Unter Piraten. Miriam Lanz
Чтение книги онлайн.
Читать онлайн книгу Unter Piraten - Miriam Lanz страница 16
„Gw… Vic“ Gwyn rang sich den Hauch eines Lächelns ab. Der Junge nickte und tauchte das Tuch wieder in den Eimer.
„Tut es sehr weh?“, fragte er nach einiger Zeit.
„Höllenqualen könnten wohl nicht schlimmer sein“, ächzte Gwyn. Ben nickte mitleidig.
„Ich dacht´ schon, du würdest gar nich´ mehr aufwachen. Immerhin warst du fast zwei Tage bewusstlos.“
Gwyn nickte bei den bekannten Worten langsam. Henry hatte auf der ‚Mercatoris’ beinahe das Gleiche gesagt, als sie aufgewacht war. Das alles schien schon so lange her zu sein….
„Weißt du“, fing Ben wieder an, „der Kapitän wollt´ dich erst an Deck liegen lassen. Einfach so, wie du warst. Aber dann, am Abend, sagte er, ich soll mich um dich kümmern, weil ich doch eh´ zu blöd für was anderes wär´.“
Gwyn war Bens trauriger Blick bei seinen Worten nicht entgangen.
„Also… so viel ich weiß, werden nur Leute mit einem gewissen Talent beauftragt, sich um Verletzte zu kümmern.“ Der Junge lachte sarkastisch auf.
„Ja, dass stimmt vielleicht in der normalen Welt, also bei der Navy oder so, aber sicher nicht wenn man Pirat is´.“
„Dann bist du also auch nicht gerne hier?“
„Ich hab´ mich nich´ gerade freiwillig gemeldet, aber ich hatte eigentlich keine große Wahl“, begann er. „Mein Vater is´ vor vier Jahren gestorben. Meine Mutter hat mich vor zwei Jahren vor die Tür gesetzt, weil sie nich´ genug Geld hatte, um uns alle durchzufüttern. Ich hab´ nämlich noch fünf Geschwister. Das erste Jahr hab´ mich mit Tagesarbeit durchgeschlagen. Danach heuerte ich auf einem Handelsschiff an. Na ja, und das wurde vor gut zwei Monaten von Blackbeard angegriffen und ich kam hierher. Das war ja bei dir auch nich´ viel anders, nach dem, was ich so gehört hab´“.
Gwyn nickte. “Ja, ungefähr so kam ich auch hierher. Nur die Vorgeschichte war ein klein wenig anders.“
Ben nickte und wandte sich wieder Gwyns verletztem Rücken zu.
„Kannst du dich aufsetzten?“, fragte er plötzlich „Dann kann ich dir den Rücken verbinden.“
Trotz schrecklicher Schmerzen ließ Gwyn sich mit einem groben, vergilbten Leinenverband bandagieren.
„Ich werd´ mal seh´n, dass ich dir was zu Essen besorgen kann“, sagte Ben, als er fertig war. Gwyn nickte, wobei sie erfolglos versuchte ein Stöhnen zu unterdrücken.
‚Wenn doch endlich die Schmerzen aufhören könnten.’
Kaum war Ben verschwunden, sah sie sich zur Ablenkung um. Sie lag an einer Wand in der Mannschaftsunterkunft. Ben hatte ihr ein Lager aus Laken und Stoffen gebaut.
Am Kopfende lagen ihre Weste und das Hemd.
Als sich Gwyn das graue Leinenhemd über den Kopf ziehen wollte, stellte sie fest, dass es am Rücken vom Kragen an aufgerissen war. An den Stoffenden war eingetrocknetes Blut.
Sie schauderte heftig. Ein flammender Schmerz jagte durch ihren Körper, trieb ihr Tränen in die Augen und ließ sie aufstöhnen.
„Hier. Mehr hab´ ich leider nich´ finden können.“ Ben saß wieder neben ihr und hielt ihr einen kleinen Holzteller, auf dem ein paar Stücke Zwieback lagen und ein Stück Pökelfleisch, entgegen. Gwyn schlug die Augen wieder auf. „Danke!“
„Gibt es hier Nadeln und Faden?“, fragte sie, nachdem sie den leeren Teller neben sich gelegt hatte. Ben warf ihr einen fragenden Blick zu und Gwyn hielt ihm als Erklärung ihr Hemd entgegen.
