Randwelten. Sarah L. R. Schneiter
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Читать онлайн книгу Randwelten - Sarah L. R. Schneiter страница 4
„Kommt sofort“, gab er über den Lärm zu verstehen und machte sich an die Arbeit und Lucy nutzte die Gelegenheit, die Menschenmenge genauer zu sondieren. Bislang konnte sie keine Bedrohungen erkennen. Die Betonung lag auf ‚bislang‘, denn früher oder später musste sie jemand aufspüren. Mit einem lauten Knall stellte der Barkeeper einen Bierkrug vor ihr hin. „Macht fünf Lipos.“
Sie kramte in ihrer Hosentasche und warf dem Mann einen Kreditchip zu. „Stimmt so.“
„Danke.“ Er zögerte, bevor er grunzte: „Sonst noch was? Chips, Nüsse …“
„Eine Schrumpfmaschine, um den Kerl auf der Bühne kleiner und leiser zu machen?“, schlug sie schief schmunzelnd vor.
Lachend winkte er ab. „Sorry, nicht im Angebot. Du kannst ihn gerne vertreiben und schöner singen, falls dir das liegt.“
Lucy unterdrückte knapp ein Glucksen; nein, eine Gesangskarriere stünde für sie keinesfalls in den Sternen. „Das lass’ ich mal lieber bleiben.“ Ihr fiel auf, wie neugierig ihr Gegenüber ihr Gesicht musterte und sie wartete auf die Frage, die sie schon dutzendfach gehört hatte. In der Tat rang der Wirt sich dazu durch, deutete mit dem Daumen auf ihre Wange und murmelte: „Große Narbe, was? Warst du in eine Barschlägerei verwickelt?“
„Nein, ich war Profikillerin und eines meiner Opfer hatte blöderweise ein Messer dabei. Kann den besten passieren.“
Mit geweiteten Augen starrte er sie an, dann brach er in Gelächter aus. „Meine Güte, für einen Moment hätt‘ ich dir das fast abgekauft, so ruhig, wie du das vorgetragen hast. Na, wenn du es für dich behalten willst, quetsch ich dich nicht länger aus.“ Mit einem amüsierten Schnauben wandte er sich dem nächsten Kunden zu, der eben an die Bar trat. Sie zuckte mit den Schultern und verbarg ihr Grinsen hinter dem Bierkrug. Niemand glaubte ihr die Wahrheit. Die alte Lucy, die Version ihrer selbst, die sie bis vor wenigen Wochen gewesen war, hätte sich nie Späße über ihren Job erlaubt, war eine jener gewesen, die mit größter Überzeugung einer vermeintlich höheren Sache dienten. Seit sie per Zufall etwas erfahren hatte, das sie nicht hätte wissen dürfen, war alles anders. Trotzdem bevorzugte sie es, sich keine Gedanken über das wie und was zu machen, für ihre momentane Situation spielte das sowieso keine Rolle. Zuvor war sie von Ort zu Ort gereist, um kleine, unauffällige Unfälle für Staatsfeinde zu inszenieren und nun war sie selbst der Staatsfeind und versuchte, nie lange auf einer Welt zu verweilen, denn wahrscheinlich war ihr Nachfolger auf ihren Fersen. Ihre einzige Option war, stets in Bewegung zu bleiben und dabei möglichst wenig aufzufallen. Idealerweise heuerte sie auf irgendeinem heruntergekommenen Frachter an, der ebenso heruntergekommene Planeten anflog.
Sie nahm einen letzten Schluck und rief dem Barkeeper zu: „Hey, noch so einen Fusel, das macht die Katzenmusik erträglicher!“
Er gab ihr ein bestätigendes Handzeichen und Lucy schaute sich in der Gaststätte nach einer passenden Sternenschiff-Crew um, als ihr jemand auf die Schulter tippte. Erschrocken fuhr sie herum und sah sich dem Hünen gegenüber, der bis eben das Lokal mit seinen zweifelhaften Singkünsten beschallt hatte. „Was hast du da gesagt?“
„Hey, ich will keine Probleme …“, setzte sie an. Der offensichtlich angetrunkene Bursche holte zu einem Hieb aus und Lucys trainierte Reflexe übernahmen die Kontrolle. Sie duckte sich derart flink weg, dass die Faust des Riesen einen anderen zwielichtigen Kerl ins Gesicht traf. „Ups“, lallte der gescheiterte Karaokesänger, da brüllte ihn sein versehentliches Opfer an: „Sag mal, hast du sie noch alle?“
Hastig zog sich Lucy einige Schritte zurück. Selbstverständlich wäre sie in der Lage, den stärkeren Gegner zu Boden zu bringen, dennoch war es ratsamer, Konflikte zu vermeiden; erst recht, wenn man nicht auffallen sollte. Während die beiden Kontrahenten aufeinander einprügelten und alle Aufmerksamkeit auf sich zogen, ging sie in Richtung des Ausgangs, wurde jedoch von einer rauen, weiblichen Stimme aufgehalten: „Hey, Narbengesicht!“
Rasch drehte sie sich um und stand einer dunkelhäutigen Frau gegenüber, die wie eine Raumfahrerin gekleidet war. „Was?“, knurrte Lucy, erpicht darauf, aus der Bar zu verschwinden, ehe die Keilerei ausartete.
