Das Lexikon der uncoolen Dinge. Harry Luck

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Das Lexikon der uncoolen Dinge - Harry Luck

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Cork. Von Freiburg über Kiel bis Regensburg – dort sowieso – liegt also die Regen-Wahrscheinlichkeit an jedem Tag des Jahres bei deutlich über fünfzig Prozent. Wer also ohne Schirm auf die Straße geht, verkennt schlichtweg die Realität und begibt sich sehenden Auges in die Gefahr, auf offener Straße durchnässt zu werden. Und im Vergleich zum Sonnenbrillenträger, der hinter den getönten Augengläsern seine Gefühle und sein wahres Ich verbirgt, ist der Schirmträger ein Gentleman, der bei drohendem Nass von oben jederzeit der Dame seines Herzens Schirm und Geleit andienen kann – Knirps sei Dank.

      Übrigens: Dass der geniale „Mister Knirps“ ausgerechnet aus Solingen und damit aus meiner bergischen Heimat stammt, kann kein Zufall sein.

      Filterkaffee

      Zugegeben: So ein Kaffeevollautomat mit Cappuccinodüse, Thermoblock-Heizsystem, automatischer Pulvererkennung, digitaler Verkalkungsanzeige, One-Touch-Automatik und LED-Tassenbeleuchtung ist ein imposantes Küchenmobiliar. Doch wenn man bereit ist, für eine Kaffeemaschine mit der Technologie eines Spaceshuttles so viele Scheine wie für einen Gebrauchtwagen hinzulegen, dann bezahlt man buchstäblich einen hohen Preis: Man verzichtet auf den guten alten Filterkaffee.

      Ich will hier jetzt nicht über Geschmack reden. Und ich rede auch nicht über die im öffentlichen Dienst verbreiteten monströsen Brühvorrichtungen, in denen eine braune Plörre so lange vor sich hin köchelt, bis sie nach Heizöl schmeckt. Bekanntlich ist der Kaffeekonsum, ähnlich wie die Zigarettenpause, ein Zeremoniell, bei dem die Vorbereitung den wahren Genuss darstellt. Ist es nicht ein einmaliger Vorgang, die Dose mit dem Kaffeepulver zu öffnen, woraufhin eine erste Prise des einzigartigen Dallmayr-Jacobs-Eduscho-Aromas in die Nase steigt, den Melitta-Filter mit Daumen, Zeige- und Mittelfinger auseinanderzudrücken und mit den wohldosierten Portionen eines Speziallöffels das braune Gold in die Filtertüte zu füllen? (Kenner durchspülen die Filtertüte erst mit Wasser, damit sie den Papiergeschmack verliert.) Nach sanftem Druck leuchtet der transparente Kippschalter rot auf und mahnt noch zur Geduld. Ein faszinierendes Röcheln und Gluckern lässt dann keinen Zweifel mehr daran, dass in wenigen Augenblicken die ersten braunen Tropfen mit einer Temperatur von 92 Grad in der Glaskanne niedergehen werden. Während dieser kostbaren Minuten, vielleicht die schönste Zeit des Tages, erfüllt sich der Raum mit einer einzigartigen Kombination aus Duft von Kaffeearoma und dem hingebungsvollen Blubbern der Maschine.

      Anders als eine Tasse Espresso, die so schnell hinuntergekippt ist, wie der Vollautomat sie ausgespuckt hat, bildet die dampfende Kanne den Mittelpunkt der Kaffeetafel und lädt ein zur geselligen Kommunikation: „Oh, ist Ihre Tasse schon leer?“ – „Darf ich nachschenken?“ – „Mit Milch und Zucker!“ - „Möchte noch jemand einen Schluck?“ – Und schließlich: „Soll ich noch eine Kanne kochen?“ Der Filterkaffee auf dem Tisch jedenfalls gewährleistet einen ununterbrochenen Strom von Flüssigkeit und Redefluss und macht das Kaffeetrinken zu einem gesellschaftlichen Kollektivereignis, während die Espressionisten mit ihren Vollidiotautomaten, die auch im Businessanzug einen „Latte to go“ im unsäglichen Pappbecher aus der „Brew Bar“ mitnehmen, die Koffeinzufuhr zu einer egomanischen Selbstbefriedigung degenerieren. Damit eins mal klar ist: Kaffee gehört in Tassen, nicht in Becher!

      Verstehen Sie mich nicht falsch: Es ist selbstverständlich ein Zeichen der Völkerverständigung, wenn ich im Urlaub den italienischen Cappuccino, den französischen Café au lait, den türkischen Mocca und den spanischen Cortado genieße, aber umso selbstbewusster und mit einer gesunden Portion Patriotismus dürfen wir Deutschen auch unseren guten, alten Filterkaffee mit Bärenmarke-Kaffeesahne trinken und uns geehrt fühlen, wenn man uns im Touristenhotel in der Toskana mit „deutschem Kaffee“ ein heimatliches Gefühl bieten will – und für einen „deutschen Cappuccino“ zum Filterkaffee eine Dose Sprühsahne reicht.

