Pit Summerby und die Magie des Pentagramms. Hans Günter Hess

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Pit Summerby und die Magie des Pentagramms - Hans Günter Hess

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Seltsamerweise berührte ihn diesmal die obligatorische Standpauke seiner Mutter nur wenig.

      „Ist was mit dir?“,

      forschte sie, irritiert von seinem ungewöhnlichen Benehmen.

      „Ist schon ok, nur ein bisschen übertrieben“,

      konterte er, ließ die Beiden stehen und ging hinaus. Boldi kam ihm entgegen, er forderte die übliche Spielrunde ein. Den scheinbaren Kampf um einen Ball mochte er am liebsten. Knurrend hielt er ihn seinem Herrchen vor die Nase. Wenn ihn Pit erwischte, musste er ihn wegwerfen. Er jagte dann hinterher. Irgendwann ebbte auch dieser Spaß ab, und die müde Hundeseele gönnte sich in seiner Hütte eine Mütze Schlaf. Pit kontrollierte danach sorgfältig die Beete im Garten. Seine Oma konnte fürchterlich grantig werden, wenn der Hund bei der wilden Jagd ihre Anpflanzungen zerstörte. Den Garten pflegte sie nämlich mit großer Hingabe, und er präsentierte sich zu jeder Jahreszeit als eine Augenweide. Alle im Dorf wussten das. Gott sei Dank fand Pit nichts. Zufrieden setzte er sich auf die Gartenbank und schweifte nachdenklich mit den Augen über Omas Schmuckstück. Früher stand da eine Scheune. Die gab es nicht mehr. Seine Großmutter hatte oft genug von ihr erzählt. Vor Pits geistigem Auge entstand sie wieder. Er glaubte, jede Ecke des legendären Bauwerks zu kennen, so genau erinnerte er sich an das, was er sich aus ihren Schilderungen eingeprägt hatte. Sie gehörte einst zu dem Bauernhof, mit dem seine Urgroßeltern ihren Lebensunterhalt bestritten. Jetzt gab es nur noch ein Seitengebäude aus dieser Zeit. Darin richteten seine Großeltern in den sechziger Jahren eine kleine Wohnung ein, als der Platz im Wohnhaus knapp wurde. Anfangs lebte dort seine Tante Henriette, bevor sie nach Frankreich zu ihrem Mann zog. Außerdem baute sein Großvater den ehemaligen Kuhstall zu einer kleinen mechanischen Werkstatt um, und die existierte noch. Kurz vor Jules Geburt verstarb er. Um Platz für den Familienzuwachs zu schaffen, zog seine Oma in das kleine Domizil des Nebengebäudes. Auf den Einbau einer Zentralheizung hatte sie damals verzichtet, sie schwor auf ihren Kachelofen, der alle Räume mit einer wohligen Wärme versorgte. Nur das Bad bekam eine moderne Ausstattung mit Sitzbadewanne.

      Pit hielt sich gerne bei ihr auf. Ihre Wohnstube liebte er besonders, sie verströmte einen Hauch vergangener Gemütlichkeit, und das hatte nicht nur etwas mit der Einrichtung zu tun. Da gab es neben unzeitgemäßen Gegenständen wie einem alten Kanapee mit bestickten Deckchen, einer Nähmaschine zum Trampeln sowie einem fast antiquarischen Grammophon auch Gerüche, die das Flair ihrer Wohnung in besonderer Weise prägten, und es gab natürlich sie selbst. Alles gehörte zusammen, bildete eine harmonische Komposition. Aber zu den schönsten Stunden bei ihr zählten die Tage, wenn sie ihre Fitzkuchen buk oder eine der vielen Geschichten erzählte. Dann wünschte sich Pit, diese Momente mögen nie vergehen. Das Fenster der Wohnstube befand sich auf der Hofseite. Heute hatte sie es weit geöffnet. Auf der Fensterbank lag die Kuchenhorde aus Weidengeflecht. Die ersten Fitzkuchen oder Waffeln, wie man neuerdings dieses Backwerk nannte, verströmten einen herrlichen Duft. Pit schlich sich ans Fenster, um sich ein Stück dieser Köstlichkeiten zu stibitzen, doch seine Oma hatte ihn längst erspäht.

      „Willst du wohl deine Finger weglassen!“,

      drohte sie lachend. Pit erschrak und zog blitzartig seine Hand zurück.

