Im Schatten des Deiches. Fee-Christine Aks

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Im Schatten des Deiches - Fee-Christine Aks StrandtGuth

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etwas leise zu seinen Füßen. Er bückte sich und tastete im dürren Gras umher, bis das Leder seiner Handschuhe an etwas Hartes stieß, das sich beim näheren Befühlen als kleiner Anker aus Metall mit einem gebrochenen Ring daran herausstellte.

       Wenn er sich nicht sehr täuschte, dann war es einer der Anhänger, wie er sie an den Schlüsseln zu den Ferienwohnungen von ‚Haus Nordstern‘ gesehen hatte. Möglicherweise war es aber auch der Junge Jaan gewesen, der ihn beim Wegräumen des Astes verloren hatte.

       Andererseits trieb der Junge sich meist am Südstrand herum, zumindest hatte der Mann ihn schon des Öfteren und mit leichter Besorgnis dort gesehen. Bisher war es jedoch nicht nötig gewesen, den Jungen zu verscheuchen; nicht solange er nicht anfing, an einer bestimmten Stelle herumzulungern...

       Mit einem leisen Klingeln ließ der Mann den kleinen Anker zurück ins trockene Gras gleiten und überlegte einen Moment lang, was den Jungen wohl immer wieder dorthin ziehen mochte. Ahnte er etwa, dass sich das Schicksal seiner heute schwachsinnigen Mutter dort ganz in der Nähe gewendet hatte?

       Aber nein, er konnte es nicht wissen. Niemand war ihm je auf die Schliche gekommen, auch wenn es gerade damals nur sein unendlich großes Glück und sein eiserner Wille gewesen waren, die ihn vor Entdeckung gerettet hatten.

       Langsam ging der Mann weiter, vorbei an dem grünen Streusalzbehälter, den Weg hinab. Den Ast nahm er mit und schwang ihn gelangweilt neben sich her. Eine Handvoll graubraune Wildkaninchen hoppelten über den schmalen, sauber gepflasterten Weg und verschwanden lautlos zwischen den winterlich kahlen Büschen rechts und links des Weges.

       Gelangweilt sah der Mann ihnen hinterher, sah gleichgültig, wie sie mit den dürren Zweigen verschmolzen und eins zu werden schienen mit dem Dickicht, auch an jener Stelle, an der er jedes Mal im Vorbeigehen unwillkürlich einen Blick über die Schulter warf, bevor er sich ein leises Lächeln erlaubte.

       Dies war eine von ‚seinen‘ Stellen, im Schatten des Deiches, und das gleich im zweifachen Sinne. Hier hatte sein unbeschwertes Leben als respektierter Mann begonnen, das er bis zu Lenas Verrat glücklich und zufrieden geführt hatte.

       Genau wie drüben am Südstrand war dies aber auch ein Ort seines Triumphes und ein Beispiel für sein Geschick, der Polizei nicht aufzufallen und trotzdem zu tun, was er wollte. Sie hatte sich nicht gewehrt, weil er ihr überlegen gewesen war; denn genau wie Lena war Sabinchen vor allem eines gewesen: ein widerspenstiges Frauenzimmer, das bestraft werden musste…

       Gerade wollte er sich ein Lächeln gestatten und mit verlangsamten Schritten dort vorbeigehen, wo er im fahlen Licht des sichelförmigen Mondes einen, von geblümtem Stoff kaum bedeckten zierlichen Körper hinter dem Gestrüpp zu erkennen glaubte, da hörte er ein Geräusch.

       Unwillkürlich blieb er stehen, genau dort vor ‚seiner‘ Stelle, und lauschte. Es mussten Schritte sein, die sich stetig näherten. Sie kamen den Weg herauf, langsam und von einem leicht schleppenden Geräusch begleitet. Er kannte diese Schritte, da war er sich sicher.

       Einen schrecklichen Augenblick lang glaubte er, es wären ‚jene‘ Schritte, die er schon einmal hier gehört hatte, damals vor zweiundzwanzig Jahren. Kam sie zu ihm, im fahlen Mondlicht, um ihn zu sich zu holen?

