DEBORA. T.D. