Im Schatten des Deiches. Fee-Christine Aks
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Читать онлайн книгу Im Schatten des Deiches - Fee-Christine Aks страница 16
„Entschuldige“, sagt Sebastian kleinlaut und sieht Lotta an. „Ich musste schnell reagieren. Diese Linda…“, er seufzt traurig, „ist wie ein falscher Fuffziger, eine überaus anstrengende Klette. Man wird sie nicht wieder los.“
Lotta schweigt und wartet ab, ob er sich noch weiter erklären wird. Wie sie aus ihren bisherigen Verhören gelernt hat, ist es am besten, die Menschen einfach reden zu lassen, wenn sie einmal angefangen haben. Irgendwann kommt alles ans Tageslicht. Moritz sieht seinen Freund aufmerksam an, die Augen wieder ein dunkles sattes Malachitgrün, die Stirn glatt und die sanft geschwungenen Lippen nicht mehr zu einem schmalen Strich zusammengepresst.
„Ich habe sie im Sommer kennengelernt“, fährt Sebastian fort, während sie langsam die Fußgängerstraße hinunter gehen in Richtung des kleinen Supermarktes schräg gegenüber der Bank. „Sie hat bei mir Surfunterricht gehabt und einfach nicht verstanden, dass ich nichts von ihr will. Nicht mein Typ, sorry. Und außerdem war da Maja, meine heutige Freundin.“
Lotta nickt schweigend und fühlt sich nicht beleidigt. Er ist nicht der Erste, der mehr auf Blondinen als auf Brünette steht. Sie kann damit leben, solange sich nicht herausstellt, dass auch Moritz mehr Interesse an Rauschgoldengeln hat…
„Es war so schlimm“, ergänzt Sebastian, „dass ich schon kurz davor war, eine Anzeige wegen Stalking aufzugeben. Einmal hat sie sogar versucht, über die Feuerleiter zu unserer Ferienwohnung im Dachgeschoss der alten Signalstelle hinaufzuklettern.“
„Das Haus ihres Großvaters“, wirft Moritz ein, „liegt nur etwa hundert Meter die Straße runter, kurz vor den Bahnschienen.“
„Sie war irgendwie ständig da“, murmelt Sebastian, während sie das nach mild geräucherten Fischfrikadellen und Krabben riechende Fischgeschäft passieren. „Es war kaum auszuhalten. Bei dem Sturz von der Feuerleiter hat sie sich zum Glück nicht ernsthaft verletzt, Gehirnerschütterung und verstauchter Arm war es, glaube ich. Das war schon zum Ende der Sommerferien, die längsten sechs Wochen meines Lebens.“
„Und jetzt ist sie wieder hier“, stellt Lotta fest. „Was nun?“
Sebastian bleibt neben der Eingangstür des kleinen Supermarktes stehen und blickt sie nachdenklich an. Dann wirft er seinem besten Freund einen kurzen fragenden Blick zu. Moritz schüttelt kaum merklich den Kopf.
„Ich hoffe“, sagt Sebastian leise, „sie hat es jetzt endlich begriffen. Falls nicht, würdest du dann nochmal Theater spielen, wenn sie uns das nächste Mal über den Weg läuft?“
Lotta antwortet nicht, sondern sieht Moritz an, das erste Mal direkt ins Gesicht und in seine wunderschönen grüngrauen Augen.
*****
Es ist das erste Mal, dass Moritz seinem besten Freund am liebsten eine reinhauen möchte. Ganz kräftig und mit voller Absicht. Warum muss er Lotta da mit reinziehen?
‚Spiel meine Freundin‘, was für ein Vorschlag. Glücklicherweise antwortet Lotta nicht darauf. Schweigend wendet sie den Kopf und blickt ihn an, ja, ihn, Moritz! Das Haselnussbraun ihrer Augen leuchtet im Licht der Lichterketten, die am Eingang des Supermarktes Weihnachtsstimmung verbreiten sollen. Ihr Gesicht ist ein einziges Fragezeichen.
Moritz spürt ein Ziehen in der Herzgegend. Sie fragt ihn stumm nach seiner Meinung. Er will den Kopf schütteln, doch da öffnet sich die automatische Tür des Supermarktes und eine rundliche ältere Frau mit Einkaufstasche kommt mit leichtem Ächzen heraus.
