Im Himmel gibt es keine Tränen. Yvonne Tschipke
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Читать онлайн книгу Im Himmel gibt es keine Tränen - Yvonne Tschipke страница 8
Irgendwie war es um uns herum schlagartig still geworden. Toms Freunde verstummten augenblicklich, die Zicken stellten für kurze Zeit das Lästern ein, die Kleinen stoppten ihr Herumflitzen. Alle Augen schienen auf Tom und mich gerichtet zu sein.
Das nächste, was ich mitbekam, war, dass Emma mich am Arm mit sich zog. Irgendwohin.
Wohin, das war mir im Grunde genommen egal – Hauptsache weit weg von all den Menschen, die um eine Sensation reicher waren.
„Bist du jetzt völlig wahnsinnig geworden?“ Emma starrte mich entgeistert an.
„Wow, Mila. Ich hoffe, dass du nie so sauer auf mich bist“, meinte Jonah anerkennend und ich wunderte mich einen sensationell kurzen Moment, weshalb er neben mir stand.
„Aber das war jetzt echt stark“, schob Jonah hinterher, ignorierte Emmas Blitzblicke und hockte sich wie selbstverständlich neben uns auf die Bank.
Ich drehte mich zu ihm um und sah ihn an, als würde ich ihn heute zum ersten Mal sehen. Jonah verzog sein Gesicht zu einem spitzbübischen Lächeln.
„Verpiss dich“, schnarrte ich ihn an, „oder glaubst du, dass du mir jetzt ständig hinterher laufen kannst, nur, weil du mich einmal nackt gesehen hast?“
Jonahs Lächeln erstarb und seine blauen Augen verloren von einem auf den nächsten Moment ihr freches Glitzern. Ich tat so, als ob ich Emmas irritierte Blicke nicht bemerkte.
„Wenn du meinst“, flüsterte Jonah.
Während er sich erhob und schließlich mit hängenden Schultern davon ging, spürte ich, wie sich mein Herz zusammen zog und in meinem Hals ein dicker Kloß wuchs. Irgendwie überfiel mich ein komisches Gefühl, als ich Jonah über den Schulhof schleichen sah.
„Warum hast du Tom eine gescheuert? Ich dachte …“, holte mich Emma aus meinen Gedanken. Ich zog wortlos mein Handy aus der Hosentasche und hielt es ihr unter die Nase. Emma überflog die Chatnachrichten zwischen Tom und mir mit zusammengezogenen Augenbrauen.
„Ich wusste es. So ein Idiot!“, quetschte sie zwischen den Zähnen hervor.
„Noch Fragen?“, murmelte ich. Emma schüttelte leicht den Kopf. Doch schon im nächsten Moment sah sie mich mit ihren großen blauen Augen an.
„Doch … eine Frage hätte ich noch. Wann hat Jonah dich eigentlich nackt gesehen?“
Ich öffnete meinen Mund, um ihr eine Antwort zu geben, obwohl ich keine Ahnung hatte, wie ich es ihr erklären konnte, ohne dass sie einen totalen Lachanfall bekommen würde.
Doch zum Glück hörten wir gerade in diesem Augenblick die Schulglocke läuten. Erleichtert darüber, dass diese peinliche Angelegenheit nun erst einmal Jonahs und mein „Geheimnis“ bleiben würde, machte ich meinen Mund wieder zu und schob mich von der Bank. Ich fasste nach Emmas Ärmel und zog sie mit mir. „Los, wenn wir bei der Berthold zu spät kommen, gibt’s Ärger. Und den kann ich gerade nicht gebrauchen“, sagte ich.
„Wann? Und wo? Los, Mila, sag schon“, bettelte Emma, während wir zum Schulhaus gingen. Aber ich schwieg beharrlich. Ich dachte nicht daran, ihr die Story zu erzählen – jedenfalls nicht hier und jetzt; nicht mitten auf dem Schulhof.
Auch Tom und seine Kumpels machten sich auf den Weg zum Unterricht.
„Schaut nicht danach aus, als hätte dem dein Schlag was ausgemacht“, bemerkte Emma mit einem Blick auf ihn. „Der hat sich das Blut aus dem Gesicht gewischt und weiter geht’s.“
Meine Augen folgten ihren Blicken. Tom tuschelte mit den Jungen, die neben ihm gingen, ab und zu sahen sie zu uns her und lachten.
