Fünfunddreißigtausend Jahre vor unserer Zeit oder wie der Mensch den Wolf zähmte.. Karl Reiche
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Die Menschen entwickelten in dieser Zeit eine Fülle von Werkzeugen und Geräten, die ihnen das Überleben in ihrer sehr feindlichen Umwelt erleichterten. Und das gilt, neueren Forschungen zufolge, für beide damals in Europa auftretenden Menschengruppen, sowohl für den modernen Menschen als auch für den Neandertaler.
Die bedeutendsten und für ihr Überleben wichtigsten Geräte waren natürlich ihre Jagdwaffen, mit denen sie in der Lage waren, selbst große Tiere, wie das Mammut, das Wollnashorn, den Wisent, den Riesenhirsch, das Wildpferd und viele andere Tiere zu erlegen. Denn von ihrem Erfolg bei der Jagd hing ihr Überleben ab. So entwickelten sie neben sehr viel schlankeren und schärferen Lanzenspitzen aus Feuerstein auch die Speerschleuder, den Bumerang und Pfeil und Bogen.
Ferner begannen sie bereits mit einer Technik, die später in der mittleren Steinzeit noch weiterentwickelt wurde: dem Einsetzen von sogenannten Mikrolithen (scharfe Feuersteinsplitter). Diese wurden unterhalb der Spitzen ihrer Lanzen an den Schäften angebracht und rissen beim Zustoßen mit dieser Waffe dem gejagten Tier große und sehr stark blutende Wunden. Obendrein wurde die Lagerung von Nahrung besser entwickelt, wie Funde von Behältern und anderen Gegenständen zum Speichern von Lebensmitteln belegen.
Der Wolfsbau
Bisher war seine Welt immer dunkel gewesen. Er hatte sich ganz an seinem Geruchssinn orientiert, um die Nähe seiner Mutter zu suchen und insbesondere die Milch spendenden Zitzen zu finden. Die Mutter bedeutete für ihn Wärme, Geborgenheit und Leben. Er hatte auch die körperliche Nähe seiner Geschwister gespürt, die sich neben ihn zu den Nahrung spendenden Zitzen schoben. Wenn er sich satt getrunken hatte, war er immer eng an seine Mutter und seine Geschwister gedrückt wieder eingeschlafen.
Jetzt konnte er auf einmal hell und dunkel unterscheiden und nahm auch leises Atmen wahr, das von seinen drei neben ihm schlafenden Geschwistern herkam. Nicht nur seine Augen öffneten sich, sondern auch seine bisher eingerollten Ohren begannen aufzuklappen. Diese Fülle an neuen Eindrücken musste er erst einmal verarbeiten.
Er war die Nummer „Eins“ des Wurfes, der erstgeborene, bereits jetzt am weitesten entwickelte und überlebensfähigste Rüde. Seine Geschwister lagen in einem Knäuel neben ihm.
Neugierig hob er den Kopf. Um ihn herum war es dunkel und mollig warm, aber an einer Stelle sah er einen hellen Fleck:
Den Eingang der Höhle.
Im schwachen Licht, das durch diese Öffnung fiel, vermisste er die Mutter. Er begann gerade unruhig zu werden, als sich der helle Fleck am Höhleneingang plötzlich verdunkelte und er Geräusche hörte, die darauf hinwiesen, dass etwas oder jemand in die Höhle kam. Er zuckte zuerst zusammen und fiepte ängstlich, erkannte dann aber am Geruch seine Mutter und versuchte eifrig, zu ihr zu kriechen.
Die Wölfin schob sich ganz in den Bau und legte sich auf die Seite. Sofort war er bei ihr, suchte und fand eine der Zitzen und begann eifrig zu saugen. Dabei trat er mit seinen noch unbeholfen Vorderpfoten gegen das Gesäuge und genoss den warmen Fluss der Milch.
Inzwischen waren auch seine drei Geschwister wach geworden und krochen neben ihn, um sich ebenfalls ihren Anteil zu holen. Satt und zufrieden kuschelten sich seine Geschwister anschließend zu einem Knäuel zusammen und schliefen wieder ein. Er selbst aber war noch viel zu neugierig und genoss die neue Fähigkeit des Sehens. Auch wenn noch alles unscharf und verschwommen war, so sah er doch bereits das Fell der Mutter. Und er sah auch wieder den hellen Fleck, der, was er aber noch nicht wusste, der Eingang war.
