Druide der Spiegelkrieger. Werner Karl

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Druide der Spiegelkrieger - Werner Karl

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einmal erzitterten abgeschlagene Arme, Bei-ne und Hände und begannen, lautlos zu ihren ehemaligen Besitzern zu gleiten und zu schweben. Wie von Zauberhand schlossen sich alle geschlagenen Wunden, so tief und schrecklich sie auch gewesen sein mochten. Stück für Stück gesellte sich zu seinem ehemaligen Besitzer und fügte sich an den richtigen Stellen wieder an. Manche Teile legten nur wenige Zentimeter zurück, andere viele Meter, wenn etwa ein abgeschlagener Kopf in der Schlacht seinem davoneilenden Reiter mit entsetzten Augen nachgesehen hatte. Wenn sich ein Stück zu seinem Körper fügte, strahlte das Grün sonnenhell auf und erlosch nach wenigen Sekunden. Sogar fehlende Teile – und deren gab es aufgrund des Hungers der Krähen, Geier und Maden mehr als genug – formten sich auf schaurige Weise wieder unter dem magischen Feuer. Das Leuchten verglomm, als die letzte Hand sich wieder am Arm ihres Besitzers befand, die letzte Wunde sich geschlossen hatte. Die Körper und das Tal fielen abermals in gespenstische Dunkelheit.

      Doch dann erhob sich mitten in der Menge der erste Krieger mit zaghaften Bewegungen. Mehrmals hielt er inne, so als müsse er sich erst erinnern, wie er seine Muskeln benutzen musste. Halb aufgerichtet durchfuhr ihn ein Zittern und die Knie schienen ihm nicht gehorchen zu wollen, doch schließlich stand er stumm und still zwischen seinen Kameraden. In der Dunkelheit tastete er seinen Körper ab, befühlte die geschlossenen Wunden und jede Bewegung drückte Verwirrung und gleichzeitig Freude aus. Er reckte seine Brust, hob beide Arme zum dunklen Himmel. Für lange Zeit stand er so da und atmete die kalte Nachtluft. Seine Brust hob und senkte sich, erst verhalten, dann sicherer und schließlich mit tiefen Atemzügen. Der Schrei, der seinen Mund verließ, brandete wie ein Fanfarenstoß in die Nacht. Ein Mensch hätte die Wut darin erkannt, genauso wie den Drang nach Rache. Doch den Geiern, die sich an den Rand des Tals verzogen hatten und nun aufstoben, genügte allein der Schrei, auch ohne dessen Bedeutung zu erkennen, um sie zu vertreiben.

      Als wäre sein Schrei ein Signal gewesen, brach die Wolkendecke auf und Mondlicht fiel auf sein Haupt. Und wieder schrie er, lauter und kräftiger als zuvor, während sein zu neuer Kraft erwachtes Herz pochte und sein Hass auf die Römer, die Invasoren seiner Heimat, die Mörder seiner Brüder, Schwestern und Kinder über das Feld hallte.

      Dann hielt er inne und lauschte in sich hinein. Da war noch etwas, das er spürte. Ein Ziehen wie von vielen Händen, die an seinen Muskeln, Knochen und Organen zerrten. Panik stieg in ihm auf, aber er beruhigte sich sofort wieder. Die körperlosen Berührungen erschienen ihm vertraut. Er blickte sich um und erwartete seine Eltern zu sehen, seine jüngere Schwester, so bekannt tasteten sich die unsichtbaren Hände über seine Haut. Es war, als würde er nicht nur zwei, sondern auf einmal Dutzende oder sogar Hunderte Hände haben, die sich genauso anfühlten wie die beiden, die er immer noch in die Höhe streckte. Er senkte die Arme und seinen Kopf. Sein Blick fiel auf ein Spiegelbild seines Körpers, das immer noch am Boden lag, genau unter ihm. Seine Füße standen in zwei weiteren Füßen, die ebenfalls ihm gehörten. Mit Verwunderung und Grimm verfolgte er, wie sich eine zweite Gestalt aus der am Boden liegenden erhob, dann eine weitere und noch eine und noch eine.

      Alle, die sich um ihn scharten, waren ein Spiegelbild seiner selbst, so identisch, dass sogar die blauen Linien und Runen auf der Haut sich bis ins letzte Detail ein wenig blass im kargen Mondlicht abzeichneten. Mit Neugier betrachtete er den Rücken eines Doppelgängers und erfreute sich an einem kunstvollen Ornament, das er selbst noch nie gesehen hatte.

      Plötzlich lachte er wild auf und hielt einem seiner Duplikate spontan die Rechte hin. Dieses war noch verwirrt und zögerte einen Moment, dann ergriff es die Hand und drückte zu. Der wiedererwachte Krieger lächelte, als er die perfekte Ausgewogenheit ihrer beider Kräfte in dem Handschlag fühlte und ihre Anerkennung besiegelte.

