Mein Orient-Tagebuch: Der Löwe von Aššur. Tomos Forrest
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Читать онлайн книгу Mein Orient-Tagebuch: Der Löwe von Aššur - Tomos Forrest страница 8
„Sir David Lindsay hat wirklich bereits das Hotel verlassen? Und keine Nachricht für mich hinterlegt?“
„Nein, Monsieur, aber ich bin sicher, Sie werden Ihren Freund an Bord des Dampfers treffen. Er erzählte, dass er und Sie gemeinsam eine Expedition unternehmen wollen, um archäologische Gegenstände von höchster Bedeutung für das Britische Museum auszugraben und nach England zu bringen.“
Der junge Mann am Empfang war sehr freundlich und schien davon überzeugt zu sein, dass alles seine Richtigkeit hatte. Also dankte ich ihm, holte mein Gepäck aus meinem Zimmer und verabschiedete mich an der Rezeption und erhielt die Bestätigung, dass alles beglichen worden sei. Gut, dann handelte es sich wahrscheinlich um eine weitere Schrulligkeit Lindsays, und ich schulterte meine verpackten Waffen, griff die Reisetasche und ging langsam hinunter zum Hafen, wo der Eastern Star tatsächlich bereits unter Dampf stand.
Ich begab mich an Bord, erhielt vom Steward meine Kabine – natürlich in der Ersten Klasse – angewiesen, brachte mein Gepäck und die Waffen unter und – wartete auf Sir David Lindsay.
Stunde um Stunde verrann, ohne dass er zu sehen war. Ich stand auf dem Deck, als man bereits Vorbereitungen für die Abreise traf. Als die Mannschaft schließlich begann, die Taue zu lösen und die Gangway einzuholen, wurde ich nervös und ging zum Kapitän, der mich mit großen Augen und hochgezogenen Brauen musterte, als ich ihm vom Fehlen meines Reisegefährten berichtete und um einen Aufschub bat.
„Wie stellen Sie sich das vor, Monsieur? Die Abfahrt muss ich schon wegen der Gezeiten einhalten, Ihr Freund hat nur noch eine knappe Frist, und ich will gern bis zum letzten Augenblick warten, aber dann müssen wir pünktlich ablegen!“
„Aber Sir Lindsay würde Sie dafür bezahlen, wenn es zu einer Verzögerung durch ihn kommt!“, antwortete ich verzweifelt.
Der Kapitän zuckte die Schultern.
„Mag sein, dass er zahlungskräftig genug ist, aber ich habe auch Verpflichtungen gegenüber der Reederei. Es tut mir leid, aber ich kann die Abfahrtszeit nicht für einen einzelnen Passagier überschreiten. Wollen Sie wieder ausschiffen, dann lasse ich Ihr Gepäck sofort an Land bringen?“
Ich zögerte noch einen Moment, dann sagte ich mir, dass Lindsay vielleicht über Gebühr bei seinem Landsmann aufgehalten wurde und er möglicherweise auch noch ein Boot chartern würde, um den Dampfer einzuholen.
„Nein, besten Dank, ich bleibe an Bord und rechne fest damit, dass er noch rechtzeitig vor dem Ablegen eintrifft!“, antwortete ich und stellte mich wieder an die Reling, um den Kai im Auge zu behalten.
Aber alles Hoffen war vergeblich, die Abfahrtzeit war schließlich erreicht, die Eastern Star ließ noch einmal die Dampfpfeife ertönten, dann hieß es endgültig Leinen los! Die Maschinen begannen zu stampfen, der Dampfer legte ab, und rasch vergrößerte sich der Abstand zum Land. Noch immer stand ich auf meinem Fleck und hielt Ausschau, dann musste ich schließlich aufgeben.
Was auch immer geschehen war, Sir David Lindsay hatte die Abreise verpasst. Das war fatal, aber ich gab die Hoffnung nicht auf, dass er noch einen Weg finden würde, um unterwegs an Bord zu kommen.
Natürlich machte ich mir Vorwürfe, nicht zurück an Land gegangen zu sein – aber es war zu spät, wir waren unterwegs. Jetzt blieb mir nur noch die Hoffnung, dass Lindsay den nächsten Dampfer erwischte und wir uns bei seinem Geschäftspartner in Tunis treffen würden. Dessen Adresse hatte ich zum Glück, denn von dort aus sollte unsere Weiterreise organisiert werden.
