Im Himmel gibt es keine Tränen. Yvonne Tschipke

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Im Himmel gibt es keine Tränen - Yvonne Tschipke

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      Kapitel 4

      Am späten Nachmittag kamen dann auch meine Eltern zurück. Sie waren zu Tante Annies Geburtstagsfeier gewesen. Früher mussten Pia und ich immer noch mit, aber seit einiger Zeit genossen es Mama und Papa, auch mal ohne uns unterwegs zu sein. Sie fanden, wir wären nun in einem Alter, in dem wir ruhig auch mal alleine zuhause bleiben konnten. Fand ich auch. Also, zumindest war ich mit meinen 17 Jahren alt genug. Mit 10 fand ich Pia zwar noch viel zu jung, um alleine zu bleiben. Aber sie war sowieso bei ihrer Freundin zur Übernachtungsparty, während ich mit meinen Freunden unterwegs gewesen war.

      Noch bevor ich den Schlüssel nun zum zweiten Mal an diesem Tag im Schloss hörte, hatte ich mein Bett frisch bezogen und überlegte einen kurzen Moment, dass ich ja noch irgendetwas machen wollte. Irgendetwas Wichtiges. Ich kam nicht darauf.

      Immer wieder schaute ich auf mein Handy, ob Tom sich noch mal gemeldet hatte. Aber da waren Nachrichten von Emma und Kim, jede Menge Gequatsche im Klassenchat über die gestrige spontane Party am See, Kommentare meiner Facebookfreunde – sonst nichts. Tom schien wie vom Erdboden verschluckt. Gut, vielleicht hatte seine Mannschaft heute gewonnen und nun feierten sie ein bisschen. Klar, dass er da nicht schreiben konnte. Würde ja ein bisschen komisch rüber kommen, wenn er zwischen Bier und Schnaps Liebesnachrichten an mich tippte. Vielleicht konnte er ja auch nicht mehr tippen, weil er schon wieder besoffen war.

      Irgendeine Erklärung würde es schon geben, sagte ich mir.

      „Hallo, Mila. Wir sind wieder da.“ Mama steckte ihren Kopf durch die Tür in mein Zimmer und lächelte mich an.

      „Seh ich“, erwiderte ich und hob meine Augen nicht eine Sekunde von dem Buch, in dem ich las.

      „Alles okay? Hast du schlechte Laune?“

      Ich klappte das Buch mit einem genervten Stöhnen zu und sah meine Mutter ebenso genervt an.

      Mama kam in mein Zimmer und sah sich um. Wie immer mit diesem besonderen „Du-könntest-mal-wieder-aufräumen-Blick“. Aber dieses Mal hatte sie keinen Grund zum Meckern. Ich hatte mein Zimmer aufgeräumt. Gut, das meiste Zeug, das gestern früh noch auf dem Boden gelegen hatte, befand sich nun im Schrank – liebevoll hinein gestopft. Ich war mir sicher, dass Mama da garantiert nicht reinschauen würde – jedenfalls nicht, solange ich mit ihr gemeinsam in meinem Zimmer war.

      „Nanu? Schon wieder das Bett frisch überzogen?“ Sie sah erst mein Bett mit der Pferdebettwäsche und dann mich mit hochgezogenen Augenbrauen an. Warum musste sie auch alles merken, schoss es mir in den Kopf. Einen kleinen Augenblick überlegte ich, dass es vielleicht besser gewesen wäre, nur das Bettlaken zu wechseln. Doch ich hatte mich entschieden, alles zu tauschen. Ich fand, dass mein ganzes Bettzeug irgendwie nach Sex gerochen hatte. Oder zumindest nicht nur nach mir.

      „Ähm, ja, hab meine Tage bekommen“, log ich und spürte, wie mir das Blut ins Gesicht stieg.

      Mama nickte. Ich atmete erleichtert aus.

      „Schon wieder?“, stellte sie allerdings noch fest, während sie das Zimmer verließ.

      Warum wussten Mütter immer über alles Bescheid? Ich meine, immerhin redete ich nicht mit ihr darüber, ob und wann ich meine Periode hatte. Zählte sie allen Ernstes die Tampons in der Packung nach, oder was?

      Aber dann war sie weg.

      Und ich suchte auf einmal hektisch meinen Fußboden ab. Denn in diesem Augenblick war mir eingefallen, was ebenfalls plötzlich weg war. Das Kondomtütchen! Wo zum Geier war es abgeblieben? Ich kniete mich auf den flauschigen Teppich und sah unters Bett. Scheiße! Da lag die Packung auch nicht. Ratlos lehnte ich mich gegen das kleine Schränkchen und dachte nach.

