Mein Orient-Tagebuch: Der Löwe von Aššur. Tomos Forrest
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Über allem stand gleißend der feurige Sonnenball und sengte mit seinen Strahlen unbarmherzig von einem hellblauen, wolkenlosen Himmel herunter. Gerüche von kleinen Garküchen, aus den Cafés am Bab el Bhar und dazu die Ausdünstungen von Menschen und Tieren lagen über der Medina, und diese seltsame, besonders dem Orient eigene Atmosphäre schlug mich sogleich wieder in ihren Bann. Doch schon nach den ersten Schritten spürte ich, wie mir der Schweiß den Nacken und die Stirn herunterlief, und ich war deshalb froh, als wir nach einem etwa zwanzig minütigen Weg endlich vor einem größeren Haus hielten.
In roten Buchstaben war auf einer weißen Tafel in arabischer und französischer Sprache vermerkt: Selim Agha Bey – Import & Export, Art & Antique. Erst jetzt fiel mir ein kleines Messingschild neben der Haustür auf, das wie ein Wappen aussah. Ein Mann stand auf einem geflügelten Löwen, und ich erinnerte mich an den Spruch dazu, den ich bereits aus Dresden vom Lagerhaus in der Hafenstraße kannte: Amat Victoria Curam. Seltsam. War das Zufall oder hatte diese Firma überall auf der Welt ihre Zweigstellen? Ich nahm mir vor, mich so unauffällig wie möglich nach den Zusammenhängen zu erkundigen, als die Haustür geöffnet wurde und mich ein Diener in einem einfachen, schlichten Kaftan in das Empfangszimmer führte, wo sich gleich darauf eine Tür zu einem anderen Zimmer öffnete und ein europäisch gekleideter Herr eintrat, der allerdings zu seinem dunklen Anzug einen dunkelroten Fez trug.
„As-salāmu ʿalaikum“, begrüßte er mich, „der Frieden auf Euch!“
Ich verneigte mich leicht und antwortete:
„Wa-ʿalaikumu s-salām – Und auf Euch der Frieden!“
Damit war ein hohes Maß der Höflichkeit zwischen einem Muslim und einem Christen gewahrt, denn es wurde allgemein empfohlen, einen Nicht-Muslim mit der Formel „as-salāmu ʿalā man ittabaʿa l-hudā“ zu begrüßen, was übersetzt bedeutet „Friede sei mit dem, der der wahren Religion folgt.“
„Sie müssen Kara Ben Nemsi Effendi sein, ganz so, wie man Sie mir beschrieben hat. Ich bin Selim Agha Bey und habe die Ehre, für Sir David Lindsay alles für die bevorstehende Weiterreise zu veranlassen.“
„Wunderbar, aber zunächst gilt meine Sorge unserem gemeinsamen Bekannten, und ich muss Ihnen erklären, dass Sir David den Dampfer verpasst hat …“
Selim Agha Bey lächelte verbindlich, und als uns der Diener jetzt Kaffee und Tabak auf einem kleinen Tischchen servierte, erklärte er dazu:
„Sir David wurde mit einer vollkommen unsinnigen und ärgerlichen Geschichte aufgehalten. Er hat uns telegrafiert und wird in zwei Tagen in Tunis mit einem englischen Dampfer eintreffen.“
„Ah, das höre ich natürlich gern. Was ist denn in Marseille geschehen?“
Während wir den heißen Kaffee genossen, berichtete der Kaufmann.
„Jemand machte ein großes Geschrei, als Sir David aus dem Hotel ging und zum Hafen gehen wollte. Er wurde des Diebstahls beschuldigt, und da er kein Wort von den vorgebrachten Vorwürfen verstand, der laut um Hilfe schreiende Mann ihn zudem versuchte, am Rock festzuhalten und dafür einen Boxhieb erhielt, sperrte man ihn kurzerhand ein, bis sich ein Dolmetscher für ihn fand.“
Ich konnte mir ein Lächeln nicht verkneifen, denn diese Geschichte konnte ich mir lebhaft gut vorstellen. Lindsay, der sich nie in seinem Leben auch nur bemüht hatte, eine andere Sprache zu erlernen, war da in eine unangenehme Situation geraten, in der ein klärendes Wort alles rasch geändert hätte – nicht aber ein wütender, um sich schlagender Englishman. Es war ärgerlich, aber nicht mehr zu ändern, und ich hatte so eine Zeitspanne, die leicht zu überbrücken war.
