Kleine Erzählungen und Nachgelassene Schriften 1. Gerstäcker Friedrich

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Kleine Erzählungen und Nachgelassene Schriften 1 - Gerstäcker Friedrich

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einer Viertelstunde hat er mir sagen lassen, er habe eben wieder frische Lymphe bekommen, wenn wir aber geimpft sein wollten, müßten wir zu ihm kommen, denn er hätte schon so Vielen abgeschlagen, in das Haus zu gehen, und auch wirklich keine Zeit, eine Ausnahme zu machen.“

      /53/ „Das ist freilich unangenehm,“ sagte Forbach, „hat aber auch bei dem herrlichen Wetter nicht so viel zu sagen. Außerdem wohnt Stadtphysikus Baumann gar nicht so weit von hier entfernt, und Du kannst das rasch genug abmachen.“

      „Ja, das wollte ich ja auch, bester Doctor,“ klagte Elise, „und mein Mann war eben im Begriff mit mir zu gehen, als er zu einem Sterbenden gerufen wurde, um dessen Testament aufzusetzen.“

      „Das konnte er nicht verweigern,“ sagte Forbach, „denn da that Eile noth.“

      „Nein, das weiß ich ja auch,“ rief Elise; „aber nun kommt auch noch die Angst dazu, daß der Sterbende die Blattern hat und mein unglücklicher Mann von ihm angesteckt wird.“

      „Aber, bestes Kind,“ beruhigte sie der Doctor, „was machst Du Dir jetzt für ganz unnöthige Sorgen – wer war es denn?“

      „Ja, das weiß ich nicht, in der Angst habe ich den Namen nicht gehört und Karl, als er eilig seinen Hut nahm und fortlief, auch nicht einmal danach gefragt.“

      „Aber, Schatz, kann der Mann nicht eben so gut eine ganz unschuldige Lungenentzündung, oder die Schwindsucht, oder irgend eine andere Krankheit haben? Wer denkt denn nur gleich an das Schlimmste, und Du quälst Dich nur ganz unnützer Weise selber damit. Doch welchen Gefallen sollte ich Dir thun? Du sprachst vorhin davon.“

      „Ach ja, lieber Doctor,“ sagte die junge Frau bittend; „ich erwähnte schon vorher, daß mich Karl eben begleiten wollte, als er abgerufen wurde, und ich fürchte mich jetzt, so allein zu dem Stadtphysikus zu gehen. Da sind gewiß recht viele Leute, und wenn ich dort mit dem Mädchen so lange zwischen so vielen fremden Menschen sitzen muß – ich sage Ihnen, ich habe eine schreckliche Scheu davor!“

      „Und ich soll mitgehen?“ frug Forbach gutmüthig.

      „Ach, wenn Sie so freundlich sein wollten, Sie thäten mir einen großen Gefallen!“

      „Von Herzen gern,“ sagte Forbach lachend, „ich habe doch gerade nichts Besonderes vor und sehe mir dort dann gleich /54/ die Geschichte einmal mit an. Aber Du willst Dich doch auch impfen lassen?“

      „Gewiß, gewiß!“ rief Elise, „und das Kindermädchen ebenfalls, und die Köchin soll heute Nachmittag hingehen und mein Mann, sobald er nur zurückkehrt. Die Angst ließe mich ja sonst keinen Augenblick ruhen – also Sie begleiten mich?“

      „Versteht sich Kind, versteht sich,“ nickte ihr Forbach gutmüthig zu. „Macht Euch dann nur zurecht, denn sonst wird es am Ende heute Morgen zu spät, und um zwölf Uhr – muß ich einen Herrn an einem bestimmten Platz treffen, mit dem ich etwas Wichtiges zu besprechen habe.“ – Der bestimmte Platz war nämlich Röhrich’s Restauration am Markt, wo er, pünktlich, wie er in Allem war, sich jeden Mittag um zwölf Uhr einfand.

      „Oh!“ rief die junge Frau erfreut, „wir können gleich gehen, denn ich bin schon fertig angezogen und die Rieke sitzt drüben und wartet auf uns. Nur meine Handschuhe muß ich mir noch holen, ich bin aber gleich wieder da –“ und hinaus huschte sie, um, wie sie versprochen hatte, gleich wieder zu erscheinen.