      Wahrscheinlich hatte ich es zusammen mit der Bettwäsche in den Waschkorb im Bad geschmissen. Ich sprang auf und rannte ins Bad. Ich zerrte das Bettzeug aufgeregt aus dem Korb und schüttelte es aus. Ich wollte gar nicht darüber nachdenken, was passieren würde, wenn meine Mutter die Bettwäsche in die Waschmaschine stopfte und ihr das Tütchen entgegen fiel.

      „Was machst du denn?“ Plötzlich stand Papa im Bad und sah meinem Treiben zu.

      „Ich suche die Kondompackung, die ich vielleicht aus Versehen in das mit meinem Blut besudelte und nach Sex stinkende Bettzeug gewickelt habe, weil ihr nicht merken sollt, dass ich heute Nacht in meinem Bett von einem euch fremdem Jungen entjungfert wurde!“, hätte ich ihm am liebsten entgegen geschleudert. Aber ich konnte mich gerade noch so beherrschen.

      „Ähm, ich … suche …“, ich grübelte, wonach ich suchen könnte. Was war harmlos und zugleich wertvoll genug, um meinen Aufstand zu erklären? „ … einen der Ohrringe, die Emma mir zum Geburtstag geschenkt hat. Ich muss ihn im Bett verloren haben“, sagte ich schließlich. Papa sah mich mit einem seltsamen Blick an. Wahrscheinlich wusste er nicht, welche Ohrringe ich meinte, denn ich trug sie so gut wie nie, aus Angst sie zu verlieren.

      „Ist alles in Ordnung mit dir, Mila?“, fragte er sanft.

      „Was soll denn nicht in Ordnung sein? Ich bin keine Jungfrau mehr und irgendwo hier liegt ein Kondomtütchen herum“, dachte ich. „Ja, alles in Ordnung. Was soll denn sein?“, entgegnete ich, sichtlich darum bemüht, völlig normal zu klingen. Die hektischen Tonsprünge in meiner Stimme überhörte ich großzügig und hoffte, Papa würde das auch tun.

      Papa zeigte auf meinen Kopf. „Du hast die Ohrringe an deinen Ohren. Beide.“

      Verwirrt fasste ich nach meinen Ohrläppchen. Ich Idiot hatte vergessen, dass ich die kleinen glitzernden Schmetterlinge gestern Abend ja tatsächlich angelegt hatte, weil Emma und ich uns einen schönen Abend machen wollten.

      „Ähm, ja, hab ich gar nicht bemerkt“, stammelte ich.

      „Wir essen gleich“, sagte Papa noch und ging kopfschüttelnd davon.

      Okay, Mila, denk nach. Wo könnte diese kleine verfluchte Tüte noch sein? Hatte ich sie schon in den Müll geworfen? Ganz sicher nicht, denn ich wollte sie ja gleich nach unten bringen.

      Vielleicht hatte ich sie in meinem Papierkorb entsorgt.

      Aber auch da fand ich sie nicht. Das kleine bunte verflixte Ding war wie vom Erdboden verschwunden.

      Beim Abendbrot erzählten Mama und Papa vom Besuch bei Tante Annie.

      Sie war meine Patentante und normalerweise fuhr ich gerne zu ihr. Am liebsten allerdings allein. Dann saßen wir stundenlang in ihrem kleinen gemütlichen Garten hinter ihrem kleinen gemütlichen Haus und quatschten über Gott und die Welt. Tante Annie war Mamas beste Freundin und genauso alt wie meine Mutter. Aber irgendwie kam sie mir gar nicht wie 40 vor, sondern viel jünger. Sie kleidete sich anders, sie redete anders und sie verstand die Dinge, die ich ihr anvertraute auch ganz anders als meine Mutter. Mama versuchte immer, die Dinge zu erklären oder zu ergründen. Sie versuchte ständig, mir gute Ratschläge zu geben und wusste immer alles besser als ich. Aber Tante Annie hörte zu, nickte nur hin und wieder. Bei ihr hatte ich das Gefühl, dass sie mich nicht immer verbessern und belehren wollte. Sie nahm mich ernst. Mich und meine Gefühle, mich und meine Ängste.

      „Mütter müssen so sein“, sagte sie mir immer. Ja, Mütter waren zum Erziehen da, zum Beschützen vor großen Fehlern, zum Belehren. Und Tante Annie war einfach da, um eine gute Freundin zu sein.

      „Annie fragt, wann du mal wieder zu ihr kommst. Du warst schon lange nicht mehr da“,

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