„Oh! Ähm…“, er sah sich um, „ich glaub´ schon, dass es so was hier gibt!“ Er kroch auf allen Vieren zu einer kleinen Truhe nicht weit von Gwyn entfernt. Das Mädchen beobachtete, wie er in ihr herumwühlte und schließlich zurückkroch.
„Hier“, er reichte ihr eine sehr verbogene Nadel und ein Stück Segelschnur. Er sah Gwyn schweigend dabei zu, wie sie ihr Hemd mit großen, schnellen, unsauberen Stichen zusammen- flickte. Als sie fertig war, musterte sie ihre Arbeit mit unsicherem Blick, zog sich das Hemd aber seufzend über den Kopf, schlüpfte in die Weste und legte sich langsam wieder hin, um unnötige Schmerzen zu umgehen. Ben beobachtete sie immer noch so aufmerksam, wie ein Adler eine Maus kurz vor dem Angriff.
„Ich weiß nicht, wie ich mich für deine Hilfe erkenntlich zeigen kann“, sagte Gwyn auf einmal.
„Gar nich´!“, meinte Ben schlicht und grinste. Gwyn schüttelte lächelnd den Kopf.
Vielleicht würde sie diese verrückte Zeit nun doch überleben, mit Bens Hilfe….
26. Mai im Jahre des Herrn 1713:
Dr. Steward saß hinter dem schweren Eichenschreibtisch in seiner neuen Praxis und sah einige belanglose Berichte und Dokumente durch, die er aus Bristol mitgebracht hatte.
In dem hellen, großen Raum herrschte noch immer ein heilloses Durcheinander - ein untypisches Verhalten für Dr. Steward, der sehr viel Wert auf Ordnung legte.
Im Moment aber konnte er keinen Gedanken an seine Praxis aufwenden. Nur die Medizinflaschen und Dosen hatte er in den großen gläsernen Schrank gereiht- allerdings ohne irgendeine erdenkliche Logik- und auch das hatte er nur getan, damit sie nicht im Weg herumlagen oder womöglich zu Bruch gingen.
Neun Tage war er nun schon in Kingston. Dreizehn Tage waren seit Gwyns Tod vergangen. Und er konnte es immer noch nicht glauben. Er konnte einfach nicht glauben, dass er diesen Albtraum ein weiteres Mal durchleben musste…
Lord Hamilton schlug am Tag nach seiner Ankunft vor, ein Requiem für Gwyn abzuhalten, „um ihr die letzte Ehre zu erweisen“ doch Steward lehnte ab.
Wieso sollte er für Gwyns Seele zu einem Gott beten - einem „liebenden Gott“, wie ihn alle Welt nannte - wenn genau dieser Gott ihm innerhalb eines Jahrzehnts alle Menschen nahm, die er geliebt hatte.
Dr. Steward zweifelte im Grunde schon seit dem Tod seiner Frau an der Existenz eines Gottes, aber seit dreizehn Tagen war er sicher, dass es diesen Gott so nicht gab, oder Gott mit dem Schicksal der Menschen nichts zu tun haben wollte.
Plötzlich flog die Tür auf. Als sie laut gegen die Wand schlug, sah Dr. Steward etwas überrascht auf. Tom Hadfield - er war Zimmererlehrling- kam aufgeregt hereingestürmt. Der Arzt musterte ihn fragend.
„Jack Thayor…er is´ vom Dach gefallen…musste ´was am ´nem Balken richten…“ Der Junge stand atemlos vor dem Schreibtisch; seine Worte verschluckte er fast, in dem Versuch, wieder ausreichend Luft zu bekommen.
Dennoch glaubte Steward verstanden zu haben, was Tom ihm mitzuteilen versuchte. Er erhob sich und griff nach seiner Tasche, die mit den wichtigsten Utensilien versehen, neben seinem Schreibtisch stand.
Vor der Praxis wartete bereits ein Stalljunge mit dem gesattelten Pferd. Der Arzt warf ihm einen überraschten Blick zu.
„Hab´ den da“, dabei deutete er auf Tom, „in Eure Praxis laufen seh´n und dachte, ich mach´ schon mal alles klar.“