Das Lexikon der uncoolen Dinge. Harry Luck

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Das Lexikon der uncoolen Dinge - Harry Luck

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wird, so ist der psychologische Effekt des strukturierten Entrümpelns nicht zu vernachlässigen. Das Gefühl, die in einer Woche gesammelten Joghurtbecher, Saftflaschen und Milchkartons im gelben Sack abholen oder im Plastikcontainer verschwinden zu lassen, dabei kiloweise Ballast abzuwerfen und auch noch die Gewissheit zu haben, etwas Gutes zu tun, ist unvergleichlich befreiend und wird nur noch durch eins übertroffen: den Besuch am Wertstoffhof.

      Viel zu selten hat man die Gelegenheit, die großen Recycling-Parks aufzusuchen, wo riesige Container von unrasierten Müll-Sheriffs in orangefarbenen Westen bewacht werden, die streng darauf achten, dass Papier nicht im Container für Kartonagen landet, Metall nicht beim Sperrmüll und zerlegte Möbel auch wirklich zerlegt sind. Eine Pkw-Ladung darf man dort täglich loswerden, nachdem man tagelang das Laub im Garten gesammelt, Schrankwände in Einzelbretter zerlegt, Umzugskartons platt gemacht oder ausrangierte Computer samt Monitor und Lautsprecherboxen abmontiert – Kabel separat – und zum Abtransport für den Wertstoffhof vorbereitet hat. Es scheint, als habe man den Ballast eines halben Lebens aufgetürmt, der jahrelang ungenutzt im Weg stand, für Klaustrophobie gesorgt und den Wohnraum verkleinert hat. Und dann verschwindet dieser Unrat in Minutenschnelle wie nichts im riesigen Schlund des Müllmonsters und verliert sich innerhalb von Augenblicken im Unrat der gesamten Nachbarschaft, bevor er zermalmt, zerkleinert oder auf andere Weise atomisiert wird. Was noch vor Kurzem wie eine zentnerschwere Last auf Seele und Wohlbefinden drückte, hat sich in Luft aufgelöst - und Platz gemacht für neue Schrankwände, Stehlampen und Computer, die auch irgendwann zum Plunder werden und Anlass für einen neuen befreienden Ausflug zum Wertstoffhof bieten. Nicht umsonst lehren Feng-Shui-Gurus, dass man täglich siebenundzwanzig Dinge wegschmeißen soll, um sein Leben zu erleichtern.

      Das Gerede, Mülltrennung diene nur der Beschäftigung von Gutmenschen und militanten Ökos, ist nichts anderes als die faule Ausrede von ignoranten Klimakillern, die hinter jeder Tonne die Müllmafia vermuten. Mülltrennung schont die Umwelt, spart Ressourcen – und der gebührenfreie Besuch beim Wertstoffhof ist immer deutlich günstiger und manchmal wirkungsvoller als eine langwierige Psychotherapie.

      Opel

      Ein Geschäftsmann berichtet, dass er sich einen neuen Wagen zulegte, nachdem ihn ein Kunde gefragt hat: „Geht es Ihnen schon so schlecht, dass Sie Opel fahren müssen?“ Dass ein Opel als so sexy gilt wie eine Nähmaschine oder ein Kühlschrank, hat vielleicht historische Gründe. Denn der legendäre Firmengründer Adam Opel begann seine Erfolgsgeschichte nicht in einer Garage, sondern in einem Kuhstall. Und dort schraubte er 1863 nicht etwa die ersten Automobile zusammen, sondern produzierte – wirklich wahr – Nähmaschinen. Zu Lebzeiten von Adam Opel hat seine Firma kein einziges Auto hergestellt und war bis in die Vierzigerjahre vor allem mit Kühlschränken erfolgreich. Wenn ein Unternehmen mit dieser Erfahrung in der Nähmaschinen- und Kühlschrankbranche schließlich auf Automobile umsattelt, dann müssen dabei schon sehr einzigartige Fahrzeuge herauskommen.

      Lange bevor der als Brotkasten verspottete Heimcomputer C64 die Welt eroberte, fuhr bereits der Opel-Commodore mit hundertfünfzig PS, sechs Zylindern, Servolenkung, Vinyldach, Sitzheizung und Scheinwerferreinigungsanlage über die deutschen Straßen. Und auch der zum Witzobjekt verkommene Manta, der als Facharbeiter-Porsche bis heute eine Legende ist, hat es wohl neben dem VW Käfer als einziges serienmäßiges Fahrzeug geschafft, ein Leinwandstar zu werden. Einen Opel zu fahren, ist eine Lebenseinstellung, die schon durch die staatstragenden Namen der Modelle deutlich wird: Olympia, Kapitän, Senator, Admiral, Diplomat und Rekord klingt einfach anders als Polo, Avensis, Hilux, CX7, Z3 oder SLK.

      Auch wenn die Modelle heute Astra, Omega und Zafira heißen, gilt immer noch: „Opel faahn iss wie wennze fliechst.“ Und wer unbedingt mal Mercedes fahren will, der kann ja jederzeit ein Taxi rufen.

