GEN CRASH. Peter Schmidt

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Rhetorik? Ein Spiel mit Worthülsen – Selbsttäuschung? Wenn nicht das, was dann eigentlich? Wozu ein armes Kind aus dem Brunnen retten, wenn es später als Erwachsener nicht mal an einem Swimmingpool irgendwo in Acapulco liegen und sich eisgekühlte Cocktails servieren lassen kann?

      Etwa, um hehren Gedanken nachzugehen? Sich selbst davon zu überzeugen, wie unerhört sozial nützlich man ist?

      Früher, als Kind, hatten viele Dinge eine ganz eigene Ausstrahlung für mich, sie erschienen in anderem Licht.

      Ein grünblauer Aschenbecher war nicht einfach nur ein Stück billiges Glas, sondern ein Edelstein aus fernen Ländern, und ein simpler Brieföffner hatte die Aura des großen Geheimnisses. Er war Waffe und Zauberstab, er kündete von vergangenen und zukünftigen Taten. Wir haben viel von dieser spontanen Bejahung verloren – man hat sie uns ausgetrieben, Amb."

      Das alles klang wie ein später Rechtfertigungsversuch. Margrit kam aus der Küche mit einer Platte billigem Aufschnitt, drei hartgekochten Eiern und aufgebackenem Fladenbrot zurück. Sie kaufte beim türkischen Lebensmittelhändler immer das Brot vom Vortag, um ein paar Pfennige zu sparen; ihrer Meinung nach war es aufgebacken genauso gut wie frisches Fladenbrot. Man durfte nur keinen Tag länger damit warten, dann wurde es zu trocken. Das Ganze sah geradezu bedrückend ärmlich aus. Ich konnte mir ein Lächeln nicht verkneifen, so auffallend legte es ihre sparsame Platte darauf an, Sehlens materialistischen Visionen hohnzusprechen. Die Jagdwurst war beschlagen, und auch die Gurkenscheiben hatten einen blassgrünen Schimmer angenommen, als sei alles mit denselben Krankheitskeimen infiziert.

      "Na also, Sie lachen ja schon wieder, Amb. Was ist Ihnen denn eigentlich so auf den Magen geschlagen? Ihre Frau sagte mir, dass Sie eine empfindliche Verdauung haben?"

      "Hatten Sie das hier schon vermisst?" Ich zog den unbeschriebenen Umschlag mit dem leeren Blatt aus der Tasche. "Hab's damals in Holland vergessen, an Sie weiterzugeben, als ich den Briefkasten leerte."

      Er kniff die Augen zusammen und streckte seine Hand aus. Nachdem er den Brief untersucht hatte, legte er unauffällig seinen Finger vor die Lippen und bedeutete mir, ihm zur Veranda zu folgen. Margrit, die noch mit den Schnittchen beschäftigt war, sah uns fragend nach. Das Brotmesser in ihrer Hand schwebte über der Aufschnittplatte. Sehlen öffnete die Verandatür und sog schnaubend die kühle Abendluft ein.

      "Das ist ein großer Augenblick, Amb", sagte er, als wird draußen am steinernen Verandageländer standen. Man hörte das Läuten von Kirchenglocken, in das sich heiseres Hundegebell mischte. Aus dieser Entfernung sahen die Hausdächer zwischen den Baumkronen wie Zeltlager aus. "Unser Mann im Kreml arbeitet jetzt. So viele Monate der Vorbereitung – und nun der Sieg. Halleluja. Ich werde richtig sentimental, mein Lieber." Er wischte sich mit angewinkeltem Zeigefinger eine unsichtbare Träne aus dem Augenwinkel. Ich kam mir fast ein wenig schäbig vor bei dem Gedanken, ihm Informationen dieses Kalibers so lange vorenthalten zu haben.

      "Ich konnte nicht ahnen, dass der Umschlag wichtig war."

      "Schon in Ordnung " Er drückte ergriffen meine Hand. "Nein, natürlich nicht. Ich musste in einer dringenden Angelegenheit nach Belgien. Wie hätten Sie denn wissen sollen, dass wir einen leeren Briefumschlag als Zeichen vereinbart hatten? Daraus macht Ihnen niemand einen Vorwurf. Kommen Sie, gehen wir wieder rein zu Ihrer Frau. Das muss begossen werden!"

