Der verschwundene Vater. Michael Aulfinger
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Читать онлайн книгу Der verschwundene Vater - Michael Aulfinger страница 6
„Ja,“ antwortete Cordula impulsiv. In ihrer Stimme war ein Vorwurf nicht zu überhören. „Natürlich.
Du etwa nicht?“
„Doch, doch. Aber du mußt auch realistisch sein. Es kann andererseits jeden Tag seine Todesmeldung kommen. Das wünsche ich natürlich nicht, aber es kann geschehen. Dessen mußt du dir auch bewußt sein.“
„Oh, ja,“ wetterte Cordula. „Ich weiß was du meinst. Erst vor wenigen Tagen habe ich es erleben müssen, als plötzlich die Polizei vor der Tür stand. Und dann dieses schreckliche Erlebnis in der Gerichtsmedizin mit dieser verstümmelten Leiche. Es war, gelinde gesagt, ein scheiß Gefühl. Glaube mir. Sowas will ich nie wieder erleben. Es war grausam. In einer Sekunde hatte ich mir nämlich eingebildet, daß Bernd auf dem sterilen Tisch lag. So eine verdammte Einbildung hatte ich. Kannst du dir das vorstellen?
„Oh ja,das kann ich mir vorstellen. Das wünsche ich Dir nicht nicht nochmal. Es muß schrecklich gewesen sein. Das du dann solche Halluzinationen bekommst ist ja dann wenig verwunderlich. Deshalb hoffe ich auch, daß dich dein Gefühl nicht täuscht, und das Bernd noch lebt. Hoffentlich hast du recht.“
„Ja. Ich glaube daran. Irgend etwas ist aber passiert. Ich fühle, daß ihm was schreckliches widerfahren ist. Aber was? Vielleicht ist er verletzt und kann sich nicht mehr an seinen Namen erinnern. Vielleicht hat er eine Amnesie, oder wie das heißt. Er hat sein Gedächtnis verloren. Kann ja alles sein. Aber er lebt noch. Daran alleine glaube ich.“
„Ich bewundere dich für deine Zuversicht.“
„Danke, aber du ahnst nicht, wie es in mir aussieht. Stark zu sein ist nicht immer ein Vergnügen. Stark zu sein zehrt enorm an den Kräften. Gerade habe ich mit Sonja meine Probleme. Sie wirft mir die ungeheuerlichsten Vorwürfe an den Kopf. Ich hätte Bernd vergrault. Meinetwegen ist er verschwunden. Das glaube ich nicht. Nein, ich weiß sogar, daß es nicht stimmt. Aber sowas muß ich mir von der eigenen Tochter anhören.
Sag, Bettina. Bist du auch der Meinung, daß ich Bernd vergrault habe? Habe ich ihn in die Arme einer anderen Frau getrieben?
Bin ich so ein Monster?“
„Nein, Cordula.“ Bettina nahm ihre Freundin in die Arme. Das bist du weiß Gott nicht. Ich glaube eher, daß Sonja es auch nicht so meint. Siehe mal. Sie vermißt ihren Vater auch. Sie hat die gleichen Ängste und Qualen wie du zu erleiden. Es ist nun mal ihre Art damit umzugehen. Sie braucht ein Ventil, aus dem sie ihre aufgestauten Aggressionen und Verlustängste loswerden kannst. Und dieses Ventil bist nun einmal du. So leid es mir tut. Gib ihr noch Zeit.“
„Meinst du?“ Cordula wischte sich die Tränen weg.
„Ja. Sonja meint es nicht so. Sie ist selbst fertig mit den Nerven, und weiß sich nicht anders zu helfen als einen Sündenbock auszumachen. Nimm es ihr nicht übel.“
„Danke für deine Hilfe.“
Cordula und Bettina unterhielten sich noch stundenlang. Es war kurz vor Mitternacht, als Bettina aufbrach. Diese Nacht war die erste Nacht seit langem, daß Cordula einigermaßen Schlaf fand. Das Gespräch mit ihrer Freundin hatte ihr sichtlich gutgetan.
Sie gab ihre Hoffnung nicht auf, daß ihr Mann eines Tage wieder zurück kommen würde. Egal aus welchem Grunde er einst verschwand. Ob er eine Affäre hatte, er ein neues Leben beginnen wollte oder es einen anderen Grund gab. Das war ihr egal. Sie würde ihm verzeihen. Egal was geschehen war. Ihre Liebe zu ihm würde es wieder richten.
