MAD-MIX2: Corona-Shorts. Mari März

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MAD-MIX2: Corona-Shorts - Mari März

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jene Substanz inhaliere, die mir all die Jahre beim Vergessen half.

      Entspannung.

      Mit jedem weiteren Zug spüre ich, wie eine Last von mir fällt. Ich schwinge, schaukle, drifte zurück durch die Zeit. Jetset, Meetings, Afterwork, Manhatten, Skyline, mein Apartment, Männer, namenlos ... Arbeit, Termine, Hektik, Yogastudio, Achtzigstundenwochen, Studium, Freiheit ... Auszug, Abschlussball, Konfirmation, Sommer, Baden im See, Hausaufgaben, Pickel, die erste Menstruation, Onkel Dieter ...

      Wie früher steht er hinter mir, gibt mir einen Schubs, noch einen, bis ich auf meiner Schaukel durch die Luft fliege.

      Mochte ich das früher, mag ich es jetzt?

      Bilder.

      Der Film, in dem ich mich mein Leben lang gefangen fühlte, wird von einer imaginären Macht abgespielt.

      Stück für Stück.

      Bild für Bild.

      Ich will ihn nicht sehen.

      »Das gefällt dir, stimmt’s?«, brummt Onkel Dieter hinter mir. Mein Körper fliegt, doch mein Blick ist starr auf ein kleines Mädchen gerichtet. Es steht direkt vor mir in einem hübschen Sommerkleid ... am Eingang zur Garage.

      Papas Domizil.

      Wo kommt es plötzlich her?

      »Halte an, Onkel Dieter!«

      Ich höre sein Lachen, rieche den Zigarettenqualm. Alles wie früher. Doch heute bin ich erwachsen, kann mich wehren. Deshalb springe ich von der Schaukel, lande hart vor den Füßen des Mädchens. Noch immer haften meine Augen an der Kleinen. Auf ihrem Kleid erkenne ich jetzt einen Namen mit rosarotem Garn gestickt.

      LISSI.

      Wer ist Lissi, zu wem gehört sie?

      Ich drehe mich zu Onkel Dieter, will ihn fragen. Er zündet sich die nächste Zigarette an und grinst. Dann zeigt er auf den halbgerauchten Joint, der unter der Schaukel im Gras liegt. »Das mit den Drogen haste immer noch nich im Griff, wa?«

      »Das ist Medizin. Was geht es dich an?!«, erwidere ich trotzig wie ein Teenager, klaube den Joint vom Boden und stecke ihn zurück in meine Jackentasche. Dann stehe ich auf, klopfe mir Grashalme von der Jeans, und während ich mich zurück zu dem Mädchen drehe, sage ich: »Willst du jetzt schaukeln?«

      Meine Frage erreicht den Empfänger nicht. Lissi ist verschwunden. Verwirrt schaue ich mich um, kein Mädchen, kein Kleid mit rosarot gestickten Buchstaben.

      »Wer, ich?« Onkel Dieter feixt vor sich hin, hustet, zieht an seiner Zigarette und brummt: »Mädel, du bist noch genauso irre wie früher.«

      Ich will das nicht hören, stürze an ihm vorbei, zurück ins Haus. Keine Sekunde länger kann ich hierbleiben. Meine Tasche, wo ist meine Tasche? Ich werde sie holen und dann von hier verschwinden.

      Für immer!

      »Mel-Schätzchen, da bist du ja! Komm, setz dich zu uns! Wir unterhalten uns gerade über Papa. Du warst doch sein Liebling, also erzähl doch bitte etwas Nettes über ihn!«

      Die Luft ist stickig hier drin. Zu viele Menschen. Warum gehen sie nicht endlich? Was haben sie hier zu suchen? Papa ist tot, da hilft es auch nicht, etwas Nettes über ihn zu sagen.

      »Mir fällt nichts ein«, will ich ihrer Bitte ausweichen, weiß aber, dass es keinen Sinn hat. Denn meine Mutter ist daran gewöhnt, dass man ihren Wünschen nachkommt. Jeder, der es bisher wagte, ihr etwas abzuschlagen, musste mit den Konsequenzen leben, die von Nervenzusammenbrüchen bis Selbstmorddrohungen reichten. In dieser Familie sind alle darauf konditioniert, Mutters Wünsche zu respektieren. Auch ich.

