen. Er fasst die Hände des Vaters und wünscht ihm die Kraft, um die schwere Zeit durchzustehen und seiner Frau beizustehen, und der jungen Mutter die baldige Genesung mit der Heilung von dem bösartigen Tumor.

      Der Saal hat sich geleert, als Pfarrer Bardenbrecht die Fenster schließt, das Licht auslöscht und die Saaltür abschließt.

       Leben, Lucilius, heißt kämpfen. [Atqui vivere, Lucili, militare est. Seneca: Epistulae morales]

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