Die Legende der irischen Wolfskönigin. Gerhard Kunit
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Sie sah sich um, verschaffte sich einen Überblick und erkannte, dass der Austausch der Gefangenen und die Übergabe der Toten beinahe abgeschlossen waren. Eillean sah herausfordernd herüber, und Medbh winkte zur Bestätigung, dass es ihr gut ging. Askarion trat hinter ihr aus dem Zelt, wiederholte seine Worte und winkte den Dolmetscher heran, als sie nicht reagierte.
„Geh mit mir“, übersetzte der Mann zögernd und wich einen Schritt zurück, als sie ihn anfunkelte. „Wie Königin ich behandle dich“, fuhr er mit einem Seitenblick zu Askarion fort, während er sich vor ihr duckte. „Geh mit mir.“
Die Hitze ihrer Erregung wich einer gnadenlosen Kälte, als sie an die Toten dachte und an das Leid, das die Fremden über ihr Volk, über die Ceannacht und zahllose andere Stämme gebracht hatten und noch bringen würden. „Geh und komm nie wieder“, zischte sie. „Falls ich dich noch einmal an unseren Küsten sehe, bringe ich dich um.“
Askarion zuckte vor ihr zurück, noch ehe ihm ihre Worte übersetzt wurden, und mit seinem Lächeln verschwand auch jegliche Nachgiebigkeit aus seinen Zügen. Ein letzter Blick durchforschte ihre Miene nach einem Gefühl, nach einem Echo der eben durchlebten Leidenschaft, doch er suchte vergeblich. Er spie aus, wandte sich ab und ging zu den Schiffen, ohne sich noch einmal umzusehen, während seine Männer das Zelt zusammenpackten und die letzten Toten verluden.
Medbh ging zu Torwingh, der bei befreiten Kriegern seines Stammes stand, winkte ihn zu sich und reichte ihm die Hand. „Du bist der tapferste Lügner, der mir jemals untergekommen ist. Bring deine Leuten nach Hause, und sag eurem Volk, wir wünschen einen dauerhaften Frieden, mehr noch, ein Bündnis gegen diese Bedrohung und jede weitere, die noch kommen mag.“
Der Ceannacht fiel auf die Knie und küsste ihre Hände. „Ich danke dir, Prinzessin Medbh. Wir stehen tief in deiner Schuld.“
„Willst du das nicht mit Vater besprechen?“, zischte Dommagh, als sie sonst niemand hören konnte.
Sie sah ihn an und hielt seinem fordernden Blick stand. „Nein, will ich nicht.“
„Kommen sie wieder?“, fragte Eillean, als sie von der Anhöhe auf die Schiffe hinabsahen, die dem offenen Meer entgegen strebten.
„Wir werden vorbereitet sein“, sagte Medbh.
* * *
„Setz dich“, sagte Ari. „Wir müssen reden.“
Irgendetwas stimmte nicht. Das Mädchen schluckte ihre Frage hinunter und hockte sich mit angewinkelten Beinen ins Gras vor der Holzbank.
„Magst du Tom?“, eröffnete die Mutter.
Maeve nickte abwartend. Seit sie sich öfter mit dem Jungen und Eileen traf, duldeten sie auch die übrigen Kinder, und das alleine war Grund genug ihn zu mögen, doch das war weder ein Geheimnis, noch ein Anlass für eine Aussprache.
„Was hältst du von Dough?“, setzte Ari nach.
Als Tom zum ersten Mal davon begonnen hatte, war ihr der Gedanke absurd vorgekommen, aber in den letzten Wochen hatte sie öfter darüber nachgedacht und sich eine Meinung gebildet. „Viel wichtiger ist, was du von ihm hältst“, antwortete sie. „Wenn du Dough magst, geht das in Ordnung, und falls Tom mein Bruder wird, soll es mir recht sein.“
Aris Miene entspannte sich. Sie beugte sich vor und gab Maeve einen Kuss auf die Stirn. „Danke, Kleines“, sagte sie. „Ich war mir nicht sicher, wie du es aufnimmst. Könntest du dir vorstellen im Dorf zu leben? Dough würde mir ein Stück vom Garten überlassen für unsere Kräuter, und du hättest endlich ein normales Leben wie jedes andere Kind.“
„Ich glaub schon“, antwortete Maeve mechanisch. Normal, dachte sie. Ich bin nicht normal. Niemand sonst hat schwarze Haare oder wasserhelle Augen. Keiner hier interessiert sich für die Heilkraft der Pflanzen, für die Kraft der heiligen Steine oder für die alte Göttin. Sie tun das als Legenden ab und als Aberglaube, aber wie kann ich das? Ich bin doch ein Teil davon.
