Unter Piraten. Miriam Lanz
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Als Steward in die Eingangshalle der neuen Villa trat, verbeugten sich alle Hausangestellten. Ein älterer Mann erhob sich und trat einen Schritt vor.
„Ich heiße Euch im Namen aller hier herzlich Willkommen in Kingston. Mein Name ist Jakob Witherby“, stellte er sich mit einer weiteren tiefen Verbeugung vor; sein irischer Akzent war nicht zu überhören. Der Arzt nickte nur. Als Witherby sich wieder aufgerichtet hatte, musterte er den neuen Hausherrn für einen Augenblick.
„Verzeiht mir, Sir, aber wir haben von dem tragischen Tod Eurer jungen Nichte erfahren und ich möchte Euch im Namen aller unser tiefstes Beileid aussprechen.“
Inzwischen hatten sich die übrigen Angestellten wieder aufgerichtet und beobachteten den Arzt neugierig. Steward schloss kurz die Augen, verschränkte die Arme hinter dem Rücken und atmete tief durch, ehe er völlig ausdruckslos meinte: „Mr. Witherby, wenn Ihr mir nun mein Schlafzimmer zeigen könntet?“
Der Ire verbeugte sich flüchtig, bevor er vor dem Arzt die große freie Treppe hinaufstieg. Steward folgte ihm gedankenversunken. Am Ende des mit einem bestickten Teppich ausgelegten Korridors blieb Witherby stehen, öffnete eine Tür und trat respektvoll zurück. Mit einer letzten Verbeugung wünschte er dem Arzt eine angenehme Nacht und ging.
Steward betrat das Zimmer und schloss leise die Tür hinter sich. Der Raum war riesig. Durch die beiden großen Balkonfenster fiel der fahle Mondschein und tauchte das Zimmer in ein unheimliches Licht. Mühelos erkannte Steward an der Wand zu seiner Rechten ein gigantisches Himmelbett und daneben einen Nachttisch mit einer Öllampe. An der Wand gegenüber dem Bett stand ein Frisiertisch mit einem Spiegel, der den Vollmond reflektierte, und einer Waschschüssel. Zu seiner Linken befand sich eine große Kommode.
In der Mitte des Zimmers, nahe den Fenstern, standen ein kleiner Tisch und zwei gepolsterte Stühle auf einem Teppich, der fast den ganzen Boden bedeckte.
Der Arzt war beeindruckt. Schon in Bristol hatte er mit Gwyn in einer Villa gelebt, doch das alte Herrenhaus war mit dieser Villa nicht zu vergleichen.
Dr. Steward ließ sich seufzend auf das Bett sinken und rieb sich mit den Händen über sein Gesicht.
‚Oh, Gwyn, wie hätte dir das gefallen...?’
18. Mai im Jahre des Herrn 1713:
Gwyn lag in der Mannschaftsunterkunft der 'Adventure' auf dem kargen Holzboden. Der fensterlose Raum stank widerlich nach Alkohol, Schweiß und Urin. Viele Männer schnarchten.
Das Mädchen wälzte sich ruhelos auf dem harten Boden herum. So erschöpft und kraftlos sie auch war, fand sie dennoch keinen Schlaf. Sobald sie die Augen für einen Moment schloss, sah sie Kapitän Bradley tot zu Boden sinken … Das Bild, das sich in ihr Gedächtnis gebrannt hatte, ließ Gwyn schaudern.
Kurz vor dem Morgengrauen fiel sie schließlich in einen unruhigen Dämmerschlaf, der allerdings nicht lange währte.
Der erste Offizier Howard schlürfte in die Mannschaftsunterkunft und begann die Piraten wach zu brüllen. Mühevoll öffnete Gwyn die Augen und setzte sich auf. Ihr Rücken schmerzte; ihre Arme und Beine fühlten sich bleiern an.
Der Quartenmeister stapfte zu einer Hängematte unweit von ihr und zog den groben, dreckigen Stoff der Hängematte ruckartig zu sich.
