Im Schatten des Deiches. Fee-Christine Aks

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Im Schatten des Deiches - Fee-Christine Aks StrandtGuth

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ihr von Stoß zu Stoß zunahm. Sie wollte weiter schreien, treten, beißen, schlagen, kratzen. Doch sie konnte sich nicht rühren. Sie dachte an das ungeborene Kind in ihrem Bauch, hielt still und wartete, dass es endlich vorbei sein möge.

       Sie glaubte plötzlich, unter der Decke zu schweben und auf sich selbst herabzusehen. Sie sah ihren eigenen zierlichen Körper mit der deutlichen Rundung in der Körpermitte, auf der Seite liegend und starr wie ein totes Tier, dazu ihre eigenen schmerzerfüllten, tränennassen Augen, die wie immer wild nach einem Weg suchten ihm zu entkommen. Sie sah ihre schmalen Arme über ihrem Kopf, die taub wurden, weil er ihr das Blut abpresste. Und sie sah seinen großen Körper, der schwitzend über ihr hing und rhythmisch zuckte…

       Als er schließlich wie das Schwein, das er war, mit einem Grunzen von ihr abließ, zog sie das Nachthemd über ihre nackten Beine bis zum Knie hinab und angelte blindlings nach der Bettdecke. Sie musste schlafen, vergessen, weiterleben. Schon um des Kindes willen. Es war das Einzige, was ihr von Micha geblieben war. Die einzige Erinnerung an ihr richtiges Zuhause, an das Leben vor ‚ihm‘.

       Sie hörte, wie er ächzend einen erschöpften Schritt nach dem anderen machte und ihre kleine Kammer verließ. Er stieß gegen den Besenstiel, der außen neben der Tür an der Wand lehnte und warf ihn mit einem Fluch um, sodass der Stiel auf die kalten Steinfliesen der Diele klapperte.

       Dafür würde sie morgen mit Sicherheit eine weitere Strafarbeit erhalten, da konnte sie sicher sein. Tagsüber behandelte er sie wie eine Dienstmagd, eine bessere Sklavin, auch wenn sie tatsächlich Großonkel und Nichte waren. Nachts aber… Sie zwang sich, den Gedanken nicht weiter zu denken.

       Sie hörte, wie die schalldichte Tür mit einem leisen Schmatzen ins Schloss fiel. Der Riegel wurde von außen vorgeschoben. Sie war allein. Das trübe, gelblich kranke Licht der nackten Glühbirne neben dem Türrahmen flackerte. Dann ging es aus und ließ sie im Dunkeln zurück.

       Sie hatte keine Angst, das hatte sie schon vor Monaten aufgegeben. Dunkelheit und Einsamkeit machten ihr nichts aus, im Gegenteil. Sie war froh, wenn sie für sich sein konnte. In ihrem Zustand war sie dankbar für jeden Moment der Ruhe und Erholung, von denen er ihr jedoch nur wenige gönnte.

       Dennoch war sie froh, wenn er nicht in ihrer Nähe war. Sie verabscheute seine Gegenwart, die keine Gesellschaft, sondern eine ständige Bedrohung war. Sie wusste, was sie von ihm zu erwarten hatte. Sie kannte ihn. Und sie hasste ihn.

       Sie rollte sich zitternd auf die andere Seite und strich mit einer Hand über ihren gewölbten Bauch, in dem das Kind lebte. Ihr Kind. Das Kind von Micha, dem Helden. Wie sehr vermisste sie Micha und seine Zärtlichkeit. Sie hatten heiraten wollen, damals im vergangenen Herbst. Der Ring an ihrer Hand war ein Traum und ein Versprechen gewesen.

       Doch dazu war es nicht mehr gekommen. Sechs Menschen – darunter sie selbst – hatte Michael gleich seinem Namenspatron wie auf Engelsschwingen gerettet aus dem lichterloh brennenden Haus, bevor er bei dem Versuch, auch ihre Eltern herauszuholen, mit ihnen zusammen von den herabstürzenden Dachbalken erschlagen worden war.

       Tante Manuela, die verwitwete jüngere Schwester ihres Vaters, hatte sie auf Bitten des Jugendamtes zu sich genommen. In dem kleinen Ort im östlichen Teil des Harzes hatte sie ihren Zustand nicht lange geheim halten können und einige gehässige Bemerkungen ertragen müssen. Und nicht nur sie, denn Schande färbte offenbar ab. Ohne Micha und den Schutz eines Trauscheins im Schrank würde ihr uneheliches Kind nichts als Schimpf und Schande erfahren; das hatte Tante Manuela ihr unmissverständlich klar gemacht.

