Im Himmel gibt es keine Tränen. Yvonne Tschipke

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Im Himmel gibt es keine Tränen - Yvonne Tschipke

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funkelnden Augen gegenüber.

      „Ich hab dir nicht gesagt, dass du deine Meinung kundtun sollst. Außerdem hast du gar keine Ahnung von all dem“, schnauzte ich Emma an.

      „Aber du hast mir ständig deine Probleme vorgejammert“, entgegnete sie mir. „Tom reagiert nicht auf meine Nachrichten. Tom hat mich benutzt. Tom behandelt mich wie Luft“, äffte sie mich nach.

      Ich ballte meine Hände zu Fäusten. Am liebsten hätte ich meiner besten Freundin, meiner herzallerliebsten Emma, eine reingehauen. Aber ich konnte mich gerade noch so beherrschen.

      „Argh!“, rief ich aus, stampfte einmal kräftig mit dem Fuß auf und entspannte im gleichen Augenblick meine Hände wieder.

      „Tut mir leid, Emma, ich wollte nicht …“, sagte ich leise. Ich hoffte, dass sie das versöhnen würde, doch Emma sah mich trotzig an.

      „Weißt du was, ich halt ab jetzt einfach meine Klappe und kümmere mich nicht mehr um deine Probleme. Und wenn du wieder klar im Kopf bist, dann kannst du mir ja ´ne Nachricht schicken!“

      Mit diesen Worten ließ mich Emma stehen. Meine beste Freundin, meine herzallerliebste Emma, ließ mich einfach so mitten auf dem Gehweg stehen. Ich sah ihr nach, solange, bis sie zwischen den anderen Menschen verschwunden war. Während ich hinter ihr her sah, spürte ich, wie Tränen in mir aufstiegen. Tränen der Wut, Tränen der Verzweiflung, Tränen der Einsamkeit, Tränen über den Verlust meiner Jungfräulichkeit. Und dann stand ich da – mitten auf dem Weg – und heulte. Ich kümmerte mich nicht um die Leute, die einen Bogen um mich machen mussten und mich verwirrt anstarrten. Ich kümmerte mich nicht um die Mädchen, die kichernd an mir vorbeistaksten. Es war mir völlig egal, ob sie über mich lachten und was sie von mir dachten. Mir war alles egal. Ich ließ meinen Tränen freien Lauf und hoffte, dass sie all das wegspülen würden, was mich belastete.

      Keine Ahnung, wie lange ich da stand, doch irgendwann kam mir in den Sinn, dass ich ja schlecht den Rest meines jämmerlichen Lebens hier auf dem Gehweg stehen bleiben und heulen konnte.

      Also wischte ich mir entschlossen die Tränen aus dem Gesicht. Und dachte dabei nach: Ich musste etwas finden, womit ich mich ablenken konnte. Ja, Ablenkung war das Richtige, wenn ich Tom vergessen wollte. Und ich musste unbedingt zu Emma. Ich musste sie um Verzeihung bitten. Tagelang hatte ich ihr die Ohren vollgequatscht. Über Tom und über meine Jungfräulichkeit, die ich am liebsten von ihm zurückgefordert hätte. Sie hatte Recht – ich musste wieder klar im Kopf werden. Ich musste diesen Idioten, die Nacht und alles, was dazu gehörte, einfach vergessen.

      Zaghaft setzte ich einen Fuß vor den anderen. Und wenn sie mich nicht sehen wollte? Wenn sie meine Entschuldigung nicht annahm? Was, wenn sie mir die Freundschaft aufkündigte? Ich musste schlucken und beinahe hätte ich wieder angefangen mit heulen.

      Plötzlich bekam ich einen schmerzhaften Stoß in den Rücken. Ich stolperte, taumelte zur Seite und konnte gerade noch verhindern, dass ich mitten auf dem Gehweg stürzte.

      „Steh doch nicht im Weg herum“, schnauzte mich der alte Mann an, der mir seinen Ellenbogen in den Rücken gerammt hatte. Dann hastete er weiter.

      „Arschloch!“, rief ich ihm hinterher und befürchtete, dass er noch einmal umdrehen und zurückkommen würde. Doch zum Glück war er wahrscheinlich schon halb taub - nichts geschah.