      Die Glaubensfrage der Mittelschicht lautet immer noch: „Ford oder Opel?“ Die Antwort ist eindeutig, nicht nur wegen der Unterstützung nicht systemrelevanter Arbeitsplätze in der heimischen Automobilindustrie. Ein Slogan wie „Opel Kadett – kurz gesagt O.K.“ fällt wohl heute keinem Werbestrategen mehr ein. Inzwischen wurde Grand-Prix-Siegerin Lena Meyer-Landrut für kurze Zeit zur Werbeikone des Rüsselsheimer Autobauers. Wenn das mal nicht sexy ist!

      Prenzlberg

      Hier wohnen die Künstler, die Kreativen, hier geht man in autonome Szeneklubs: Der Prenzlberg – wie Insider ihren Ostberliner Kiez nennen – ist das neue Kreuzberg. Absolut Underground, completely alternative.

      Klingt cool. Stimmt aber alles schon lange nicht mehr. Nach der Wende war der Prenzlauer Berg eine Weile das, was sich heute noch jene vorstellen, die um dieses zaunlose Getto der Bürgerlichkeit einen großen Bogen machen und „Helmi“ und „Kolle“ für Figuren aus der Sesamstraße halten und nicht für Helmholtz- und Kollwitzplatz. Heute ist das Prenzlauer Gebirge ein etabliertes Wohnviertel für gut verdienende Jungfamilien, die ihren Nachwuchs auf Stoppersocken zum Kinder-Yoga schicken. Über hundertfünfzigtausend Menschen, also so viele wie allein in Potsdam, leben im Prenzlauer Berg. Jawohl, man lebt nicht „in“ oder gar „auf“, sondern „im“ Prenzlauer Berg. Allein rund um den Helmholtzplatz drängen sich fünfundzwanzigtausend Einwohner auf einen Quadratkilometer. Die Hälfte der Prenzlberger ist im gebärfähigen Alter – doppelt so viele wie im Rest der Republik – und macht von dieser Fähigkeit auch regen Gebrauch. Drei von vier Einwohnern sind Akademiker, der vierte wird von der „Generation Buggy“ im Kinderwagen von Spielplatz zu Spielplatz geschoben oder in eine Kita gebracht, die in einer ehemaligen Schwulenkneipe aufgemacht hat – gleich neben der Hebammenpraxis, die einen Pornoladen verdrängt hat. Prenzlauer Berg ist Pregnancy Hill.

      Die Coolen haben längst Reißaus genommen. Die legendäre Kastanienallee ist zu einer Bummelpromenade und einer Castingallee geworden. Der Szeneklub White Trash an der Schönhauser Allee suchte ein neues Quartier in Friedrichshain – mit der Begründung, der Prenzlauer Berg sei zu spießig geworden. Nachbarn hätten sich über die laute Musik beschwert, und die Miete sei unbezahlbar geworden. Die Toleranzgrenze gegenüber nächtlicher Ruhestörung verläuft auf der Höhe von Altbau-Dachgeschosswohnungen umgekehrt proportional zu den Mietpreisen. Tatsächlich zahlt man zum Beispiel an der Kollwitzstraße bis zu zwölf Euro pro Quadratmeter „nettokalt“ im Altbau. Für einen Neubau werden gar 16,50 Euro berappt – das Dreifache der Mietpreise in Marzahn oder Spandau. Mit dieser Wilmersdorfisierung der Wohnungspreise wird die Zuwanderung gezielt gesteuert. Wer sich ein gutbürgerliches Leben des modernen Spießers nicht leisten kann, muss leider draußen bleiben. Wer es sich nicht leisten will, weil er zu cool dafür ist oder eine Pampers- und Pastinaken-Allergie hat, bleibt freiwillig draußen. Der Schriftsteller Maxim Biller, sicher auch einer der Coolen in der Literaturszene, nennt den Prenzlauer Berg abfällig „national befreite Zone“. Ein Reiseführer drückt es anders aus: „Miesmacher werfen Prenzlauer Berg vor, gentrifiziert und spießig geworden zu sein.“ Das Prädikat „einfach hübsch“ wird hinterhergeschickt. Auch der Baedeker stellt nüchtern fest: „Die autonom-alternativen Zeiten von ‚Prenzl. Berg‘ neigen sich auch schon wieder dem Ende zu.“ Netter formuliert könnte man sagen: Hier genießt der moderne Apfelschorle-Biedermeier Milieuschutz. Die Wahrheit ist: Kreuzberger Nächte sind lang, im Prenzlauer Berg sind die Nächte meist kurz – junge Eltern werden das bestätigen; und lang ist meist die Schlange bei Konnopke’s Imbiß an der Schönhauser Allee, wo es seit über achtzig Jahren bekanntlich die beste Currywurst der Welt gibt: Die ist schärfer als jedes Thaicurry und stellt alle Running Sushis in den Schatten. Und hartnäckig hält sich das Gerücht, dass an einer Kneipe im Prenzlauer Berg immer noch das Schild an der Tür hängt: „Kein Milchkaffee.“ Ich antworte: „Hier trink ich Filterkaffee, hier darf ich sein.“

      Korrekte Rechtschreibung

      Freiheit ist bekanntlich auch immer die Freiheit des Andersdenkenden.

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