„Du bist schnell. Kennst du dich mit Sternenschiffen aus?“
„Ein bisschen“, erwiderte Lucy und beobachtete den einige Meter entfernten Tumult, in den mittlerweile sechs Leute verwickelt waren. „Wer bist du und wieso willst du das wissen?“
„Natala“, stellte sich die Fremde mit dem Afro vor und bot ihr die Hand an. „Ich habe einen Frachter und bin auf der Suche nach einem ersten Maat.“
„Lucy.“ Sie schlug ein. „Können wir das bitte draußen besprechen, bevor wir in die Schlägerei verwickelt werden?“
„Klar, ich kenne da eine Bar in der Gegend, in der die Musik annehmbarer ist.“ Damit trottete Natala davon und Lucy folgte ihr die Stufen hoch auf die Straße. Wenn sie Glück hatte, wäre sie bald weg von hier und hätte einen halbwegs vernünftigen Job; vermutlich das Beste, auf das sie angesichts ihrer Vergangenheit hoffen konnte. Sie war sich zwar unsicher, ob sie auf lange Sicht ihren Verfolgern tatsächlich entkäme, aber vorerst wog sie sich in Sicherheit. Vielleicht, nur vielleicht, gab es sogar für ehemalige Profikiller sowas wie ungefährlicher Ruhestand.
Realität
Das große Portal, durch das ich in die Ritterburg eintrat, war mit unzähligen Fresken verziert und türmte sich imposant über mir auf. Ich ließ meinen Blick schweifen und bemerkte, wie alles Leben erstarrte, als ich in den Innenhof gelangte: Die stolzen Ritter, die mit ihren Lanzen als Wachen postiert waren, standen stramm. Die Magd, die einen großen Waschzuber trug, verneigte sich ehrfürchtig. Die Edelmänner, die eben von den Stallungen zum Schloss geschlendert waren, hielten inne und zogen ihre Hüte. „Einen wunderschönen Abend, edle Dame“, flötete einer von ihnen – ich erwiderte den Gruß etwas perplex. Gerne hätte ich behauptet, dass mir der Atem deswegen stockte, aber wenn ich ehrlich sein sollte, lag es eher an meiner Korsage. Ich konnte mir beim besten Willen keinen Reim darauf machen, wo genau meine Organe bei einer derart eng geschnürten Taille eigentlich Platz fanden. Dafür war das lange, königsblaue Kleid unten so weit, dass ich insgeheim die Befürchtung hegte, den Staub vom Hof zu wischen und damit dem Knecht, der mit dem Straßenbesen hantierte, die Arbeit abzunehmen. Doch das hatte so schon seine Richtigkeit, denn ich war die Herrscherin über diese Burg und diesen Landstrich. Eine Prinzessin zu sein hat viele Vorzüge, ich werde also mit den wenigen Unannehmlichkeiten leben können. Es gab auch nichts dagegen einzuwenden, dass ich zu alledem auch noch jung und hübsch war.
Wie in einem Traum wusste ich zwar, was es mit allem in dieser Welt auf sich hatte und trotzdem kam es mir fremd vor, ganz so, als würde ich es das erste Mal sehen. Ich mochte dieses Gefühl.
Heute wollte ich mich nicht damit beschäftigen, meinen Stab zu versammeln, ich verdiente meinen freien Tag. Zumindest war das der Plan gewesen, aber mein Kriegsminister, begleitet von zwei feinen Damen, deren Namen ich nicht kannte, unterbrach meinen Müßiggang. „Wollen Eure Hoheit uns bei einem Stück Himbeerkuchen zum Nachmittagstee Gesellschaft leisten?“
Ein solches Angebot