Da war aber noch die Möglichkeit, daß er gar nicht mehr lebte. Wie eine langsam voran schleichende Schlange kribbelte der latente Verdacht in ihr hoch, und versuchte sie gänzlich einzunehmen und zu verunsichern.
Nein, rief sie in sich selbst hinein. Bernd ist nicht tot. Er darf nicht tot sein.
Es war grausam. Ständig quälten sie die Furcht vor seinem Tode.
War an dieser Furcht ein Funken Wahrheit?
Cordula erwachte mitten in der Nacht. Es geschah in den letzten vier Wochen häufiger, daß sie in der Nacht erwachte. Das lag dann nicht wie vordem daran, daß sie sich erleichtern mußte, sondern an der nervlichen Anspannung. Manches mal hatte sie dann das schreckliche Ende eines Albtraums geweckt. Zitternd lag sie anschließend auf dem Rücken, und vermochte nicht mehr einzuschlafen. Und dieser Zustand vermehrte sich zunehmend, so daß es nahezu in jeder Nacht geschah. Die Quittung für die schlaflosen Nächte, erhielt sie dementsprechend im rücksichtslosen Alltag.
Tief zurückliegende dunkle Augen zeugten von einer derartigen nervlichen Zerreißprobe, die bald nicht mehr zu kontrollieren war. Jeden Tag fiel ihr die Beherrschung schwerer. Dazu kamen noch die bewußten Provokationen der Tochter, und die Abkapselung des Sohnes. Einen tröstenden Halt fand sie außer ihrer Mutter und Bettina nicht.
Doch in dieser Nacht war es etwas anders. Bevor der übliche Albtraum überhaupt in der Lage gewesen wäre sein mentales Schreckensszenario abzuspielen und sie zu erschrecken, war sie erwacht. Etwas anderes hatte sie geweckt. War es ein Geräusch? Einige Sekunden lauschte sie mit geschlossenen Augen.
Nichts.
Sie hatte sich wohl getäuscht. Die durch ihren unruhigen Schlaf zerwühlte Decke schob sie wieder über ihren Körper, um sich damit auf die Seite zu wälzen.
Da war es wieder. Nun konnte sie sogar das Geräusch zuordnen. Es mochte die Holztreppe in den ersten Stock sein. Am Tage war ihr das knarren schon häufig aufgefallen, doch in der Nacht wirken alle Geräusche deutlich intensiver, und dadurch beinahe gruselig. Erneut lauschte sie. Dann war es plötzlich vorbei.
Absolute Stille.
Sie entschloß sich das knarren zu ignorieren, doch mochte es ihr nicht vollends gelingen. Wenige Minuten verstrichen, bis sie sich selber eingestand, daß sie nicht wieder einschlafen konnte. Ein Blick auf die Uhr informierte sie, daß es noch nicht einmal zwei Uhr war.
Das war es dann mit dem Schlaf, gestand sie sich ein. Cordula entschied sich dazu aufzustehen, und sich aus der Küche einen Saft zu holen, denn sie verspürte Durst.
Leise, um die Kinder nicht zu wecken, öffnete sie die Tür. Der obere Flur lag ruhig da, wie immer. Kein Licht brannte.
Um nicht im dunkeln auf der Treppe einen unbedachten Schritt zu machen, betätigte sie den Lichtschalter. Zuerst war sie geblendet. Schließlich gewöhnten sich ihre Augen daran. Sie ging die wenigen Meter zur Treppe, als sie an dem Zimmer ihres Sohnes vorbei schritt. Entgegen der Angewohnheit war die Tür nicht geschlossen, sondern stand einen kurzen Spalt offen.
Na, dann hat er wohl nach dem Toilettengang im Halbschlaf vergessen die Tür wieder zu schließen, dachte sie. Dann wollte sie das machen, bevor Dennis durch Licht oder Geräusche wach wurde. Trotzdem nutzte sie die Gelegenheit, um einen Blick auf ihr schlafendes Kind zu werfen. Es würde sie beruhigen, wenn ihr Kind sanft und friedlich schlummerte. Wenigstens er konnte friedlich und erholsam schlafen.
Ein Lichtstrahl fiel in das Kinderzimmer und auf ihren schlafenden Sohn. Friedlich lag er da.
Aber das hereinfallende Licht hatte noch jemand anderes bestrahlt. Diese Person kniete vor dem Bett des