Druide der Spiegelkrieger. Werner Karl
Чтение книги онлайн.
Читать онлайн книгу Druide der Spiegelkrieger - Werner Karl страница 5
Jetzt aber schaute Túan entzückt auf das Reh am Rand der Lichtung. Die Eleganz und die Anmut des Tieres fügten sich perfekt in das Bild des dichten Waldes um ihn herum, sodass er stumm den Göttern dankte, die dies alles geschaffen hatten. Manchen seiner Altersgenossen machte der Wald Angst: seine starken Bäume, die dichten Sträucher, die wilden Tiere und die vielen Laute. Für Túan mac Ruith, jüngsten Spross aus dem Clan der mac Ruith, war der Wald jedoch eine Heimstätte, ein sicheres Gebiet, ein Quell des Lebens. Er verbrachte so viel Zeit im Wald, dass er sich – wäre nicht sein freundliches Gemüt gewesen – endgültig zum Außenseiter gemacht hätte. Manche nannten ihn schon den Waldjungen, andere begrüßten seine Verbundenheit und nahmen dankbar die Dinge an, die er ihnen lächelnd überließ.
Das Reh war nicht besonders groß, zwar kein Kitz mehr, doch auch noch nicht erwachsen. Viele der Jäger hatten in schlechten Zeiten selbst solche kleinen Rehe gejagt. Túan hätte dies nie getan. Wenn er schon ein Leben auslöschen musste, um sich und seine Familie vor dem Hungertod zu bewahren, so sollte es ein großes Tier sein, dessen Fleisch lange reichen würde und das vorher ausreichend Gelegenheit gehabt hatte, um sich zu vermehren. Als Túan aber mit Gleichaltrigen darüber gesprochen hatte, hatten sie ihn nur verständnislos angeblinzelt und sich mit einer Mischung aus unsicherem und abfälligem Lachen abgewandt. Erwachsene oder gar die Jäger darauf anzusprechen, hatte er nicht mehr gewagt.
Sein Atem hatte sich mittlerweile beruhigt. Das junge Reh hatte begonnen, an den frischen Trieben der Baumschösslinge zu knabbern. Es wedelte mit den Ohren und dem kurzen Schwanz, um lästige Insekten zu vertreiben, die summend die Luft bevölkerten. Túan wurde von ihnen ebenfalls umschwärmt, doch er schwitzte nicht, obwohl er lange gerannt war. Heute war zwar ein heller Sonnentag, doch die Luft war kalt. Wenn der Wind drehte, konnte man das Salz darin riechen, das vom Meer her ins Land getragen wurde.
Plötzlich hob das Reh den Kopf und schnupperte. Túan tat es ihm automatisch nach und roch im gleichen Augenblick den Rauch. Und in derselben Sekunde kroch ihm ein zweiter, hässlicher Geruch in die Nase. Süßlich, ekelhaft und alles durchdringend. Auch wenn Túan nur zwölf Sommer zählte, so kannte er doch den Gestank brennenden Fleisches. Und dieses Fleisch war kein erlegtes Wild, das am Spieß briet.
Plötzlich schienen ihn die schweren Stämme der Bäume zu erdrücken und sich als unsichtbare Gewichte auf seine Brust und sein Herz zu senken. Mit raschen Schritten trat er auf die kleine Lichtung und ignorierte das Reh, das erschrocken einen Satz ins Dickicht machte und mit hastigen Sprüngen verschwand. Túan suchte den Himmel ab und entdeckte mehrere ferne, dünne Rauchsäulen. Er musste nicht darüber nachdenken, was dort lag. Sein Orientierungssinn war durch seine vielen Ausflüge so ausgeprägt, dass er immer genau wusste, wo er sich befand und in welcher Richtung sein Heimatdorf lag.
Der Rauch und der Gestank kamen genau von dort.
