Im Schatten des Deiches. Fee-Christine Aks

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Im Schatten des Deiches - Fee-Christine Aks StrandtGuth

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Minuten zum Deich, fünf Minuten zum Bahnhof, fünf Minuten zum Supermarkt – geschwärmt hat.

      Seit Großmutter Marlies im vergangenen Sommer an Lymphdrüsenkrebs gestorben ist, gehört das alte Haus Mama; bisher hat sie es jedoch noch nicht geschafft, dort einmal nach dem Rechten zu sehen.

      Genau das ist es, was Lotta sich nun vorgenommen hat. Sie kann einfach nicht stillsitzen und die Hände in den Schoß legen. Sie muss etwas zu tun haben. Und so ein altes Haus wird, selbst wenn es den Umständen entsprechend noch gut in Schuss ist, einiges an Arbeit verursachen. Und da ihre Eltern nach dem Stopp auf Jamaica (oder war es Antigua?) bis in drei Tagen, wenn sie die nächste Insel anlaufen, nicht erreichbar sein werden, hat niemand Lotta hindern können, einfach einen Koffer zu packen, ein Bahnticket zu kaufen und gen Westen aufzubrechen. Der Schlüssel zu ‚Haus Westwind‘ soll bei einem Nachbarn liegen, hat Mama vom Notar erfahren.

      „Meine Damen und Herren“, dringt die tiefe Stimme des Kapitäns aus den Lautsprechern und reißt Lotta aus ihren Gedanken. „Wir erreichen gleich die offene See. Zu Ihrer eigenen Sicherheit, nehmen Sie bitte Platz und geben Sie gut Acht auf Ihre Speisen und Getränke.“

      Automatisch greift Lotta nach dem Cola-Glas und hält mit der anderen Hand den leeren Matjesteller fest. Ihre Reflexe sind beeindruckend. Das hat auch der große Autoschieber erfahren dürfen, den sie vorige Woche nach stundenlanger Verfolgung auf einem Rastplatz an der A7 gestellt haben. Natürlich, man kann der Verhaftung entgehen, indem man sich das vermeintlich schwächste Glied der Kette aussucht und die zierliche Jungkommissarin Carlotta Strandt über den Haufen rennt. Man kann es zumindest versuchen.

      Beim Gedanken an das verdutzte dumme Gesicht des grobschlächtigen Mannes muss Lotta erneut in sich hinein grinsen. Sie sieht ihn wieder vor sich im Dreck hocken, noch ganz benommen von ihrem Yop-Chagi, einem seitlich gedrehten Tritt nach vorne, durch den sie mit der Fußaußenkante seinen Solarplexus so hart getroffen hat, dass er wie vom Blitz geschlagen zu Boden ging.

      Ähnlich verhält es sich nun am Tisch schräg gegenüber, auf der anderen Seite des Ganges, wo eine Familie mit drei erwachsenen Kinder sitzt und blitzschnell über den Tisch langt, dann aber wie gelähmt dem wie von einem plötzlichen Schlag getroffenen Mobiltelefon hinterher sieht, das unaufhaltsam auf die Tischkante zu rutscht.

      „Verdammt, Kai!“ schreit das Mädchen wütend, das offenbar die Jüngste der Geschwister ist, und funkelt ihren Bruder an, der am Ende des Tisches sitzt, aber dennoch das Telefon nicht mehr erreichen kann. „Halt es doch fest. Das ist ein nagelneues iPhone 6, verdammt nochmal!“

      „Du sollst nicht fluchen“, mischt sich die Mutter ein. „Wie oft hab ich dir das schon gesagt, Linda? Kai, nun beeil dich doch, bevor es runterfällt.“

      Doch bevor der Junge das elegante Mobiltelefon erwischen kann, rollt das Schiff auf die andere Seite, sodass alles in die entgegengesetzte Richtung rutscht. Triumphierend greift der ältere Bruder das Mobiltelefon und hält es seiner Schwester mit einem „Wer ist dein Lieblingsbruder?“ unter die Nase.

      „Ach, Mats“, lacht sie. „Du bist genauso schlimm wie er.“

      Sie deutet auf ihren anderen Bruder, muss sich aber wie der Rest der Familie das erleichterte Lachen verkneifen. Als das Schiff erneut auf die andere Seite rollt, hält das Mädchen ihr teures Mobiltelefon fest in der Hand und tippt weltvergessen darauf herum, ohne ihre Umgebung auch nur eines weiteren Blickes zu würdigen.

      Lotta wendet sich wieder ihrem Geschirr zu, das bei den Schiffsbewegungen merklich gerutscht aber nicht wirklich in Gefahr gewesen ist. Kurzerhand trinkt sie die Cola aus und stellt das leere Glas fest auf den Teller, den sie damit auf dem Tisch geradezu fixiert.