       Wohl auch deshalb hatte die Tante den Besucher aus dem Westen empfangen, jenen entfernten Verwandten, der auf der westlichsten der ostfriesischen Inseln lebte. Bereits kurz nach der Wende hatte er per Brief Kontakt aufgenommen und war wenige Monate später sogar in der Bäckerei aufgetaucht.

       Sie hatte ihn von Anfang an nicht gemocht. Er war ihr unheimlich gewesen. Im Nachhinein war sie sicher, dass sie bereits damals die Gefahr gespürt hatte, die von ihm ausging.

       Als er an jenem Tag auf der Türschwelle stand, hatte die Tante ihn freundlich hereingebeten und Tee gemacht. Wenig später hatte sich die Wirklichkeit zu einem Alptraum verkrümmt.

       Sie wusste nicht mehr, ob sie erst den erstickten Schrei der Tante gehört oder deren sich krümmenden Körper am Boden gesehen hatte. Aber sie erinnerte sich noch ganz genau daran, wie er die Tür zum Wohnzimmer geschlossen hatte und auf sie zugekommen war, ein breites Lächeln im Gesicht.

       Danach war es dunkel geworden, und das nicht nur, weil sie die Besinnung verloren hatte. Da war ein seltsamer Geruch gewesen, erst süßlich, dann wie von Essig und Zitrone, aber künstlich wie ein Haushaltsreiniger.

       Die folgenden Stunden waren wie ein blasser, unscharfer Schwarzweißfilm in ihrer Erinnerung. Hin und wieder war sie halb erwacht und hatte gefühlt, dass sie in einem Auto lag, reglos, mit einem Tuch im Mund und gut zugedeckt, sodass sie nicht sehen konnte, wohin der Wagen fuhr. Einmal hatte sie geglaubt, geschaukelt zu werden.

       Sie war erst wieder zu sich gekommen, als er sie auf seinen kräftigen Armen durch die kühle Nachtluft trug. Sie hatte einen kräftigen Wind gespürt und das Salz in der Luft geschmeckt.

       Sie wusste, dass er sie auf diese stürmische Insel in der Nordsee gebracht hatte. Und sie hatte gespürt, dass jene kostbare Minute – der Gang vom Auto zum Haus – ihre Chance gewesen war. Eine Chance, die sie aufgrund ihrer nur sehr langsam nachlassenden Benommenheit nicht genutzt hatte und bereits am nächsten Tag bereut hatte. Und danach jede zweite oder dritte Nacht.

       Wie oft hatte sie seitdem daran gedacht, einfach wegzulaufen. Aber wohin? Und was würde dann mit dem Kind geschehen? Und wie sollte sie schaffen, das Haus zu verlassen, in dem er sie tagsüber kaum eine Sekunde aus den Augen ließ? Nicht einmal nachts war eine Flucht möglich; denn wenn er nicht bei ihr war, dann schloss er sie unbarmherzig ein in dem kleinen Kämmerchen am Ende des Flures, gleich neben der Tür zur Küche.

       Mit einem traurigen Seufzen zog sie die Decke fester um sich, küsste den blassblauen Stein auf dem Ring an ihrer Hand und begann zu träumen. Sie träumte von Micha, wie sie zusammen im Heu gelegen hatten in den Spätsommertagen des vergangenen Jahres. Wie er sie auf Knien gefragt hatte, ob sie ihn heiraten wolle, damals an jenem stürmischen Oktobertag, den sie auf dem Dachboden der benachbarten Bäckerei verbracht hatten, wo er jeden Morgen außer sonntags ab vier Uhr früh in der Backstube stand und Hefeteig knetete.

       Wenn doch nur dieses schreckliche Unglück nicht geschehen wäre, der Dachstuhlbrand der beiden aneinander grenzenden Häuser und das große Unglück…

       Ein Scharren an der Tür riss sie aus ihren Gedanken. Kam er etwa zurück? Hatte er sie für heute noch nicht genug gequält? Sie machte sich steif unter der Decke und lauschte angespannt. Doch die Schritte verweilten nur einen Moment vor der Tür zu ihrer kleinen Kammer, dann ging er mit einem tiefen Schnaufen fort.

       Sie atmete tief ein und langsam wieder aus. Dann schloss sie die Augen fester und versuchte zu schlafen. Sie musste schlafen. Morgen würde wieder ein sehr anstrengender Tag werden. Ein Tag, den sie unter normalen Umständen mit der Rundung ihres Bauches im Liegen verbringen sollte. Aber darauf nahm er keine Rücksicht, im Gegenteil.

      

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