Im Schatten des Deiches. Fee-Christine Aks

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Im Schatten des Deiches - Fee-Christine Aks StrandtGuth

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tote Frau!‘ rasen die Gedanken durch seinen Kopf. ‚Offenbar ein Mord. Und das hier bei uns auf Borkum! Das darf doch nicht wahr sein!‘

      Während er den Weg hinunterhastet und schließlich an der Bahnschranke anlangt und seinen Blick ratlos über die dunklen Häuser ringsum schweifen lässt, sieht er alles erneut deutlich vor seinem inneren Auge.

      Eine Frau im Daunenmantel mit weißen Strumpfhosen und blanken Winterschuhen. Ein blutbeschmierter Ast neben ihr und etwas seltsam Unförmiges neben der Stelle, die ein Kopf mit dunklen Haaren sein könnte.

      ‚Wer tut so etwas?‘ wirbelt es ihm im Kopf herum, während er links abbiegt und auf den Neuen Leuchtturm zu eilt. ‚Herr Gott nochmal, ein Mord! Wir sind hier auf Borkum. Das darf doch nicht wahr sein!‘

      Als er schließlich die Strandstraße erreicht, sieht er im Schein des sich stetig drehenden Leuchtfeuers eine dunkle Gestalt, die im Windschatten der Polizeistation von einem Fuß auf den anderen tritt. In gewissen Abständen glüht ein kleiner rötlicher Punkt in der Dunkelheit auf.

      „Hallo!“ ruft Karl außer Atem. „Bist du das, Gerrit?“

      „Wer ruft?“ ertönt eine erstaunte tiefe Stimme als Antwort. „Geben Sie sich zu erkennen. Augenblicklich!“

      „Ich bin es“, antwortet Karl und eilt näher. „Karl Jostermann. Schnell, du musst mitkommen, Gerrit.“

      „Moment, Moment“, erwidert der untersetzte Mann, der widerwillig aus dem Schatten des Hauses tritt und den Zigarettenstummel mit der Schuhspitze ausdrückt. „Ganz ruhig. Was ist denn los, Karl?“

      „Sie ist tot! Schnell, komm mit mir!“

      „Was? Tot? Wer ist tot?“

      „Eine Frau. Im Kurpark. Hinterm Deich. Schnell.“

      „Du lieber Himmel! Warte, ich sag rasch Claas Bescheid…“

      Gerrit verschwindet für wenige Augenblicke im Inneren der Polizeistation, dann steht er wieder draußen vor der Tür und zieht den Reißverschluss seiner dicken schwarzen Lederjacke zu.

      „Okay, Karl. Los, gehen wir.“

      Schweigend hasten die beiden Männer an den Bahnschienen entlang bis zum großen Parkplatz unterhalb von Wellnesstempel und Kulturinsel. Mit heftigem Stechen in den Seiten eilt Karl voraus den schmalen Weg entlang bis zu der Stelle, an der er Pelle zurückgelassen hat.

      „Pelle!“ ruft er leise. „Gib Laut, Junge. Wo bist du?“

      Voraus in der Dunkelheit hört er das leise Fiepen des Dackels. Gerrit zieht eine starke Stabtaschenlampe aus der Jacke und leuchtet den Weg ab. Nach nur wenigen Metern erfasst der weiße Strahl den grünen Behälter mit Streusalz.

      „Hier ist es“, keucht Karl und deutet auf den Busch links von dem Behälter.

      Gerrit macht zwei große Schritte auf den Streusalzbehälter zu, Karl folgt etwas langsamer. Das Licht der Taschenlampe streift den Dackel, der immer noch mit traurigem Blick am Boden kauert. Entsetzt erkennt Karl das verkrustete Blut, das Pelles braungraues Fell hinter dem linken Ohr verklebt.

      „Oh mein Gott, Pelle! Wer hat dir das angetan?“ flüstert er bestürzt und kniet neben seinem Hund nieder.

      Der Dackel hebt mühsam den Kopf und macht Anstalten, den ausgestreckten Armen entgegen zu robben. Doch Karl ist schneller und hebt ihn vorsichtig vom kalten Boden auf, um den kleinen zitternden Körper sanft im Arm zu wiegen.

      Gerrit leuchtet kurz den Hund ab, um sicherzugehen, dass Pelles Verletzung nur oberflächlich und nicht lebensbedrohlich ist. Dann gleitet der Lichtstrahl die weißen Strumpfhosen hinauf zum dunkelgrauen Daunenmantel und dem silbrig durchzogenen Haar, das unter dunkelgrünem Filz hervorquillt. Es ist ein Hut, den Karl sofort wiedererkennt.