Kapitel III
Grün leuchtet die Nacht
A. D. 179, Juni
Es war mitten in der Nacht und die römischen Heiler und Sklaven hatten längst das Schlachtfeld verlassen. Alle römischen Gefallenen waren geborgen worden. Und immerhin ein Schwerverletzter und ein Bewusstloser waren – nicht von den Frauen – gefunden und notdürftig versorgt worden. Lucia hatte darauf verzichtet, den Heilern vorzuwerfen, dass sie von Anfang an diese Hoffnung besessen und sie sich wieder einmal bestätigt hatte. Der Blick in die dankbaren Augen der Geretteten entschädigte sie mehr als die Einsicht der Ignoranten. Und die verstohlen-neidischen Blicke der Heiler trugen ein weiteres zu ihrer stillen Befriedigung bei. Darüber hinaus konnte Inga an Lucias bebenden Händen erkennen, dass ihre Herrin vom Handeln des Druiden, der erst seinen Gefallenen zu helfen schien und dann vor ihren Augen einen Überlebenden erdolcht hatte, noch ebenso schockiert war wie sie selbst. Die Verwirrung stand ihr immer noch in den schreckgeweiteten Augen. Doch die Dunkelheit verbarg diesen Ausdruck vor ihren Begleitern, die teils beschämt, teils störrisch in die entgegengesetzte Richtung sahen. Selbst den beiden Mitgliedern ihrer informellen Leibgarde verschwiegen sie die Beobachtung und fuhren ohne Worte zum Kastell zurück.
Inga dachte darüber nach, ob wohl Familienangehörige der Picten ihre Toten holen würden. Sie hatte Berichte gehört, dass die Picten unheimliche Krieger waren, die ihre Verstorbenen zunächst verbrannten, den Brandresten und Knochen aber anschließend dennoch ein Begräbnis zukommen ließen. Ihre Anführer und Fürsten sowie tapfere Männer – und Frauen – hatten sich durch ihre Taten die Bestattung des ganzen Körpers verdient. Inga fühlte bei diesem Gedanken ein seltsames, tief verborgenes Zittern in ihrer Brust, das sie noch nie empfunden hatte.
Bei diesem Volk kämpfen auch die Frauen. Und sterben ebenso wie ihre Brüder, Väter, Ehemänner.
Ihre Gedanken wirbelten durcheinander und befassten sich immer und immer wieder mit dem geheimnisvollen Druiden. Sie konnte nicht verleugnen, dass dieser Mann sie, bei aller Fremdartigkeit und unmissverständlicher Feindschaft, die er verströmt hatte, faszinierte.
Erst gibt er dem Verletzten den Gnadenstoß und danach gibt er dem Toten zu trinken. Wozu?
Sie schüttelte den Kopf und Lucia sah sie fragend an. Doch Inga verneinte wortlos mit einem erneuten Wackeln ihres Kopfes.
Ich verstehe sein Tun nicht. Was bezweckt er damit?
Ihre Gedanken kehrten wieder zu den Picten und Britanniern zurück. Manche behaupteten, dass skrupellose Händler die wenigen Habseligkeiten, die ein Picte mit sich führte, vom Schauplatz stahlen und in alle Welt verkauften, vorzugsweise an Skoten, Gallier, Germanen und andere fremdländische Händler. Sogar die bemalte und tätowierte Haut, die oft mit besonders geheimnisvollen Symbolen verziert war, sollte schon auf wundersame Weise selbst römische Märkte erreicht haben. Mit Grausen stellte sie sich so eine Schandtat vor: Ein gieriger Händler schnitt einem Krieger die Haut vom Leibe. Wieder fiel ihr der Druide ein.
Das zumindest hat er nicht getan.
Die römische Wagenkolonne war längst einige Meilen vom Kampfplatz entfernt, als auf dem Schlachtfeld ein geisterhaftes Licht erklomm. Der Mond verbarg sich hinter einer dichten Wolkendecke, die kein Sternenlicht durchdrang, als um die toten Pictenkrieger herum langsam ein schwaches Leuchten entstand. Mann für Mann und Frau für Frau waren von diesem wabernden Leuchten umhüllt, das immer dichter um die reglosen Körper wogte, grün schimmerte und sich wie eine zweite Haut an sie schmiegte. Sogar abgetrennte Körperteile umfasste das unheimliche Licht, selbst kleinste Stücke umwob der unheimliche Zauber. Das weite Tal erhellte sich durch die vielen lumineszierenden Krieger und nach wenigen Minuten strahlte es so hell, dass bei naher Distanz die umhüllten Körper fast transparent erschienen. Ein paar satte Krähen stoben erschrocken auf und flatterten mit trägen Flügelschlägen davon. Ein Fuchs, der sich zu spät an dem reich gedeckten Tisch gütlich tun wollte, zog seinen Schwanz ein und schnürte hastig davon. Einzig die Maden in den offenen Wunden und Körperstellen blieben und ignorierten das mystische Licht, doch nicht lange. Als das Leuchten eine Intensität angenommen