„Das wird schon werden“, beantwortete Ari ihre nicht gestellte Frage. „Den Sommer über bleiben wir noch hier. Zum Erntedank werden Dough und ich heiraten, wir ziehen zu ihm, und ab Herbst gehst du in die Schule.“
Maeve stand auf und umarmte ihre Mutter. „Ich freu mich für dich, für euch, wirklich“, betonte sie.
Ari erwiderte ihre Umarmung und spürte dabei ihre Anspannung. „Ist alles in Ordnung?“, erkundigte sie sich.
Maeve schmiegte sich an sie. „Ja Mama. Es kommt nur ein bisschen plötzlich. Ich liebe dich, und der Rest wird sich finden.“
* * *
Noch am selben Tag suchten sie Dough auf. Er sah sie schon von weitem und kam ihnen entgegen. Sein Sohn stand in der Tür und sah neugierig herüber.
„Ja, ich will deine Frau werden“, sagte Ari und Doughs Lächeln verbreiterte sich, während er sie stürmisch umarmte.
„Tom, sie nimmt mich!“, rief er über die Schulter zurück. „Ich sag Ryan Bescheid! Der soll‘s gleich anschlagen, und dass das Bier am Samstag auf mich geht. Dann wissen es alle, und am Sonntag bestellen wir das Aufgebot.“ Er umarmte Ari, hob sie hoch, küsste sie und merkte nicht, dass die Aussicht auf den Rummel sie weniger begeisterte als ihn.
„Weißt du eigentlich, wie sehr ich deine Mutter liebe?“, sagte er, kniff Maeve in die Wange und lief zum Pub, ehe das Mädchen antworten konnte.
„Ich freue mich“, sagte Tom. „Du bist sicher eine tolle Schwester. Kommst du mit? Wir sagen es Eileen.“
Maeve zögerte und sah zu Ari.
„Geh nur. Ich komm gleich nach“, sagte die, und die Kinder folgten Dough, der soeben den Pub erreichte.
* * *
Für die Heranwachsenden begann eine wunderbare Zeit, und durch die Freundschaft mit Tom und Eileen lernte Maeve auch die übrigen Kinder besser kennen. Meist trafen sie sich bei der Ruine der alten Abtei, die an dem kleinen Moorsee zwei Meilen westlich des Dorfes lag. Seit Maeve dabei war, drängten auch Eileens jüngere Brüder Patrick und Kyle in die Gruppe und ließen sich nur noch schwer abwimmeln.
Dieser Sommer taugte nicht zum Baden, und ein altes Gewölbe bot Schutz vor den häufigen Schauern. Dort saßen sie beisammen und erzählten sich Sagen und Legenden über Kobolde und Trolle, über Elfen, Feen und Geister, die sie alle kannten und schon dutzendfach gehört hatten. Maeves Geschichten von Steinkreisen, Druidinnen und blutigen Schlachten waren hingegen neu und aufregend, und so stand sie bald im Mittelpunkt ihres kleinen Zirkels.
So schön das für die Kinder war, blieb ihnen mit Fortgang des kühlen nassen Sommers die gedrückte Stimmung der Erwachsenen nicht länger verborgen. Als sie wieder einmal beisammen saßen, hielt es Eileen nicht länger. „Irgendwas liegt in der Luft“, sagte sie und Maeve nickte eifrig.
„Ich frag Papa“, schlug Tom vor. „Der kennt sich aus.“
„Ich frag meinen“, widersprach Eileen. „Der weiß immer Alles, und er plaudert gern. Ich sag euch dann Bescheid.“
Sie gingen ins Dorf zurück und setzten sich in Maeves Kräutergarten, während sich das blonde Mädchen auf die Suche nach ihrem Vater machte.
Nach