„Oh, Lotta, Kind“, ruft sie und strahlt über das ganze runde Gesicht. „Einen fröhlichen vierten Advent. Hast du dich gut eingelebt in ‚Haus Westwind‘?“
„Ja, danke, Frau Raake.“
Moritz bemerkt schmunzelnd, wie wenig Lotta die Anrede ‚Kind‘ gefällt. Auch wenn keiner von ihnen sie bisher danach gefragt hat – man fragt schließlich keine Frau, wie alt sie ist – und sie es auch nicht von selbst angesprochen hat, so hält er sie doch für etwa gleichaltrig, vielleicht ein, zwei Jahre jünger als sich selbst, dichter an der Zwanzig als an der Fünfundzwanzig.
„Warst du schon bei Gerrit auf der Wache? Ja? Hat er dir erzählt, dass Juki und Janny heute morgen unten am Strand vor dem Gezeitenland zwei vom Sturm erschlagene Möwen gefunden haben? Es ist so schrecklich, was dieser Sturm alles anrichtet, nicht wahr? Das von der armen Margit hast du sicherlich auch schon gehört, traurig, nicht wahr?“
Lotta nickt, offenbar nicht gewillt, den Redefluss der rundlichen Frau zu unterbrechen. Moritz sieht, dass es in ihrem Gesicht arbeitet. Er wiederum versteht kein Wort. Wovon spricht diese Frau Raake? Woher weiß sie, dass Lotta heute morgen auf der Polizeiwache an der Strandstraße war? Warum eigentlich? Wer sind Juki – komischer Name – und Janny? Und wer ist diese Margit?
„Wenn du irgendetwas brauchst, Kind“, fährt die Frau in besorgtem Tonfall fort und mustert nun erstmals Sebastian, der ebenso ahnungslos neben Lotta steht wie Moritz selbst. „Die jungen Herren stehen dir bei, ja? Gut, gut. Dann will ich mal weiter. Guten Tag, Lotta, Kind. Und herzliches Beileid.“
Damit wendet sie sich um und geht, leise keuchend, die Fußgängerstraße hinunter in Richtung der Neuen Straße. Lotta sieht ihr mit gerunzelter Stirn hinterher, bis sie sich offenbar daran erinnert, dass Moritz und Sebastian immer noch neben ihr stehen.
„Wir sehen uns später“, sagt sie und wendet sich der automatischen Tür zu.
„Wieso ‚herzliches Beileid‘?“ fragt Sebastian. „Ich dachte, deine Großmutter ist schon letztes Jahr gestorben.“
Moritz würde ihn am liebsten kräftig vors Schienbein treten. Basti ist und bleibt ein Trampeltier, taktlos und direkt. Doch Lotta nickt nur, zieht die Zeitung hervor und sagt, mit einem Finger auf der Schlagzeile, leise: „Margit Geedes, das ist die Frau, die vorgestern tot aufgefunden wurde, war ihre unverheiratete Schwester, meine Großtante.“
*****
Flucht
Sie lief und lief. Wohin, das wusste sie nicht. Es war auch egal. Sie hatte ihre Chance genutzt und ihn überrumpelt. Sie hatte den Schlüssel glücklich erbeutet, die Haustür aufgeschlossen und war losgelaufen. Doch sie wusste, dass sie nicht weit kommen würde.
Sie spürte das Blut, das ihr die linke Schläfe hinunter rann und in den Kragen ihrer fleckigen Bluse tropfte. Ihr Atem ging rasch und flach, während ihr Herz wie wild gegen ihre enge Brust klopfte. Schwarze und weiße Flecken tanzten am Rande ihres Sichtfeldes, als sie die Straße hinunterlief. Weg, nur weg.
„Ich behandle dich, wie ich will!“ hatte er geschrien. „Ich habe dich bei mir aufgenommen, du undankbares Ding! Ohne mich wärst du auf der Straße geendet und jämmerlich umgekommen.“
‚Besser als hier‘, hatte sie gedacht, aber nicht gesagt. Doch bei seinen nächsten Worten hatte sie nicht mehr an sich halten können.
„Du solltest dankbar sein. Ohne mich hättest du nichts. Jetzt hast du ein Haus, eine Familie und bald unser Kind!“
„Es