      Bausparen

      Zu den prägendsten Kindheitserinnerungen aus dem elterlichen Wohnzimmer gehören neben der Schrankwand die TV-Werbespots für Ariel mit Clementine, für Schauma-Shampoo und diverse Bausparkassen, deren Slogans uns bis heute im Ohr klingen: „Auf diese Steine können Sie bauen – Schwäbisch Hall“, „Wir geben Ihrer Zukunft ein Zuhause – LBS“ oder „Wünsche werden Wüstenrot“. Zu den jahrelang ungeklärten und später vergessenen Rätseln der Kindheit gehört die Frage: Was ist eigentlich der Wüstenrot-Tag? Der 31. Dezember war gemeinhin als Silvestertag bekannt; vom Wüstenrot-Tag dagegen war immer im Fernsehen die Rede, dort dafür aber mit einer solchen Vehemenz, dass man befürchten musste, der Wüstenrot-Tag sei im Maya-Kalender verzeichnet und das Verpassen dieses magischen Datums hätte eine persönlich-finanzielle Apokalypse zur Folge. Doch schon damals lernte man: Nach dem Weltuntergang ist vor dem Weltuntergang, der nächste Wüstenrot-Tag, nachdem er folgenlos verstrichen war, würde nicht lange auf sich warten lassen – welcher Mythos auch immer dahinter verborgen war.

      Um es nicht zu spannend zu machen und das Rätsel aufzuklären: Für Bausparer gibt es sogenannte Bewertungsstichtage, an denen die Bewertungszahl festgelegt wird, die für die Zuteilung eines Bausparvertrages wichtig ist. Meistens sind die Stichtage vierteljährlich zum Quartalsende: Man sollte also bis zum 31. noch rasch einzahlen, um bessere Vertragskonditionen zu bekommen. Warum allerdings unbedingt der Vertrag am 30. September immer unbedingt besser sein soll als am 31. Dezember, ist mir nach wie vor schleierhaft und erinnert an den immerwährenden Slogan für Sonderangebote, die „nur für kurze Zeit“ im Regal stehen. Und zwar alle paar Wochen.

      Wie dem auch sei: Wenn man sich über verschiedene Formen der Altersvorsorge informieren möchte, liest man immer gleich zu Beginn, dass Bausparen ja eigentlich als sehr spießig gelte, das in Wahrheit aber schon lange nicht mehr sei. Die Penetranz mit der uns die These „Bausparen = nicht spießig, sondern cool“ in die Köpfe gehämmert werden soll, macht stutzig. Und es ist frappierend, dass die LBS dieses Thema für einen Werbespot aufgegriffen hat, der inzwischen Kult geworden ist: Ein Mädchen erzählt seinem Hippie-Vater – gespielt von Ex-Tatort-Schauspieler Ingo Naujoks – von den Mitschülern, die im großen Haus ein eigenes Zimmer oder einen Garten auf dem Dach haben, von dem aus man die ganze Stadt sehen kann. „Das sind Spießer“, sagt der Vater abfällig, den die Tochter nur mit dem Vornamen Horst anspricht. Darauf die Tochter: „Wenn ich groß bin, möchte ich auch mal Spießer sein.“

      „Wir befanden uns mit dem Bausparthema schließlich im Epizentrum der Spießigkeit“, räumt Carsten Heintzsch ein, der diesen Spot entwickelt hat.

      Monatlich in einen Bausparvertrag einzuzahlen mit dem Ziel, in einigen Jahrzehnten das Geld für ein Eigenheim beisammen zu haben, ist gewiss alles andere als cool und hip. Dabei ist die Idee genial: Angenommen, zehn Bauherren sind in der Lage, jährlich zehntausend Euro zurückzulegen für ein Haus, das hunderttausend Euro kostet: Erst nach zehn Jahren hätte ein Einzelner das Geld gespart. Tun sich aber zehn Bausparer zusammen, ist bereits nach einem Jahr das Geld für das erste Haus angespart. Nach einem weiteren Jahr kann das zweite Haus gebaut werden und so weiter.

      Aber all die flippigen Investmentbanker, die Milliarden von Euros verzockt haben, wären wohl heute froh darüber, selbst einen uncoolen Bausparer mit Wohn-Riester auf der hohen Kante zu haben. Und wer sich als Bausparer mit einem bescheidenen Zinssatz begnügt, dafür aber die Ausdauer für ein Langzeitsparziel hat, der beweist, dass er an sich und die Zukunft glaubt. Das sagt auch die gewiss nicht als spießig geltende Schauspielerin Nora Tschirner (Keinohrhasen, Zweiohrküken): „Ein Bausparvertrag kann das Punkigste auf der Welt sein – wenn man weiß, dass das einen selbst glücklich macht, weil man weiß, dass man da so ein Sicherheits-Ding hat, das einen einfach freier macht.“

      Entstanden ist die Idee des kollektiven Sparens bereits zweihundert Jahre vor unserer Zeit in China, als während der Han-Dynastie gemeinnützige Spargesellschaften gegründet wurden. Die erste Bausparkasse entstand 1775 in Birmingham, 1885 eröffnete Pastor von Bodelschwingh

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