„Jim, du faules Schwein! Beweg deinen lahmen Hintern an Deck!“
Der Angesprochene fiel hart auf den Boden. Fluchend erhob er sich und humpelte an Deck.
‚Wie widerwärtig, unzivilisiert sich diese Menschen verhalten. Wo bin ich hier nur hineingeraten?’
Gwyn hätte nie gedacht, dass sie die Etikette und die Gesellschaft jemals vermissen würde. Aber in diesem Moment wünschte sie sich nichts sehnlicher, als auf einem Bankett am Tisch neben ihrem Onkel zu sitzen und den stumpfsinnigen Gerede der Damen zuzuhören.
"Du, Taugenichts! Bis´ du taub? An die Arbeit!“
Eine kräftige Männerhand zog Gwyn am Kragen ihres Hemdes gewaltsam auf die Beine. Keinen Augenschlag später traf sie Howards Hand im Gesicht.
„Was erlaubt Ihr…“, stieß Gwyn entrüstet aus, biss sich aber abrupt auf die Unterlippe, um sich zum Schweigen zu bringen.
Howard sah sie erst sichtlich verwirrt, dann wütend an. Dann schlug er Gwyn ein weiteres Mal hart ins Gesicht. Diesmal erwiderte sie nichts, funkelte den Piraten aber hasserfüllt an. Der Quartenmaster stieß sie mit aller Kraft zu den Stufen. Gwyn verlor den Halt und stürzte auf die Knie.
Als sie sich wieder aufrappelte, hörte sie das höhnische Lachen des Piraten.
‚Dreckiger Bastard!’
An Deck wurde Gwyn von einem Bild empfangen, das sie mit einem Mal zurück auf die
‚Ventus’ versetzte.
Einige Piraten schrubbten das Deck, eine Hand voll Männer polierten die Kanonen. Wieder andere reparierten die Schäden der gestrigen Schlacht. Ein Mann hatte Ruderwache, ein weiterer saß auf der Mars und hielt Ausschau nach Schiffen.
Gwyns Blick fiel auf ungefähr ein Dutzend Männer, die in der Takelage herumkletterten.
„Du Hammel! Kannst du gar nichts richtig machen?“ Ein breiter, versoffen aussehender Pirat hatte sich bedrohlich vor einem blonden Jungen, der nur wenige Jahre älter als Gwyn zu sein schien, aufgebaut. Der Junge schüttelte den Kopf.
„Nein, ich wollte nur…“, versuchte er sich zu verteidigen, doch er verstummte sofort, als Howard mit grimmiger Miene auf ihn zugetreten war.
„Was is´ hier los?“, fragte er den versoffenen Piraten.
„Der Nichtsnutz is´ zu blöd für die einfachsten Aufgaben! Er is´ ein faules Schwein!“
„Nein, ich…“, fing der Junge erneut an.
„Halt´ s Maul, wenn du nich´ gefragt wirst“, brüllte Howard und schlug den Jungen ins Gesicht.
„Hör gut zu, Kleiner: wenn mir noch mal eine Beschwerde über dich zu Ohren kommt, dann mach´ dich auf die neunschwänzige Katze gefasst, has´ du verstand´n?“, säuselte der erste Offizier drohend, während er den Jungen am Kragen gepackt hielt. Dieser nickte heftig; seine Augen waren vor Angst weit aufgerissen.
Gwyn wandte sich schaudernd von der Szene, die sich vor ihr abspielte, ab.
Auch wenn ihr der Begriff ‚neunschwänzige Katze’ nicht vertraut war, war dem Gesichtsausdruck des Jungen deutlich zu entnehmen, dass es damit nichts Gutes auf sich hatte.
Unbeholfen ließ sie ihren Blick über Deck schweifen.
‚Was kann ich tun?’
Langsam ging sie zur Reling und sah aufs Meer hinaus. Sie seufzte schwer.
Ob es das richtige gewesen war, sich für die Piraterie zu entscheiden? Erst vor wenigen Stunden war sie an Deck gekommen, und dennoch stellte sie sich diese Frage bereits zum wiederholten Mal.
Gwyn