      Deshalb schlurfe ich widerwillig zur Couch, quetsche mich zwischen Tante Claudia und meine Mutter, hole tief Luft und ...

      Mir fällt wirklich nichts ein. Aus purer Verzweiflung schnappe ich mir den Teller vom Tisch, auf dem immer noch jenes Kuchenstück liegt, das ich vorhin nicht essen konnte. Auch jetzt habe ich keine Lust darauf, aber vielleicht lenkt es meine Mutter ab.

      »Mmh, ist der lecker! Wer hat den gebacken?«

      Tante Claudia neben mir hebt lächelnd den Zeigefinger. Ich könnte ihr eines meiner Haare darum wickeln.

      »Mama, wo hast du eigentlich meine Tasche hingestellt?«

      Mutter starrt mich an. Ich weiß, was in ihrem perfekt frisierten Kopf vorgeht. Sie will, dass ich etwas Nettes über Papa sage. Doch jetzt lamentiert Tante Claudia über ihren Kuchen, erläutert die Zutaten, erklärt bis ins Detail, wie sie ihn gebacken hat. Ein neues Rezept aus diesem Internet.

      Viele am Tisch schauen skeptisch. Sie sind zu alt, um das Internet zu kennen. Meine Schwester nutzt diesen vermaledeiten Umstand, die Unterhaltung zu unterbrechen und damit Tante Claudia die Show zu stehlen. Das macht sie immer so. Genau wie Mutter. Diese ringt um ihre Fassung. Am liebsten würde sie jetzt Migräne bekommen oder theatralisch in Ohnmacht fallen, nur um im Mittelpunkt zu sein. Stattdessen hat sie offenbar einen anderen Plan. Sie steht auf, streicht sich das Kleid glatt, prüft mit geübtem Handgriff, ob ihre Frisur noch sitzt, und verschwindet im ersten Stock, wo früher unsere Kinderzimmer waren. Das meiner Schwester dient heute als Wäscheraum, meins wurde umfunktioniert zu einem privaten Wellnesstempel. Gleich nach meinem Auszug musste Papa die Wand zum Bad herausreißen, alles frisch renovieren und eine Sauna bauen, wo einst mein Bett stand. Alles, was ich bei meinem Auszug nicht mitgenommen habe, landete in der Altkleidersammlung oder auf dem Sperrmüll.

      Nichts von mir ist übrig in diesem Haus.

      Ich bin nicht traurig darüber.

      »Schätzchen, schau mal, was ich für dich habe!«

      Mutter ist zurück. Sie hält einen Karton in der Hand, den ich erkenne. Als kleines Mädchen habe ich Schuhkartons mit buntem Papier und glitzernden Pailletten beklebt, um darin alles Mögliche aufzuheben. Einen dieser Kartons stellt Mutter nun neben den Kuchenteller auf den Couchtisch. Mit einem strahlenden Lächeln nimmt sie den Deckel ab und schiebt ihn unter den Karton. »Ich hätte dir das auch schicken können, aber irgendwie dachten wir, dass es schöner wäre, wenn du die Sachen hier an dich nimmst.«

      Welche Sachen? In dem Karton liegt nur altes Zeug. Eine Puppe, Tagebücher, mein erstes Handy. Was soll ich damit? Alles, was ich brauche, habe ich in meinem Apartment in New York City. Zum Glück geht morgen mein Flug nach Hause. Wenn ich endlich weiß, wo Mutter meine Tasche hingestellt hat, könnte ich mir ein Taxi rufen und irgendwo in Flughafennähe ein Hotelzimmer mieten. Ich muss hier weg, und zwar schleunigst!

      »Das Handy habe ich versucht aufzuladen.«

      Hat sie das gerade wirklich gesagt? Dieses blöde Handy ist fünfzehn Jahre alt! Was soll ich damit?

      Mutter stellt mir den Karton auf den Schoß. Da ist dieses Drängen in ihrer Aura, das ich früher schon hasste. Immer muss es nach ihrem verdammten Willen gehen. Alle am Tisch schauen mich an, nein, sie glotzen. Hässliche Fratzen. Penetrant.

      Was wollen sie von mir?

      Stumm starre ich auf den Karton. Er wiegt schwer auf meinem Schoß. Zu schwer!

      Der

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