      „Großer Gott!“ flüstern beide Männer. „Margit!“

      *****

      Samstag, 20. Dezember 2014.

      Samstag, 20. Dezember 2014.

      Carlotta Strandt verspürt ein unangenehmes Ziehen in der Magengrube. Der Matjesteller zum Mittagessen ist vielleicht doch keine so gute Idee gewesen. Ein Brötchen mit Nordseekrabben hätte es sicherlich auch getan. Aber nach der langen Bahnfahrt von Hamburg über Bremen bis nach Emden-Außenhafen hat sie so gewaltigen Kohldampf gehabt, dass sie während des Wartens beinah schon die Papierservietten im Bordrestaurant der Autofähre verspeist hätte.

      Nun ist es zu spät. Nun protestiert der marinierte Hering in ihren Gedärmen, sodass Lotta bei jeder schwankenden Bewegung des großen Schiffes ein paar Tropfen Galle zu schmecken bekommt. Die MS Ostfriesland kämpft sich tapfer durch den Sturm und rollt im freien Fahrwasser, seit sie die Osterems verlassen und Kurs auf Borkum Hafen genommen hat, sodass das halbvolle Cola-Glas vor Lotta bedenklich über den Tisch rutscht. Hin und her, hin und her.

      Ob das wirklich eine so gute Idee gewesen ist, dem nett gemeinten Vorschlag ihres Chefs Folge zu leisten und den Weihnachtsurlaub frühzeitig anzutreten? Gewiss, sie hat in den vergangenen Monaten so viele Überstunden gesammelt wie andere in einem ganzen Jahr. Aber immerhin ist sie die Neue und muss sich reinknien in die Arbeit, um ihren Platz zu finden.

      So frisch von der Polizeischule kommend ist sie als zierliche Frau von gerade einmal zweiundzwanzig Jahren sowieso eine Kuriosität, sodass ein Kollege schon gewitzelt hat, man müsse rasch eine Kinderuniform aus der Mottenkiste hervorkramen. Derselbe Kollege hat wenige Stunden später wie alle anderen Bauklötze gestaunt, als Lotta den flüchtenden Sparkassenräuber mit einem gut gezielten Fersendrehtritt an der Straßenecke gestellt und von seiner Schusswaffe getrennt hat. Ihre erste Verhaftung.

      ‚Karate-Maus‘ hat der verblüffte Kollege Jacob Herms sie danach sofort getauft. Sie hat es ignoriert, obwohl sie ihn eigentlich hätte verbessern müssen. Immerhin ist sie Schwarzgurt-Trägerin im Taekwondo, und hat den Flüchtenden mit einem lehrbuchreifen Pandae-Dollyo-Chagi gestellt. Aber egal. Wichtig ist nur, dass sie sich Respekt verschafft hat, gleich am ersten Tag. Und das nicht nur, weil sie die dunkelblaue Uniform der Hamburger Polizei mit Dienstwaffe, Schlagstock, Handschellen und Funkgerät am Gürtel trägt.

      Sie macht ihre Arbeit gern und hat auch ihre Eltern, die aktuell mit irgendeiner Aida auf Kreuzfahrt in der Karibik unterwegs sind, mit ihrer Begeisterung für den Berufsweg im Dienste von Stadt und Staat anstecken können. Die unvermittelte Zwangsbeurlaubung so kurz vor Weihnachten, verbunden mit der halb ernsten Drohung, ja erst nach Neujahr wieder auf der Wache zu erscheinen, ist jedoch überraschend gekommen.

      Als gute Arbeitnehmerin und Angestellte mit geringer Aussicht auf Beamtenlaufbahn hat Lotta sich zuerst zu weigern versucht und vorgerechnet, dass ihre sechsmonatige Probezeit noch nicht um sei. Doch der Chef hat nichts davon wissen wollen, sondern sie mit Nachdruck und einem väterlichen Lächeln in den Urlaub verabschiedet. Ob sie irgendwo hinfahren und mal ausspannen könne, hat er gefragt.

      Es hat ein paar Augenblicke gedauert, bis Lotta an das Haus ihrer Großmutter Marlies gedacht hat. ‚Haus Westwind‘ heißt es und steht irgendwo im alten Dorfkern auf der ostfriesischen Insel Borkum, der westlichsten der deutschen Nordseeinseln. Die Großmutter,

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