       Fast meinte er, die hagere Gestalt zwischen den kahlen Büschen auftauchen zu sehen. Doch sie war es nicht, konnte es nicht sein. Das wusste er; keiner wusste es so gut wie er, dass sie nicht hier sein konnte. Schließlich lag sie dort draußen, im tieferen Wasser irgendwo weit entfernt hinter einer Sandbank, die man vom Südstrand aus gerade noch so mit bloßem Auge erkennen konnte. Vielleicht hatte aber auch die Ebbe sie noch weiter hinaus getragen, hinaus in die offene See. Er wusste es nicht. Und es kümmerte ihn nicht, wichtig war nur, dass sie weg war, ein für alle Mal. Er hatte dafür gesorgt, dass sie seinem Glück nicht im Wege stehen konnte. Er hatte sich befreit, für ein Leben mit ihr, seiner großen Liebe, seiner Lena.

       Die Schritte kamen näher, sodass er zwischen den kahlen Zweigen der Büsche undeutlich eine kleine Gestalt im dicken Daunenmantel ausmachen konnte. Eine Frau, der Figur nach zu urteilen. Aber nicht irgendeine Frau. Der schäbige grüne Filzhut mit der Möwenfeder, den sie auf ihren silberdurchwirkten goldbraunen Locken trug, war nicht zu verkennen.

       Unwillkürlich verspürte er einen Schmerz zwischen den Beinen, auch wenn das, was ihm damals den Schmerz verursacht hatte, nicht mehr da war. Es war ihre Schuld. Und dafür musste sie bezahlen, das hatte er sich bereits geschworen an jenem Tag, an dem er herausgefunden hatte, dass sie es damals gewesen war, die geschrien und ihn damit beinah enttarnt hatte.

       Der Mann schloss mit einem stummen Seufzer die Augen und spürte, wie in ihm die aufgestaute Wut und der Rachedurst erneut emporbrodelten. Dies war seine Chance, jetzt und hier. Es war eine Fügung des Schicksals, dass er sie hier traf, ausgerechnet hier. Es war an der Zeit.

       Mit einem zufriedenen Lächeln schob er den Arm mit dem Ast außer Sicht hinter seinen Rücken und wartete. Sie kam auf ihn zu, und sie konnte ihm nicht entkommen. Diesmal nicht.

      *****

       Meine liebe Märit,

       wenn du diese Zeilen liest, heißt das, dass es schlimm ausgegangen ist. Es ist nur eine ganz einfache Frage, die ich stellen muss; aber sie entscheidet alles. Dafür brauche ich weder einen Doktor, noch geistlichen Beistand. Wenn meine Schlussfolgerungen richtig sind, dann werde ich dem grässlichen Spuk heute ein Ende bereiten, ein für alle Mal.

       Es ist riskant, ja. Er ist ein gefährlicher Mann. Aber ich muss es dennoch tun. Das bin ich ihr schuldig; ihr, den Mädchen und auch unserer Kleinen. Sie wird es verstehen. Versprich mir, dass du ihr diesen Brief geben wirst, wenn du zu Weihnachten nichts von mir hörst. Sag ihr, dass ich sie von Herzen lieb hab, so als wäre sie mein eigenes Kind. Und, in gewissem Sinne, ist sie das ja auch, nicht wahr?

       Sag ihr, sie soll sich in Acht nehmen; denn wenn ich scheitere, dann wird es an ihr sein, das Geheimnis zu enthüllen. Es tut mir in der Seele weh, aber ich weiß, dass sie es schaffen wird. Sie ist eine Kämpferin, genau wie ihre Mutter.

       Sag ihr, sie soll die Geschichte lesen, die vom Hauke Haien; sie wird wissen, wo sie zu suchen hat. Im Schatten des Deiches steht sein Haus.

       Doch sie soll sich vorsehen, sag ihr das.

       Zuviel Neugier, zu viele Fragen können mehr Gefahr als Antworten bringen. Erinnere dich an Jane Eyre und wie sehr es dich gegruselt hat, ihre Geschichte zu lesen. Auch wenn es hier bei uns etwas beschaulicher zugeht, so unterschätzt doch niemals die Urgewalten, die auf der Insel herrschen. Wir sind wahrlich „Ruhend inmitten der Wogen“.

       Falls wir uns nicht mehr hören, wünsche ich euch ein gesegnetes und frohes Weihnachtsfest.

       Alles Liebe,

       M

       P.S.: Ich sehe ihn kommen. Es ist seine gewohnte Zeit, nachmittags um viertel nach fünf, wie immer zum Tee im Stübchen bei Windbeuteln mit Schlagsahne. Es ist an der Zeit, ihm die Frage zu stellen…

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