Das Lexikon der uncoolen Dinge. Harry Luck

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Das Lexikon der uncoolen Dinge - Harry Luck

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unbemerkt – bis zu seiner Entlassung. Gefeuert wurde er allerdings nicht, weil er des dauerhaft organisierten Diebstahls überführt worden wäre, sondern weil seine Abteilung aus betriebsbedingten Gründen aufgelöst wurde. Er arbeitet heute in der Buchhaltung der Kreissparkasse. Womit er seinen Bausparvertrag füllt, möchte ich lieber nicht wissen.

      Sich dort fremden Eigentums zu bemächtigen, wo die Sanktionsmöglichkeiten gegen null tendieren, ist nicht cool, sondern feige. Und den wahren Kick gibt mir das gute Gewissen, eine Zeitung, einen Christbaum oder eine Milchtüte auch dann bezahlt zu haben, wenn der Diebstahl ein Kinderspiel gewesen wäre.Greatest Hits und Musik-Sampler

      Man muss schon ein sehr großer Fan sein, um sich alle dreißig Rolling-Stones-Alben ins Regal zu stellen. Und man muss wohl ein noch größerer Fan sein, um ihre Hunderte von Songs alle gleich gut zu finden. Aber auch Queen, Chris de Burgh, Peter Maffay oder Pur können gar nicht so genial sein, dass jedes ihrer musikalischen Werke gleichermaßen vollkommenen unübertrefflich durch die Boxen klingt. Denn, liebe Chartbreaker, mal Hand aufs Herz: Da wird doch oft genug in letzter Minute noch das ein oder andere eigentlich unbrauchbare Stück als Füllmaterial auf die Platte gepresst, weil der Veröffentlichungstermin bedrohlich näher rückt und noch wenigstens ein zehnter Track für das Album fehlt, der es eigentlich nicht einmal auf die B-Seite einer Single schaffen würde. Und was ist mit den überflüssigen Songs, mit denen die Rockröhre beweisen will, dass sie auch Jazz, Soul oder Blues beherrscht – oder der Gangster-Rapper, der für seine Schwiegermutter eine Schlagerschnulze aufgenommen hat: Lieder, die die Welt nicht braucht!

      Nun hat man also die Möglichkeit, seine Stones-Alben der Reihe nach durchzuhören und mit der Skip-Taste von Lieblingssong zu Lieblingssong zu springen - oder man legt einfach eine Best-of-Scheibe ein und verlässt sich darauf, dass ein Ohrenschmaus dem anderen folgt. Was kann daran verwerflich sein, wenn dann ein Titel aus den Sechzigern einem aus den Achtzigern folgt und die Reihenfolge nicht von den Künstlern dramaturgisch arrangiert ist?

      Und warum soll man sich Cats oder die fünfte Symphonie von Beethoven komplett anhören müssen, wenn man doch nur auf das geträllerte „Moonlight“ oder das hämmernde „Da-da-da-daaaaa“ wartet? Wer Musik zur Unterhaltung hört, sollte sich doch darauf verlassen können, dass sich die Macher von Samplern wie „Kuschel-Rock“, „Feten-Hits“, „Best of Phantom der Oper“ oder „Hundert Meisterwerke der Klassik“ bei ihrer Auswahl etwas gedacht haben und dem Hörer das Überspringen von Füllmaterial abnehmen. Auch thematische Sampler von „Neuer Deutscher Welle“ über „Schlager“ bis „Hits aus den Achtzigern“ gehören in jedes Archiv, damit in jeder Lebens- und Liebeslage die richtige musikalische Untermalung mit drei Handgriffen (1. Hülle öffnen, 2. Scheibe zwischen Daumen und Mittelfinger klemmen und 3. einlegen) abspielbereit ist. Das ist sinnlicher und haptischer, als auf dem Smartphone eine Youtube- oder Spotify-Playlist zu programmieren oder den USB-Stick an den Multimedia-Fernseher anzuschließen. Wie belanglos und sinnentleert erscheint doch ein Ladevorgang bei iTunes im Vergleich zum Stöbern im Plattenregal!

      Und wer jetzt meint, dass Käufer von Best-of-Alben nichts zum Stöbern haben, der irrt gewaltig: Allein die Rolling Stones haben über ein Dutzend Greatest-Hits-Sampler veröffentlicht!

      Pauschalurlaub in Deutschland

      Urlaub soll der Erholung dienen, das steht schon so im Arbeitsrecht. Wer also nach dem täglichen Überlebenskampf im Büro auch noch seine Ferienzeit damit zubringen will, gegen Moskitos, korrupte Kellner oder radebrechende Fremdenführer und Taxifahrer zu kämpfen, der soll doch einen Individualurlaub mit Zelt und Rucksack machen – sich danach aber nicht beklagen, wenn die Erholung auf der abenteuerlichen Survivaltour auf der Strecke bleibt.

