Metastasen eines Verbrechens. Christoph Wagner

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Metastasen eines Verbrechens - Christoph Wagner Heidelbergkrimi

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wird auf jeden Fall dauern. Und jetzt entschuldigen Sie mich bitte, ich muss hier meine Arbeit machen.“

      Travniczek drehte sich abrupt um.

      „Dummkopf“, brummte er vor sich hin und erschrak über sich selbst, weil er nicht sicher sein konnte, dass der Herr Direktor das nicht gehört hatte. Aber dann kam ihm der Gedanke: Vielleicht ist der gar nicht so dumm, sondern tut nur so.

      „Das hier ist Herr Walter Hauschild“, sagte Brombach zu Travniczek, der sich wieder dem Geschehen am Tatort zugewandt hatte. „Er ist der Aufseher, der den Toten gefunden hat.“

      Hauschild war ein kleiner Mann, wohl in den Sechzigern, gebeugter Rücken, schütteres, ergrautes Haar. Er wirkte sehr verstört.

      „Herr Hauschild“, sprach ihn der Hauptkommissar freundlich an. „Ich verstehe, dass Sie etwas mitgenommen sind. Ich würde Ihnen aber trotzdem gern einige Fragen stellen. Wie haben Sie den Toten gefunden?“

      „Also, ich arbeite hier schon seit über fünfundzwanzig Jahren. Aber so etwas hab ich noch nicht erlebt.“

      „Das glaub ich Ihnen gern. Aber könnten Sie meine Frage beantworten?“

      „Ja, gewiss. Ich bin für diesen und einige der benachbarten Räume zuständig. Ich pflege immer langsam von einem Raum zum anderen zu gehen und überall eine gewisse Zeit zu verweilen. Und als ich dann heute wieder einmal hier reinkam, sah ich den Mann mit gesenktem Kopf da sitzen. Und da war plötzlich all das viele Blut. … Ich bin furchtbar erschrocken. Es dauerte eine Weile, bis ich begriff, was eigentlich los war, … und dann hab ich Hilfe geholt.“

      „Wie lange waren Sie vorher nicht in dem Raum?“

      „Höchstens zehn Minuten.“

      „Ist Ihnen davor etwas Besonderes aufgefallen?“

      „Nein, es war alles wie immer.“

      „Und der Tote, war der da schon im Raum?“

      „Ja, er saß da, ganz versunken in den Anblick des Altars. Ich kannte ihn vom Sehen. Er war öfters hier. Der Altar schien es ihm besonders angetan zu haben.“

      „Wissen Sie vielleicht sogar, wie er heißt?“

      „Nein, ich hab zwar hin und wieder ein paar Worte mit ihm gewechselt, aber seinen Namen … nein, tut mir leid, da kann ich Ihnen nicht helfen.“

      „Wär auch zu schön gewesen. Eine letzte Frage. Die ist aber besonders wichtig: Ist Ihnen in den Minuten vor der Tat hier irgendein Besucher besonders aufgefallen oder haben Sie etwas gehört? Der Täter hat zwar mit Sicherheit einen Schalldämpfer benutzt, aber auch so ein Schuss ist nicht völlig geräuschlos.“

      „Aufgefallen ist mir niemand besonders. Es sind zwar wie gewöhnlich einige Besucher durchgegangen. Aber das war alles ganz normal. Und gehört? Ehrlich gesagt, nichts. Meine Ohren sind nicht mehr die besten. Vielleicht lag es ja daran. Aber schauen Sie mal nach oben. Da ist eine Überwachungskamera. Die müsste den Mord eigentlich aufgezeichnet haben.“

      *

      Wenig später saßen die dreizehn Mitarbeiter des Museums, die gerade Dienst hatten, in einem Konferenzraum neben dem Foyer. Neun Frauen und vier Männer, die meisten schon in recht vorgerücktem Alter. Die Stimmung war gedrückt. Nur wenige unterhielten sich im Flüsterton. Sie konnten noch nicht so recht fassen, was hier gerade geschehen war. Als Travniczek und Lange den Raum betraten, verstummten die Gespräche mit einem Schlag.

