Metastasen eines Verbrechens. Christoph Wagner
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„Haben Sie die derzeitige politische Tätigkeit von Blauwitz genauer recherchiert?“, fragte Travniczek weiter.
„Ja, aber ohne brauchbares Ergebnis. Ich hab eine Bekannte in dem für rechtsradikale Umtriebe zuständigen Kommissariat. Blauwitz und dieser Reiterhof ist denen schon aufgefallen. Aber von Blauwitz gibt es keine politischen Äußerungen in der Öffentlichkeit, die strafbar wären. Und es gäbe zwar Hinweise auf dubiose Treffen in diesem Hof, aber das wär zu wenig, um dagegen vorgehen zu können.“
„Oder da sind mal wieder welche auf dem rechten Auge blind“, meinte Lange. „der NSU lässt grüßen.“
„Dann müssen wir den Hof eben eine Zeitlang selbst beschatten“, schlug Brombach vor.
„Langsam“, bremste Travniczek, „vorher hätte ich gern erst noch andere Informationen. Was habt ihr über Fritjof Fries?“
„Nichts, was einen konkreten Anhaltspunkt für uns ergeben würde“, erklärte Lange. „Nach den vorliegenden Unterlagen wurde er am 3. Februar 1923 in Mannheim geboren. Als Soldat der Wehrmacht an der Westfront eingesetzt, war er am 19. Oktober 1944 auf Heimaturlaub. In dieser Nacht kam es zu einem der schwersten Luftangriffe auf Mannheim. Er hat dabei wohl seine gesamten Papiere verloren. Ab 1. Februar 1946 war er in Hamburg gemeldet. Am 1. April 1950 ist er dann nach Argentinien ausgewandert. Er war dort als Geschäftsmann tätig.
Am 15. Mai 2003 ist er nach Deutschland zurückgekehrt und lebt seitdem hier im Michaelistift. Ich hab keinerlei Hinweise gefunden, dass er an irgendwelchen illegalen Dingen beteiligt war oder ist. Auch hat er keine relevante Nazivergangenheit. Bei der Entnazifizierung wurde er als Mitläufer eingestuft.“
In diesem Augenblick klingelte das Telefon. Frau Siebert ging an den Apparat und kam schnell wieder zurück.
„Es gibt Arbeit für euch. Im Kurpfälzischen Museum wurde eine männliche Leiche gefunden, erschossen.“
„Weiß man, wer es ist?“, fragte der Chef.
„Nein, bis jetzt noch nicht. Der Tote hatte wohl keine Papiere bei sich.“
„Dann machen wir uns auf den Weg.“
*
Auf der Fahrt zum Kurpfälzischen Museum war Travniczek noch mit den Gedanken bei ihren letzten Untersuchungen. Er vertraute Lewandowskis Instinkt. Aber wenn dieser Fritjof Fries tatsächlich ein Naziverbrecher war, wie würde man ihm jetzt noch beikommen können? Die meisten Spuren waren doch unwiederbringlich zerstört. Sicher, es hatte spektakuläre Fälle der Entdeckung gegeben. Aber wie viele konnten sich bis zu ihrem Lebensende in Sicherheit bringen? Wahrscheinlich mehr als man glaubt. Er merkte, wie schwer es ihm fallen würde, hier mit der nötigen Distanz zu ermitteln. Er erinnerte sich, wie er als Zehnjähriger beim Stöbern in alten Familienalben ein uraltes Hochzeitsfoto gefunden hatte. Seine Mutter hatte ihm daraufhin erklärt, das sei sein Opa, der im Krieg gefallen war, mit seiner ersten Frau. Die wäre kurz nach der Hochzeit gestorben. Er hatte bereits damals gespürt, dass da irgendetwas nicht stimmte. Sehr viel später fand er dann heraus, was tatsächlich geschehen war. Auf diesem Foto war ein Verräter abgebildet. Er war damals sehr wütend auf seine Eltern, dass sie ihm nie die Wahrheit gesagt hatten. Er wusste, um Lewandowskis Verdacht genau abzuklären, würde er notfalls auch nach Argentinien fliegen. Das war er dieser Frau schuldig.