      „Du kannst nachher zum Kaffee kommen, wenn sie abgekühlt sind. Sie schmecken dann auch viel besser, sind knuspriger.“

      Sie hatte ihn mit ihrer wohlwollenden Art beschämt. Er bekam stets seinen Anteil, musste nie was heimlich entwenden. Mit gesenktem Kopf ging er zu seinem Fahrrad und werkelte daran herum. Es quietschte etwas, das lag wohl am Ölen. So reagierte er meist, wenn ihn das schlechte Gewissen plagte. Diese Verdrängungstaktik machte ihn neuerdings mehr als früher zu schaffen. In Omas Stube wurde gelacht. Käthe, ihre Nachbarin und Freundin, hatte sich zum üblichen Kaffeeklatsch am Dienstagnachmittag eingestellt. Ein Ritual, das die alten Damen, seit Pit denken konnte, mit Hingabe pflegten. Sie erzählten und witzelten, manchmal tanzten sie auch nach den krächzenden Tönen alter Schallplatten oder sie kicherten wie kleine Schulmädchen. Diese Stimmung, die jetzt ungefiltert aus dem Fenster drang, dazu der Duft des Kaffeetisches, wirkte wie eine heilsame Kraft. Pit sog sie auf wie eine Droge, die allen Griesgram vertrieb. Gleich würde ihn seine Oma rufen, dann musste er sich sorgfältig die Hände waschen, Nachbarin Käthe begrüßen und noch einige andere allgemein unübliche Handlungen vollziehen. In solchen Dingen war sie sehr konsequent, und Pit folgte ihr gern. Als er in die Stube trat, fiel gerade der Name Alfons Meier.

      „Sicherlich haben sie wieder einmal über ihn und seine Geschichten gelacht.“,

      folgerte er. Besagter Mensch unterrichtete die alten Damen nämlich während ihrer Kindheit im Fach Heimatkunde und soll ein sehr kauziges Exemplar gewesen sein.

      Pit begann das vorgegebene Programm abzuarbeiten, dann stand er am gedeckten Kaffeetisch. Seine Oma hatte das beste Geschirr aufgelegt, den selbst gekochten Apfelgelee in einem Kristallschälchen serviert, daneben eine Schüssel mit geschlagener Sahne und dazu ein Krug frischer Kuhmilch gestellt. Als Krönung des Ganzen befanden sich in der Tischmitte auf einem größeren Teller die köstlichen Fitzkuchen. Pit begrüßte gerade artig die Nachbarin, als seine Oma mit dem eben gebrühten Kaffee erschien. Er stand noch, als sie das behaglich duftende Getränk einschenkte und auf jeden Teller einen der Leckerbissen legte. Danach setzte sie sich zu ihrer Freundin aufs Kanapee. Erst jetzt nahm Pit auf einem der beiden Stühle Platz, so wollten es Omas Tischregeln. „So, nun langt zu!“,

      lautete endlich das Stichwort, auf das er sehnsüchtig gewartet hatte. Er wollte sich gerade eine Portion Schlagsahne auf sein Gebäckstück klatschen, da bemerkte er noch rechtzeitig den tadelnden Blick.

      „Der Gast hat immer den Vortritt.“,

      korrigierte seine Oma im belehrenden Ton den vermeintlichen Fehlgriff und reichte Käthe die Schale. Selten widersprach Pit einer von Omas Bemerkungen. Doch diesmal irritierte ihn ihre Logik.

      „Ich bin doch auch dein Gast. Du hast mich ausdrücklich eingeladen, Oma. Was habe ich falsch gemacht?“,

      fragte er mit einem Anflug von Empörung. Lächelnd überhörte sie den Unterton in seiner Stimme.

      „Das ist richtig, Peterle, aber zuerst kommen immer die Älteren, dann die Damen und na ja, dann kommst eben du. Ich glaube, das hat dir schon dein Opa beigebracht, du hast es sicherlich vergessen“,

      sagte sie versöhnlich und reichte ihm nun die Schlagsahne.

      „Tschuldigung“,

      knurrte Pit, was Opa gesagt hatte, besaß für ihn den Charakter des Unumstößlichen, daran gab es nichts zu rütteln. Besser gelaunt vertilgte er jetzt die Hälfte des appetitlich riechenden Kuchens, abwechselnd verfeinert mit Gelee oder Sahne. Die alten Ladys sahen es mit Freuden. Fast überschwänglich lobte er danach Omas unübertroffene Backkunst und machte sie damit sogar etwas verlegen.

      „Wenn es dir geschmeckt hat, war das Freude und Dank zugleich für mich, Peterle. Du musst deshalb nicht gleich übertreiben“,

      dämpfte sie seine anerkennenden Worte. Schweigend lehnte er sich zurück.

      „Wie schön und gemütlich kann das Leben sein, auch mit diesen seltsamen Regeln“, dachte er und starrte auf das Grammophon. ‚Edison’ stand auf dem schwarzen Kasten mit dem riesigen Trichter aus Messing. Im Vergleich zu seinem CD-Player stellte das Gerät ein technisches Monster dar, aber es funktionierte noch. Man musste es nur mit einer Kurbel aufziehen, eine Platte auflegen und die Nadel, die mit dem Trichter in Verbindung stand, in die Rille der Platte setzen, dann kam Musik heraus, falls sie sich drehte. Seine Oma besaß noch mehrere solcher alten, so genannten Schellackplatten aus ihrer Jugendzeit. Auf einer stand ‚Hammerpolka’. Pit hätte sie gern einmal selbst abgespielt, aber

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