      Ein junger Mann, der offenbar die warnende Ansage des Kapitäns ignoriert hat, schwankt mit verkrampfter Miene den schmalen Gang zwischen den Tischen im Bordrestaurant entlang. Offenbar von der Essensausgabe kommend, hält er sich so gut es geht mit ausgestreckten Armen fest und blickt starr geradeaus, über die Köpfe der Familie hinweg, in Richtung der rückwärtigen Kabinentür, die auch zu den Toiletten führt.

      Trotz seiner etwas unbeholfenen Bewegungen kommt Lotta nicht umhin zu bemerken, wie gut er aussieht. Er ist etwa in ihrem Alter, vielleicht zwei, drei Jahre älter, sportlich schlank und muss mindestens einen Meter achtzig groß sein, da er immer wieder den Kopf unter den tief hängenden und heftig hin und her schaukelnden Deckenlampen einziehen muss. Sein daumenlanges Straßenköter-blondes Haar ist verstrubbelt und fällt ihm in glatten Strähnen sorgsam unfrisiert in die Stirn.

      „Oh, Entschuldigung“, murmelt er, als eine erneute Bewegung des Schiffes ihn unerwartet zur Seite wanken, gegen Lottas Tisch stoßen und auf die freie Bank ihr gegenüber fallen lässt. Warme braune Augen werfen ihr einen treuherzigen Blick zu, den Lotta so formvollendet sonst nur von Hunden kennt.

      „Schon okay“, antwortet sie neutral und wischt sich unwillkürlich eine ihrer kurzen kastanienbraunen Locken hinters Ohr. „Bleiben Sie meinetwegen sitzen, bis wir anlegen. Wir sind eh gleich da.“

      „Na, so ein Glück“, antwortet er mit einem vorsichtigen Lächeln und wirft einen Blick in Richtung des Tisches, an dem die fünfköpfige Familie sitzt. Nun haben auch die Jungen ihre Mobiltelefone hervorgezogen und tippen gelangweilt auf den Displays herum, während sich die Eltern mit einem amüsierten Lächeln ansehen und leise unterhalten.

      „Wieso?“ fragt Lotta mit einem leisen Kichern in der Stimme. „Sind Sie etwa seekrank?“

      „Nicht doch“, erwidert der junge Mann und streicht sich eine Haarsträhne aus dem Augenwinkel. „Ich bin schließlich Surfer. Wasser ist mein Element.“

      „Na, dann bin ich ja beruhigt“, antwortet Lotta halbernst. „Hatte schon befürchtet, ich müsste auf die Suche nach einer ‚Notfall-Tüte‘ gehen, wie es sie im Flugzeug immer gibt.“

      „Haha“, murmelt der junge Mann mit gespielt beleidigter Miene, bevor er mit einem breiten Lächeln fortfährt: „Ich merke, Sie fahren nicht zum ersten Mal auf die Insel.“

      „Falsch. Es ist tatsächlich mein erster Besuch auf Borkum.“

      „Tatsache? Ich hätte gedacht, Sie wohnen da.“

      „Wie kommen Sie denn da drauf?“

      „Nur so ein Gefühl.“

      „Falls es Sie wirklich interessiert“, antwortet Lotta, bevor sie sich bremsen kann, „ich komme aus Hamburg. Kennen Sie vielleicht, das ist diese schöne Hanse- und Weltstadt an der Elbe, berühmt für den Hafen, die Reeperbahn und die Franzbrötchen…“

      „Kommt mir bekannt vor“, erwidert der junge Mann mit gespielt grüblerischer Miene. „Wenn’s eine Hansestadt ist, dann scheint sie mir verwandt zu sein mit Bremen. Da komme ich nämlich her. Oder, um genau zu sein, aus dem netten kleinen Örtchen Lilienthal, das dort in der Nähe ist.“

      „Freut mich, ‚Mister Lilienthal‘“, frotzelt Lotta und erkennt durch das Fenster bereits den Leitdamm, der zur Hafeneinfahrt von Borkum führt. „Dann nehme ich an, Sie sind nicht zum ersten Mal auf der Insel?“

      „Stimmt genau, ‚Fräulein Hamburg‘. Ich war im Sommer schon mal hier. Uns hat es so gut gefallen, dass wir jetzt über die Feiertage wiederkommen.“

      ‚Uns?‘ durchzuckt es Lotta enttäuscht. ‚Wie schade.‘ Aber, ehrlich gesagt, sie hat nicht wirklich damit gerechnet, dass so ein Typ noch nicht in festen Händen ist. Einen Ring trägt

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