      „Meine Damen und Herren“, sagte Travniczek, „ich kann gut verstehen, dass Sie immer noch unter dem Eindruck des gerade Geschehenen stehen. Normalerweise haben Sie es hier mit den schönen Dingen des Lebens zu tun, und dann passiert ein Mord – mitten unter Ihnen.“

      Hier hielt Travniczek kurz inne. Er musterte die Mienen der Anwesenden. Konnte einer von ihnen in die Tat verstrickt sein?

      „Das Außergewöhnliche an diesem Fall ist die Dreistigkeit des Täters“, fuhr er dann fort. „Vielleicht sind es ja auch mehrere, das wissen wir noch nicht. Aber gehen wir zunächst einmal von einem Täter aus. Er muss als ganz normaler Museumsbesucher hier hereinspaziert sein, abgewartet haben, bis sein Opfer allein in dem Raum des Riemenschneideraltars saß, und hat ihn dann kaltblütig von hinten erschossen. Danach konnte er das Museum ungehindert verlassen oder sich unauffällig unter die übrigen Museumsbesucher mischen. Niemand hat etwas bemerkt. Wir können aber auch eine andere Möglichkeit nicht ganz ausschließen – ich kann Ihnen das nicht ersparen, auch wenn es für Sie schwer erträglich sein dürfte: Der Täter könnte – rein theoretisch – auch hier unter uns sitzen.“

      Aufgeregtes Murmeln unter den Mitarbeitern. Einer der Jüngsten, sportliche Erscheinung mit kurzen, akkurat gescheitelten schwarzen Haaren und einem sehr kleingehaltenen, ebenso schwarzen Oberlippenbärtchen, sprang auf und schrie den Kommissar an: „Das ist doch unerhört! Sie können uns doch nicht einfach so verdächtigen!“

      „Da muss ich Herrn Pflaumer beipflichten“, schaltete sich Dr. Dr. Semmelroth mit hochrotem Kopf ein. „Was sind denn das für Wildwestmethoden! Wir sind ein seriöses Haus mit langer Tradition. Alle Mitarbeiter sind sorgfältigst ausgesucht. Da lege ich für jeden Einzelnen meine Hand ins Feuer. Ich erwarte, dass Sie sich entschuldigen.“

      Travniczek war sehr verblüfft über diese heftige Reaktion, fuhr aber ganz bedächtig fort: „Bitte beruhigen Sie sich. Es liegt mir fern, irgendeinen von Ihnen des Mordes zu verdächtigen. So kurz nach einer Tat habe ich überhaupt noch keinen Verdacht gegen jemand Bestimmtes. Ich frage jetzt nur danach, welche Möglichkeiten überhaupt bestehen. Und dabei darf es natürlich keine Denkverbote geben.“

      In diesem Moment öffnete sich die Tür. Brombach, der am Tatort geblieben war, sah herein und rief: „Chef, kommst du mal einen Moment? Es ist wichtig.“

      Etwas unwirsch wegen dieser Störung sagte Travniczek zu den Anwesenden: „Entschuldigen Sie mich bitte“, und ging nach draußen.

      „Michael, das kommt sehr ungelegen, was ist los?“

      „Sorry, aber es ist wirklich wichtig. Wir wissen jetzt, wer der Tote ist.“

      „Und?“

      „Sein Gesicht ist zwar durch den Austritt der Kugel sehr verunstaltet, aber ich hab ihn trotzdem sofort erkannt. Es ist Benjamin Lewandowski.“

      Travniczek war einen Moment sprachlos und knurrte dann: „Verdammt, das kann kein Zufall sein. Ich fürchte, das hat mit seinem Besuch bei uns letzte Woche zu tun. Wir haben seine Aussage nicht ernst genug genommen.“

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