      Es ist das aber ein eigenthümliches Ding mit Damen, die, wenn sie ausgehen wollen, sonderbarer Weise noch außerordentlich viel zu thun haben und grundsätzlich nie fertig werden. In der Schlafstube lagen noch einige Sachen auf dem Stuhl, die sie natürlich erst wegräumen mußte, dann hatte Elise vorher den Sonnenschirm, wie sie bestimmt wußte, auf das Bett gelegt, jetzt war er nicht da und fand sich erst nach längerem Suchen draußen neben dem einen Schrank, wo sie ihn hingestellt, als sie den Hut herausnahm. An dem Hut hingen aber, wie sie jetzt bemerkte, noch einige Fasern, mit denen sie doch nicht auf die Straße gehen konnte; die mußte sie also vorher noch abbürsten. Die Köchin äußerte ebenfalls noch einige Wünsche – eine Hausfrau wird ja so sehr in Anspruch genommen. Dann konnte sie den Schlüssel zu ihrem Schreibtisch nicht gleich finden, aus dem sie Geld nehmen mußte, denn daran hatte sie vorher doch nicht gedacht. – Und nun die Handschuhe – aus Versehen bekam sie, als sie dieselben aus dem Kasten nahm, zwei rechte und /55/ mußte dann wieder zurück, Alles noch einmal aufschließen und den passenden linken erst heraussuchen und an dem fehlte nachher ein Knopf.

      Doctor Forbach wartete indessen mit einer wahrhaft rührenden Geduld eine viertel, eine halbe Stunde lang; endlich waren alle Schwierigkeiten besiegt; Elise mußte sich nur noch erst die etwas sehr engen Handschuhe anziehen. Das Mädchen trug indessen das Kind auf dem Arm herum, das den Vorbereitungen nicht so geduldig zusah und zu schreien anfing.

      „Bisch, bisch, bisch, bisch, bisch,“ suchte das Mädchen das Kind zu beruhigen – „bisch, bisch, bisch, bisch“ – das kleine Ding begann Zeter zu kreischen und Forbach etwas nervös zu werden.

      Endlich setzte sich der Zug in Bewegung. Elise bemerkte allerdings noch zur rechten Zeit, und wie sie schon unten an der Treppe war, daß sie ihr Portemonnaie oben auf dem Tisch hatte liegen lassen, aber sie war schnellfüßig, eilte rasch zurück, holte es, und nun stand ihrem Gange nichts weiter im Wege. Forbach bot ihr unterwegs den Arm, das Kindermädchen wanderte mit der Kleinen hinterher, und so schritten sie den Weg ziemlich rasch hinab, um den Impfplatz, vor dem sich Elise aber immer noch fürchtete, aufzusuchen.

      2.

      Das Local, in dem der Stadtphysikus die ihm gebrachten Kinder in wirklich geschäftsmäßiger Weise impfte, lag allerdings nicht sehr weit von Erich’s Wohnung entfernt. Das Einzige war nur, daß die Kleine, die das Mädchen dicht hinter Forbach hertrug, unterwegs weiterschrie und Elise fortwährend stehen blieb, um es mit – „ja, mein Herzchen, wir sind jetzt gleich da, mein süßes Leben – mein Wonnekindchen“ und /56/ andere Schmeichelnamen zu beruhigen. Das verzögerte den Gang allerdings etwas, und Forbach sah dabei vergebens wieder und wieder nach seiner Uhr. Zu ändern war aber an der Sache nichts, es mußte eben geduldig ertragen werden, und endlich traten sie in das Haus selber ein, wo er ja nicht mehr der Gefahr ausgesetzt war, daß ihm seine zahlreichen Freunde und Bekannten unterwegs begegneten und sich über sein „Familienleben“ lustig machten.

      Das Haus, in welchem Stadtphysikus Baumann seine jetzige Impfstube eingerichtet, war ein altes städtisches Gebäude, die sogenannte „alte Waage“, in deren erste Etage eine ziemlich enge steinerne Wendeltreppe hinaufführte; dort trat man dann in einen geräumigen luftigen Saal, und Forbach bemerkte zu seinem Schrecken, daß eine ziemliche Anzahl von jungen und älteren Damen, wie Dienstmädchen, zwei Drittel von ihnen ein kleines Kind auf den Armen tragend, schon warteten und die Sitzung also eine sehr ausgedehnte zu werden versprach. Er sah auch verstohlen nach seiner Uhr, deren Zeiger schon auf elf Uhr zeigte. Noch war Hoffnung, daß er hier zur rechten Zeit abkam, um punkt zwölf zu Röhrichs zu gelangen; aber die schon vor ihnen Eingetroffenen mußten dann sehr rasch erledigt werden, und hielt er dort nicht seine bestimmte Zeit ein, so fühlte er sich nachher den ganzen Tag unbehaglich.

      Seine angeborene Gutmüthigkeit verhindert ihn aber auch, sich der übernommenen Verpflichtung zu entziehen; er durfte seine kleine Frau Erich nicht wie ein ungetreuer Kavalier im Stiche lassen, und es hieß aushalten. Eins auch beruhigte ihn dabei: das Mädchen mit dem Kinde bekam, als sie eintraten, eine Marke, um die Reihenfolge zu sichern, übergangen konnten sie also nicht werden, und Alles nimmt ja auf der Welt einmal ein Ende, warum auch nicht eine Impfung.

      Da Frau Erich übrigens, sowie sie in den Saal trat (die Impfung selber fand in einem Nebenzimmer statt), eine Bekannte traf, so knüpfte sie mit dieser augenblicklich ein Gespräch

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