Am zweiten Tag hatte ich das wundervolle Wetter und die glatte See genossen, war eine Weile auf dem Sonnendeck und unterhielt mich sehr angelegentlich mit einem deutschen Ehepaar, das ebenfalls den Orient aufsuchen wollten und von Tunis ihre Weiterreise nach Bagdad plante. Er war als Ingenieur bei der Bagdad-Bahn angestellt und kehrte nach einem mehrwöchigen Erholungsurlaub zusammen mit seiner Frau wieder zurück.
Dann ging ich zurück zu meiner Kabine und entdeckte dabei jemand, der sich an meiner Tür zu schaffen machte. Rasch eilte ich hinter den Mann, der sich über das Türschloss gebeugt hatte und räusperte mich kräftig. Wie vom Blitz getroffen fuhr der Mann herum und starrte mich mit weit aufgerissenen Augen an.
Seiner Erscheinung nach mochte er persischer Herkunft sein, und als er mich jetzt in französischer Sprache anredete, bestätigte das sein Dialekt.
„Oh, Effendi, Sie haben mich aber sehr erschreckt! Ich bin der Hilfssteward und bringe Ihnen eben eine Flasche Selters!“
Dabei deutete er auf die noch verschlossene Flasche, die er vor sich auf dem Boden abgestellt hatte. Sein Gesichtsausdruck schien mir jedoch das personifizierte schlechte Gewissen zu sein.
„Aha, und ich hatte schon Sorge, dass jemand bei mir einbrechen wollte!“, antwortete ich, und das nur leicht dunkle Gesicht des Mannes wurde eine Spur dunkler vom Blut, das ihm in die Wangen schoss.
„Aber nein, Effendi, für alle Passagiere der Ersten Klasse gibt es an Bord der Eastern Star täglich eine Flasche vom guten Selterswasser! Wussten Sie das nicht?“
„Nein, das war mir nicht klar, aber warten Sie, ich helfe Ihnen!“
Damit fasste ich an den Schlüssel und drehte ihn leicht, meine Kabinentür schwang auf, der Perser bückte sich nach der Flasche und überreichte sie mir.
„Bitte um Entschuldigung, Effendi, wenn ich Sie gestört habe. Die Kabinentüren klemmen manchmal, deshalb konnte ich nicht sofort aufschließen.“
Ich musterte den Mann noch einmal kritisch, zumal er zwar sehr saubere Kleidung trug, nicht aber eine der an Bord üblichen Uniformen.
Nun, wahrscheinlich waren meine Nerven durch die Ereignisse der letzten Tage ein wenig strapaziert, und ich sah Gefahren, wo es doch um Harmloses ging. Der Perser verbeugte sich noch einmal und verschwand, während ich ihm nachschaute.
Ich maß diesem Vorfall allerdings keine große Bedeutung zu, und als ich den Hilfssteward später erneut auf den Gängen mit den Flaschen hantieren sah, nickte ich ihm immer freundlich zu.
Die Überfahrt verlief ansonsten ruhig und ohne weitere Vorfälle. Mit dem deutschen Ehepaar nahm ich die Mahlzeiten ein und tauschte mich mit ihnen über Land und Leute aus. Moritz Schweidner war Ingenieur aus Hamburg und hatte schon viel von der Welt gesehen. Da die nächsten Monate ihm keine Möglichkeit geben würden, für kurze Zeit in die Heimat zu reisen, hatte sich seine Frau entschlossen, mitzukommen und in der kleinen Wohnung im europäischen Viertel von Bagdad zu wohnen, wo auch einige andere deutsche Frauen ihr Quartier bezogen hatten.
Wir verabschiedeten uns herzlich und versprachen uns, nach Möglichkeit einmal in Bagdad zu treffen. Schweidner übergab mir einen Zettel, auf dem er seine Adresse notierte.
In Tunis angekommen, war meine erste Sorge, Lastenträger für unser umfangreiches Gepäck anzufordern, denn die Ausrüstung des Engländers war ja bereits an Bord geschafft worden. Wer das wuselige Treiben in der Altstadt von Tunis, der Medina, kennt, wird sich nicht wundern, dass ich Mühe hatte, den beiden Karren zu folgen, die sich rücksichtslos einen Weg durch die Menge bahnten.