Sie waren über den Uniplatz gefahren, in die Hauptstraße eingebogen und hielten vor dem Museum. Scheint ein Barockbau zu sein, dachte Travniczek, als sie durch das von korinthischen Säulen flankierte und mit einem Balkon überdachte Eingangstor eilten. Ein Durchgang führte sie auf die Rückseite des Gebäudes in den Museumsgarten. Hier befand sich der eigentliche Eingang. An dem Original der Kornmarktmadonna* vorbei kamen sie in den ersten Stock, durchquerten einige Räume, ohne auf die Exponate zu achten, und erreichten einen fast quadratischen Saal, dessen Wände tiefrot gestrichen waren. In diesem Raum befand sich ein einziges Ausstellungsstück, das die ganze Aufmerksamkeit auf sich zog: der Zwölfbotenaltar von Tilman Riemenschneider.
Travniczek musste sich zu seiner Schande eingestehen, dass er noch nie in diesem Museum war, obwohl er jetzt schon fast ein Jahr in Heidelberg lebte. Im Raum waren die in Schutzanzüge gehüllten Mitarbeiter der Spurensicherung bei der Arbeit. Aber der erste Blick des Kommissars ging zum Altar, und sogleich zogen ihn die individuell gestalteten Gesichter der einzelnen Figuren in ihren Bann. Es fiel ihm schwer, sich davon loszureißen und auf die auf dem Bauch liegende Leiche zu sehen. Der Gerichtsmediziner, Dr. Melchior, war schon bei der Arbeit.
„Können Sie schon etwas sagen?“, fragte Travniczek vorsichtig, denn er wusste, wie empfindlich Melchior reagieren konnte, wenn er bei der Arbeit gestört wurde.
„Eine Sache ist diesmal gleich klar. Der Tod ist vor maximal einer Stunde eingetreten. Aufgesetzter Schuss in den Hinterkopf, sicher mit Schalldämpfer, eine Art Hinrichtung.“
„Das bedeutet, der Tote ist wenige Minuten nach der Tat gefunden worden.“
„Sieht so aus.“
In diesem Augenblick versuchte ein kleiner, wohlbeleibter Herr mit Halbglatze, angetan mit einem dunkelblauen dreiteiligen Maßanzug und weinroter Krawatte, in den Raum zu gelangen, wurde aber von einem der Ermittler recht unsanft daran gehindert.
„Ich muss unbedingt den für die Ermittlung hauptverantwortlichen Polizisten sprechen!“, schimpfte er mit durchdringender Tenorstimme. Travniczek sah zu ihm hinüber und ging auf ihn zu.
„Lasst den Mann durch“, sagte er zu seinen Mitarbeitern. An den kleinen Dicken gewandt fuhr er fort: „Mit wem spreche ich bitte?“
„Ich bin Dr. Dr. Justus Semmelroth, Direktor des Museums. Sind Sie der leitende Ermittler?“
„Ja, der bin ich, Joseph Travniczek.“
„Können Sie schon sagen, was hier eigentlich passiert ist?“
„Mehr als Sie selbst sehen auch nicht. Hier wurde ein Mann am helllichten Tag erschossen. Aber ich hoffe, dass Sie bzw. Ihre Mitarbeiter mir helfen können, mehr zu erfahren. Rufen Sie bitte alle zusammen, die hier heute Morgen bis jetzt Dienst hatten. Ich will sie in spätestens einer Viertelstunde sprechen.“
„Muss das wirklich jetzt gleich sein? Wir stehen doch alle noch unter Schock.“
„Ja, das muss jetzt gleich sein. Ein Mord ist immer ungemütlich, da kann ich Ihnen auch nicht helfen. Wo sind übrigens die Museumsbesucher, die zum Zeitpunkt der Tat hier waren?“
„Die habe ich alle weggeschickt.“
„Das hätten Sie nicht tun sollen. Das sind ja alles potentielle Zeugen, die wir befragen müssen.“