      Rings um sie geschah es so bei allen Gefallenen, die nun diese Bezeichnung nicht mehr verdienten. Hunderte erhoben sich, wo vorher Dutzende gestorben waren. Mehr als eintausend Krieger verließen die Wallstatt des Todes und wandten sich alle in eine Richtung. Ein unsichtbares Band schien sie alle zu umfassen und noch Norden zu ziehen. Die letzten und besonders wagemutigen Aasfresser sträubten die Federn, als sich ihr verlorenes Festmahl in losen Gruppen auf den Weg machte und durch die Nacht marschierte.

      Kapitel IV

      Kreuz und Pfahl

      A. D. 167, Mai

      Túan duckte sich blitzschnell und glitt mit leisem Rascheln in ein dichtes Gebüsch hinein. Er dankte Avnova dafür, dass die Büsche reichlich – und vor allem bunte – Blätter trugen und es noch viele Tage dauern würde, bis diese herabfielen. Er hatte diese hervorragende Deckung bitter nötig, denn etwa hundert Schritte vor ihm bewegte sich ein großer Trupp Römer durch den Wald.

      Er verhielt sich völlig still, als die - völlig ungewohnt hintereinander marschierenden Soldaten einem schmalen Tierwechsel folgten. An ihrer Spitze ritt ein einzelner Offizier, ein Centurio, wie Túan erkannte. Rasch zählte er die Legionäre, die in wenigen Augenblicken nur in Speerlänge an ihm vorbeiziehen würden, und kam zu dem Schluss, dass es sich um einen Manipel handeln musste. Er hatte diese römische Bezeichnung wie viele andere den hitzigen Debatten der Dorfältesten entnommen, sie aber erst später einer bestimmten Anzahl Soldaten zuordnen können. Dieser Manipel bestand aus rund 100 Mann und Túan wunderte sich, dass er so gut wie keine Verletzten entdecken konnte. Noch einmal zählte Túan die Soldaten und kam auf 121 Mann. Er wusste, dass die Römer ihre Gefallenen nach der Schlacht ehrenvoll verbrannten und deren Asche in speziellen Urnen nach Hause brachten. Hier sah er aber niemanden solche Urnen mit sich tragen.

       Sie haben nicht einen Gefallenen zu beklagen.

      Sein Herz stockte für einen Moment, als er darüber nachdachte, was dies wahrscheinlich – nein, ziemlich sicher – bedeutete. Es war ihm völlig klar, dass diese Einheit für die Rauchsäulen über seinem Dorf verantwortlich sein musste, und Angst und Wut kämpften augenblicklich um die Vorherrschaft in seiner Brust und in seinem Herzen.

      Er ließ sich noch ein wenig niedriger in das Blattwerk des Busches einsinken, als der Reiter nur noch wenige Pferdelängen von ihm entfernt war.

      Túan musterte den Mann genau. Er war noch jung, nicht älter als zwanzig oder einundzwanzig Jahre alt. Also gerade einmal acht oder neun Jahre älter als Túan. Auch er war so gut wie unverletzt, nur wenige Kratzer zeigten sich auf der Haut. Staub und Asche vermischt mit Schweiß überzogen Körper und Kleidung. Der Gesichtsausdruck des Centurio drückte … Genugtuung aus. Und eine grimmige Entschlossenheit, das hinter ihm Liegende immer wieder zu tun, wenn es seine Vorgesetzten von ihm verlangen würden.

      Túans Blick war anscheinend so intensiv, dass der Mann im Sattel plötzlich genau in seine Richtung sah.

      Túan wagte nicht einmal mehr zu atmen, und zwar aus doppeltem Grund. Túan hatte einen wachen Verstand, doch einen gewissen Anteil an abergläubischer Furcht konnte auch er nicht von sich weisen. Einige der ältesten Frauen im Dorf erzählten immer wieder Geschichten vom Bösen Blick, den manche zu besitzen für sich in Anspruch nahmen.

      Auch wenn Túan bemüht war, seine Augen abzuwenden, konnte er nicht vermeiden, dass sie an einem Merkmal des Römers förmlich hängen blieben. Ein Muttermal auf der Stirn hatte Túan fälschlicherweise zunächst für einen Dreckfleck gehalten. Der Reiter war ihm aber mittlerweile so nah gekommen, dass Túan befürchtete, dieser könnte sein wild schlagendes Herz hören. Nun war das Gesicht des Mannes unmittelbar vor seinem Versteck, sodass er es deutlich sehen konnte. Das Muttermal saß genau in der Mitte der Stirn und hatte beinahe die Form eines Auges. Die braune Stelle hatte sogar eine Pupille, geformt aus einer haarigen Erhebung, wie Túan es schon bei manchem Hautmal gesehen hatte. Der Eindruck eines dritten Auges ließ den Jungen erneut an die Schauergeschichten der alten Weiber denken. Beinahe hätte er sich bewegt, um seine eigenen Augen zu bedecken, was nach

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