„Wenn es Ihnen recht ist, Effendi, so lasse ich Sie durch meinen Diener in das Hotel geleiten, das ich auf Wunsch Sir Davids ausgesucht habe. Die großen Teile seines Reisegepäcks verbleiben in meinem Lagerhaus, und nach seiner Ankunft regeln wir alles Weitere für Ihre Reise.“
„Das soll mir sehr recht sein!“, erwiderte ich und erhob mich. „Sie haben ja ein sehr schönes Haus und handeln, wie ich gesehen habe, mit Antiquitäten und Kunst.“
„Sehr richtig!“, antwortete der Kaufmann und verbeugte sich leicht. „Die Spezialität meines Hauses sind babylonische Gegenstände, die von den Ausgrabungen im Zweistromland stammen. Ich darf sie mit der Genehmigung unserer Regierung an Museen in der ganzen Welt verkaufen, natürlich erhält der Staat dafür hohe Summen.“
Er lächelte verbindlich und geleitete mich zur Tür, wo mich schon der Diener erwartete.
„Sagen Sie“, bemerkte ich etwas zögerlich, „handeln Sie auch mit diesen Dingen in Deutschland?“
Der Kaufmann riss die Augen erstaunt auf und schüttelte dann seinen Kopf.
„Nein, bedauerlicherweise noch nicht – warum fragen Sie, Effendi? Haben Sie Interesse?“
„Ich glaube nicht, dass ich mir so alte Stücke erlauben könnte. Nein, aber ich sah an Ihrer Eingangstür ein interessantes Messingschild und glaubte, so etwas einmal in meiner Heimat gesehen zu haben.“
Ein blitzschnelles Zusammenziehen seiner Stirnfalten, dann lächelte mein Gegenüber erneut verbindlich.
„Das ist nicht ein Emblem meines Geschäftes, sondern einer privaten Vereinigung von Anhängern einer uralten Kultur. Wenn es sich ergibt, erzähle ich Ihnen gern mehr davon, jetzt aber bitte ich, mich zu entschuldigen!“
Damit verbeugte er sich, und der Diener ging mir voraus. Er trug meine Reisetasche, während ich das Paket mit den Waffen geschultert hatte.
Das Verhalten und die Erklärung Selim Agha Beys kamen mir merkwürdig vor. Der Mann schien aalglatt zu sein, ein echter Kaufmann, der bereit wäre, für ein gutes Geschäft auch seine eigene Großmutter zu verkaufen. Nachdenklich folgte ich dem Diener durch die engen Gassen und Straßen der Medina, bis wir vor dem Hotel standen, das von den meisten Europäern in Tunis bevorzugt wurde. Hier entlohnte ich den Mann mit einem ordentlichen Bakschisch, das ihn in höchste Verzückung versetzte und mir seine ewige Freundschaft sicherte.
5. Kapitel
Ich suchte das Café Merhaba an einer der belebten, schmalen Straßen der Altstadt und genoss dort mein Getränk, das im Orient auf so unvergleichlich geschmackvolle Art zubereitet wird. Dazu rauchte ich eine Wasserpfeife und unterschied mich auch in meiner angelegten Bekleidung nicht mehr von den Einheimischen. Die vorbeiziehenden Menschen waren für mich die richtige Einstimmung auf die kommenden Wochen. Alle Hautschattierungen waren hier vertreten, vom tiefsten Dunkel aus Zentralafrika über die hellbraunen Töne der Gegend von Marokko oder aus dem gesamten Osmanischen Reich. Entsprechend vielseitig war auch das Stimmengewirr, das an mein Ohr drang, und dann kamen die vielen Gerüche dazu. Neben dem Geruch von Kaffee und Tabak wehten die Düfte eines nahen Gewürzverkäufers zu mir herüber, und von etwas weiter her erklang die Musik eines arabischen Lautenspielers herüber, gegen die ein osmanischer Saz-Spieler und ein weiterer Mann mit seiner Darbuka, der einfelligen Bechertrommel, anzukämpfen schienen.
Das war die Stimmung, die ich für mich oft in Gedanken heraufbeschwor, wenn ich über meinen Aufzeichnungen am heimischen Schreibtisch saß