      Was zeichnet denn Urlaub und Entspannung aus? Man muss sich um nichts kümmern, bekommt alles hinterhergetragen, trifft nur Menschen, die einem wohlgesinnt sind und die gleiche Sprache sprechen, und ein rotes Bändchen am Handgelenk legitimiert zum unbeschränkten Verzehr von Speisen und Getränken, die man gefahrlos konsumieren kann, weil der deutsche Magen an sie gewöhnt ist und Montezumas Rachegelüste erst gar keine Chance zur Entfaltung bekommen. Wer möchte schon seine hart verdienten Urlaubstage mit Lebensmittelvergiftung im Hotelzimmer verbringen und auf den „Global Doctor“ warten. Schweinsbraten und Kaiserschmarren schmecken schließlich weltweit gleich gut - und da weiß man, was man hat. In Australien warnen Schilder davor, dass Frauen während der Menstruation nicht ins Wasser gehen sollen, um keine Haie anzulocken. Und in Thailand gibt es Quallen, deren Gift ausreicht hundert Menschen zu töten. Kein Witz.

      Das erste Abenteuer eines sogenannten Individualurlaubs beginnt ja bereits mit dem Weg zum Flughafen und allen damit verbundenen Gefahren, sich am Terminal zu verirren, den Check-in-Schalter nicht zu finden oder den Flieger zu verpassen, weil man mit dem Auto im Stau steht. Da ist es doch viel komfortabler, sich vom klimatisierten Reisebus in Wurmannsquick oder Radevormwald vor der Haustür abholen zu lassen und sein Schicksal in die kompetenten Hände von vielsprachigen, hochgebildeten Alleinunterhaltern zu legen: Der hochgestreckte Regenschirm in der Hand verleiht ihnen ähnliche Autorität wie die Verkehrskelle einem Polizisten und der Bischofsstab einem Oberhirten. Sie kennen nicht nur alle Insider-Geheimtipps, die in keinem Baedecker oder einem meist englischsprachigen Lonely-Planet-Reiseführer stehen. Sie führen einen zielsicher zu Teppich-Basaren und Schmuck-Werkstätten, wo unschlagbare Schnäppchenangebote locken – inklusive günstigem Versand in die Heimat. Und sie verhindern, dass man auf betrügerische Straßenhändler hereinfällt, die einem ein T-Shirt mit der in fremder Sprache gedruckten Aufschrift verkaufen: „Ich bin ein Tourist, bitte rauben Sie mich aus!“

      Warum soll man sich freiwillig in die Situation begeben, auf einer griechischen Insel die Orientierung zu verlieren, weil man kein einziges Straßenschild entziffern kann? Warum soll man sich freiwillig größeren Gefahren aussetzen als einem Sonnenbrand am hoteleigenen Strand oder einer unerwarteten Begegnung mit den Kegelbrüdern aus der Heimat?

      Natürlich muss es nicht immer eine von vorn bis hinten durchorganisierte All-inclusive-Neckermann-Reise sein. Es gibt auch eine Form von Individualurlaub, die keine Wünsche offen lässt und auch für Flugangst- und Tsunami-Paranoiker hundertprozentig geeignet ist: Ferien auf dem Bauernhof im Bayerischen Wald mit täglich frischer Milch und Frühstücksei. Das wird auch nach fünfundzwanzig Jahren nicht langweilig, wenn irgendwann die Kinder mit ihren Kindern auf demselben Hof im Kuhstall spielen, und man weiß immer, welche Briefmarke man auf die Ansichtskarte an die Daheimgebliebenen zu kleben hat. Und mal ehrlich: Schweinsbraten und Kaiserschmarren schmecken doch immer noch zu Hause am besten.

      Wertstoffhof

      Jeder kennt wohl jemanden, der jemanden kennt, der schon mal gesehen haben will, wie Arbeiter am Bahnsteig die für Papier, Plastik und Restmüll separierten Abfallbehälter bei der Entleerung skrupellos zusammenschütten. Mit dem Fazit: Mülltrennung ist Lug und Trug und dient nur zur Beruhigung des Gewissens der Müllverursacher. Und deshalb werden vermutlich, so die Verschwörungstheoretiker, die Inhalte von gelber, grüner, blauer, grauer und brauner Tonne von der Müllmafia auch ebenso skrupellos auf Deponien zusammengekippt.

      Vermutlich allerdings haben nur die wenigsten wirklich mit eigenen Augen ein solch ungeheuerliches Vorgehen beobachtet. Denn die Faktenlage spricht eindeutig für den ökologischen Effekt des sortierten Abfalls. Papier kann inzwischen bis zu acht Mal wiederverwendet werden, ohne dass ein einziger Baum dafür sterben muss. Aus altem Plastik werden Eimer oder Pullover, Biomüll wird in Kraftwerken zur Energiegewinnung genutzt. Insgesamt ist das Recycling längst zu einer lukrativen Branche geworden, die in Deutschland zweihundertfünfzigtausend Menschen beschäftigt und fünfzig Milliarden Euro Umsatz erwirtschaftet.

      Auch wenn sich Dosenpfand auf Vaterland reimt, befinden sich unter den Mülltrennern nicht mehr ideologisch verblendete als unter den Glas-in-den-Papierkorb-Werfern.

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