Meine innere Prinzessin schmollte weiter in der hintersten dunklen Ecke meiner Seele vor sich hin und putzte sich mit dem letzten Rest meines dünnen Selbstbewusstseins die Nase. Trotzdem zuckte ich nur mit den Schultern.
„Na, und? Aber es hat ihm wehgetan und er hat geblutet“, murmelte ich trotzig und scheinbar zufrieden mit mir. Ich war mir allerdings nicht ganz sicher, ob ich das auch wirklich war. Immerhin hatte ich eine absolute Niederlage erzielt. Tom hatte mich nur benutzt. Und ich Idiotin hatte geglaubt, dass er es ernst meinen könnte. Dass er sich wirklich für mich interessierte. Jetzt war mir allerdings klar geworden, dass er viel zu besoffen gewesen war – und ich ebenfalls. Denn sonst hätte ich mich nie und nimmer darauf eingelassen, dass er mit zu mir kommt. Dann hätte ich die ganze Sache penibel durchdacht. Immerhin musste das erste Mal gut vorbereitet sein. Davon konnte in diesem Fall ja wohl nicht die Rede sein. Gut, Tom war vorbereitet – immerhin hatte er ein Kondom dabei. Mit Erdbeergeschmack! Ich hasste Erdbeeren und nur deshalb wurde mir in diesem Augenblick klar, dass es jedes andere Mädchen hätte sein können, mit dem er in dieser Nacht im Bett gelandet wäre. Er hatte mich nur spontan auserwählt. Wahrscheinlich war ihm aber auch erst nach dem Aufwachen bewusst geworden, wo er war.
„Los, lass uns rein gehen. Ich will keinen Stress“, meinte ich schwach und zog Emma hinter mir durch die große Glastür, durch die Sekunden vorher auch Tom und seine Kumpels verschwunden waren.
Kapitel 9
Ich wollte mich ablenken.
Ablenken von jedem Gedanken an Tom und daran, dass er mich benutzt hatte. Ich wollte nicht mehr daran denken, dass ich mich ihm für einen One-Night-Stand hingegeben hatte. Ich wollte die Tatsache, dass er mich, obwohl wir miteinander geschlafen hatten, wie Luft behandelte, aus meinem Kopf werfen.
Ich war wütend auf mich, weil ich einer Illusion erlegen war. Der Illusion, dass Tom und ich eines Tages händchenhaltend durch den Park spazieren würden, er mir Schmeicheleien ins Ohr flüstern und ich amüsiert kichern würde. Diese ganze rosarote Seifenblase war in einer Sekunde zerplatzt. Ich konnte mich nur nicht entscheiden, ob bereits an dem Morgen, als Tom unsere Wohnung sang- und klanglos verlassen hatte oder erst in dem Augenblick, als mich auf dem Schulhof die bittere Wahrheit erwischte.
Nur eins war sicher – ich musste diesen Typen aus dem Kopf bekommen. Und mit ihm diese Nacht.
Die Frage war nur, wie?
Immerhin sahen wir uns an jedem verdammten Tag in der Schule. Tom war zwar in keinem meiner Kurse, doch wir liefen uns öfter über den Weg als mir lieb gewesen wäre. Ganz egal, ob ich aufs Klo, in die Cafeteria oder in einen der Unterrichtsräume ging – irgendwo standen er und seine Kumpels immer herum, glotzten blöd und feixten mich dämlich an.
„Behandle ihn einfach auch so, als wäre er gar nicht da“, riet mir Emma, als wir an einem Nachmittag zusammen durch die Stadt schlenderten. „Tu einfach so, als wäre zwischen euch nie etwas gewesen.“
„Klar doch, ist ja nicht so, dass ich mit diesem Affen mein erstes Mal hatte. Ist ja völlig unwichtig“, blaffte ich und sah Emma wütend an. Wie kam sie auf so einen blöden Gedanken. Sie konnte doch gar nicht mitreden. Immerhin hatte meine Freundin noch nie mit einem Jungen geschlafen. Felix und sie wollten auf den richtigen Augenblick warten. Sie wusste doch gar nicht, wie sich das anfühlte, wenn man jemandem das Beste und Wertvollste, das man besaß, schenkte, er dieses Geschenk als selbstverständlich hinnahm und an der nächsten Ecke achtlos fallen ließ.
„Warum bist du denn so aggressiv? Seit Tagen