      Ich lehnte mich noch einen Augenblick gegen die Mauer des Hauses, neben dem ich stand. Und in diesem Augenblick entdeckte ich die perfekte Ablenkung. Es kam mir vor wie ein zaghafter Wink des Schicksals. „Aushilfe gesucht“, las ich auf einer kleinen schwarzen Tafel, die mitten auf dem Fußweg stand. Die pinkfarbenen Buchstaben sprangen mich direkt an. Ich hob meinen Kopf und sah, dass die kleine Tafel offensichtlich zu einem Cafè gehörte.

      Ich blieb noch eine Weile unschlüssig stehen, doch meine innere Prinzessin sprang aus ihrer dunklen Ecke und schob mich voller Ungeduld zur Tür.

      Kapitel 10

      Als ich an diesem Tag nach Hause kam, war ich Aushilfe im „Enjoy“.

      Rasmus, der Besitzer, hatte mich zwar zuerst etwas irritiert gemustert, was sicher an meinen verheulten Augen gelegen hatte, doch er gab sich mit meiner plausiblen, wenn auch gelogenen Erklärung zufrieden, dass ich an einer Allergie leide. Und stellte mich schließlich ein.

      Nun musste ich nur meinen Eltern noch erklären, dass ich ab heute dreimal in der Woche nach der Schule in dem kleinen gemütlichen Café in der Altstadt unseres Ortes Gläser und Tassen herumtragen wollte.

      „Und was wird mit den Hausaufgaben?“, lautete der erste Einwand meiner Mutter. Typisch!

      „Du hast doch selbst gesagt, ich soll mir einen Job suchen, wenn mir mein Taschengeld nicht genug ist “, erwiderte ich.

      „Ja, schon – aber das hab ich doch nicht so gemeint“, versuchte meine Mutter ihre Äußerung zu verharmlosen.

      Ich zuckte trotzig mit den Schultern. „Pech gehabt. Jetzt hab ich einen.“

      Meine innere Prinzessin verschränkte die Arme vor der Brust und sah mit mir gemeinsam Mama selbstbewusst entgegen. Niemand – auch nicht meine Mutter – würde mich daran hindern, diese verfluchte Nacht vergessen zu können.

      Mit selbstbewussten Schritten verließ ich die Küche.

      „Und die Hausaufgaben?“, rief mir Mama hinterher.

      „Mach ich auch!“, rief ich über die Schulter zurück.

      Das war die einzige Diskussion zu diesem Thema. Meine Eltern hatten sich damit abgefunden, dass ich versuchte, auf eigenen Füßen zu stehen. Zumindest war das ihre Erklärung für meine überstürzte Jobsuche. Ich hatte mit keiner Silbe erwähnt, dass dieser Job mir sozusagen in einer ausweglosen Situation schicksalhaft vor die Füße gefallen war.

      An einem Freitagnachmittag hatte ich meinen ersten Tag im „Enjoy“.

      Rasmus hatte mir bereits einen Tag vorher alles Wichtige erklärt und gezeigt. Es war eigentlich nicht schwer. Ich musste die Bestellungen der Gäste aufnehmen, sie Rasmus übermitteln und dann warten, bis er alles vorbereitet hatte. Dann kam der schwierige Teil des Jobs, nämlich die Bestellung in Form von gefüllten Tassen, Tellern, Gläsern oder Eisbechern an die jeweiligen Tische zu transportieren.

      Als ich zum ersten Mal eine Bestellung völlig falsch ablieferte, lachte Rasmus noch. Bei der ersten Bestellung, die auf dem Boden landete, ebenfalls. Nachdem ich einer Dame einen Eiskaffee über die weiße Spitzenbluse geworfen hatte, zog er schon die rechte Augenbraue nach oben. Doch von Tag zu Tag gelang es mir immer besser, die Bestellungen unfallfrei zu den Tischen zu bugsieren. Ich durfte bleiben.

      Emma allerdings war ein wenig sauer, dass ich nun so viel Zeit mit meinem Job anstatt mit ihr verbrachte. Ich wertete das als gutes Zeichen dafür, dass sie mir die Freundschaft nicht aufkündigen würde. Während ich Geld verdiente und dabei versuchte, Tom und diese verfluchte Nacht zu vergessen, hockte sie nun Nachmittag für Nachmittag im „Enjoy“ und erledigte ihre Hausaufgaben. Wenn ich nicht so viel zu tun hatte, leistete ich ihr Gesellschaft und schrieb nebenbei an meinen Hausaufgaben.

      Ich kam also meistens gar nicht dazu, über irgendwelche Dinge nachzudenken und so nach und nach gelang es mir tatsächlich, die Nacht aus meinen Gehirnschubladen zu schmeißen.

      Bis

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