Als er ein dringendes Bedürfnis spürte, kroch er etwas näher an seine Mutter heran und fiepte leise. Sofort begann seine Mutter seinen Bauch und seinen After zu lecken, um durch diese leichte Massage seine Verdauung anzuregen. Als er sich dann löste, entfernte sie das Ergebnis, indem sie es verschlang.
Erleichtert, satt und zufrieden kuschelte er sich zwischen den Vorderpfoten seiner Mutter zusammen und schlief ebenfalls wieder ein.
Als er das nächste Mal wach wurde, war die Mutter wieder nicht da, aber inzwischen hatte er begriffen, dass sie bald zurückkommen würde. So erkundete er erst einmal seine Umgebung.
Er befand sich in einer Höhle, die durch einen Windbruch entstanden war. Ein Sturm hatte mehrere Bäume umgeweht und so übereinander geworfen, dass ein Hohlraum entstanden war. Im Laufe der Zeit waren Zweige und Blätter darüber gefallen. In diesem vor Kälte und Regen geschützten Raum hatte die Wölfin ihre Jungen zur Welt gebracht. Hier waren die Welpen vor den Unannehmlichkeiten des Wetters gut geschützt.
Der helle Fleck zog den Welpen zwar magisch an, aber noch traute er sich nicht, ihn näher zu untersuchen.
Eine Woche später hatten sich seine Augen ganz geöffnet und auch seine Ohren entfalteten sich immer weiter, so dass er schon ganz gut sehen und hören konnte.
Zunächst sah er nichts, denn das ungewohnte Licht blendete ihn. Er sah nur eine Fülle von Weiß. Erst nach einer Weile gewöhnten sich seine Augen an die Helligkeit und er sah sich um.
Die Wölfin hatte den Bau für ihren ersten Wurf sehr gut gewählt. Durch den Windbruch war eine kleine Lichtung im Wald entstanden, die mit kleinen Bäumchen und Büschen bewachsen war. Der Zugang zu ihrer Höhle war dadurch gut verborgen. Nur direkt vor dem Eingang war eine kleine, nicht bewachsene Fläche.
Eine Fülle von neuen Eindrücken stürzte auf den Welpen ein. Er sah den hellen Tag, Bäume und die Sonne, die zwischen dem Laubdach hindurchschien. Er hob seine Nase und roch den Duft des Waldes, hörte das Summen von Insekten in seiner Umgebung und das leise Rauschen des Windes in den Wipfeln der Bäume.
Zum ersten Mal sah er seinen Vater. Der stand auf der kleinen Fläche vor dem Eingang der Höhle bei seiner Mutter und hatte für sie eine frische große Rehkeule mitgebracht, auf die sie sich gierig stürzte. Zusätzlich würgte er gerade die Innereien des frisch erbeuteten Rehs aus seinem Magen für sie hervor.
Von dem Geruch magisch angezogen kroch er näher und die Wölfin schob ihm mit einer Pfote einen halb verdauten kleinen Brocken zu.
Vorsichtig schnüffelte er erst und nahm dann den Brocken ins Maul. Er schmeckte wunderbar und die Wölfin schob ihm einen weiteren Brocken zu. Satt sah er sich weiter um.
In den folgenden zehn Tagen wurde das Leben für die Welpen richtig spannend. Immer, wenn sie nicht gerade schliefen, erkundeten sie die Umgebung des Eingangs zu ihrem Bau, spielten miteinander und warteten auf die Rückkehr ihrer Eltern. Da jetzt alle vier Welpen neben der Milch der Wölfin zusätzlich mit vorverdautem Fleisch versorgt werden mussten, damit sie schnell wuchsen, konnte das der Rüde allein nicht mehr schaffen. Die Wölfin musste, auch damit sie selbst weiterhin genügend Milch produzieren konnte, ebenfalls fressen. Also hatte sie, wenn auch etwas widerwillig, ihre Welpen im Bau