      "Glauben Sie nicht auch, dass unsere Arbeit zum Schönsten gehört, was man in der Politik bewirken kann, Adrian?" Er hatte zum ersten Mal seine Jacke ausgezogen und saß in Hemd und Schlips da. Margrits Aufschnittplatte riss ihn manchmal zu kleinen Ausrufen der Begeisterung hin. "Halten Sie mich für zynisch oder nicht – im Grunde machen wir doch selber nur in Glasnost, wenn auch gegen den Willen der anderen Seite. Und das, lange bevor man im Kreml solche Ideen zu propagieren begann. Transparenz auch in der Politik. Wir treiben ein Stück Aufklärung im guten alten klassischen Sinne."

      "Wenn ich manchmal skeptisch bin, dann hauptsächlich, weil es zu Konfrontationen führt."

      "Ja, Sie haben recht, Adrian. Ich verstehe vollkommen, was Sie damit sagen wollen."

      "Es reißt Fronten auf."

      "Natürlich ist es außerdem auch noch ein ganz klein wenig unmoralisch."

      "Glauben Sie wirklich, dass man dabei von Unmoral reden kann?", fragte Margrit.

      "Wir denken zuviel über unsere Haltung nach", meinte Sehlen. "Wir sind zu kopflastig geworden. Man sollte die Sache mit mehr Instinkt angehen."

      "Wie ein unverbildetes Tier", stimmte Margrit ihm zu. Sie lachte über ihren kleinen Scherz. Dass Sehlen sich so bereitwillig als Müllschlucker für ihre Küchenabfälle hergab, schien ihr zu gefallen. In ihren Augen war ich ein quengeliger Esser, dem man nichts recht machen konnte.

      "Adrian sollte uns ruhig mal was über seine tieferen Motive erzählen", sagte Sehlen und kniff erwartungsvoll die Brauen zusammen. Er spielte mit dem Ende seines Schlipses; es hatte beim Einschütten eine Glasur aus Cointreau abbekommen, wahrscheinlich fühlte es sich steif und klebrig an.

      "Über meine Arbeit?", fragte ich.

      "Natürlich, Addi, was denn sonst?", sagte Margrit. "Du bist nie so richtig mit der Sprache rausgerückt, wie du eigentlich darüber denkst."

      "Er ist und bleibt der große Einzelgänger", meinte Sehlen.

      "Geheimniskrämer", ergänzte sie.

      "Ich wüsste nicht, was es darüber zu sagen gäbe."

      "Sie müssen doch irgendeinen Grund haben, warum Sie so lange die rechte Hand der Chefs geblieben sind? Warum Sie den Thron verschmähten? Überhaupt kein Stachel im Fleisch, Adrian? Und warum Sie nicht gleich in die Industrie oder ins Bankgewerbe gingen, falls dahinter irgendeine Aversion gegen unsere Arbeit steckt? Mit Ihrem Hang zur Buchhaltung – ich meine das überhaupt nicht abwertend."

      "Oh, dazu gibt es wenig zu sagen."

      "Immer noch besser als gar nichts."

      "Es ist eine Arbeit wie jede andere."

      "Na, da flunkern Sie aber ein bisschen", erklärte Sehlen. Er drohte scherzend mit dem Zeigefinger.

      Margrit stand auf und murmelte etwas wie: "Ach herrje, nun hätte ich fast vergessen, dass ich Slava kurz vor acht mit dem Wagen zum Bahnhof fahren soll "

      "Läuft er denn schon wieder, Liebes?"

      "Herbert hat den Motor nachgesehen – nur der Zündkontakt. Er war völlig verdreckt, du solltest öfter mal die Kontakte wechseln lassen, Adrian." An der Garderobe fiel ihr plötzlich ein: "Vielleicht versteckt er sich ja bloß vor dem wirklichen Leben, Ronald."

      Es war nicht ganz klar, ob sie Herbert oder mich meinte.

      "Ausgerechnet in den Diensten?" Sehlen legte es sofort auf seine Art aus.

      "Warum nicht? Wo alles im geheimen spielt, da kann man ruhig mal ein Schläfchen wagen, oder?"

      Sie schlug alle Rekorde in Spitzzüngigkeit an diesem Abend, aber ich verbis mir jeden Kommentar. Das alles würde doch nur wieder dazu führen, dass sie Slava gegen mich aufbrachte. Frauen unter sich sind eine Macht, was die Kunstfertigkeit im Irrationalen anbelangt, gegen die nicht mal ein Altmeister der Logik wie Aristoteles angekommen wäre.

      Als sie die Haustür hinter sich zugezogen hatte, sagte Sehlen:

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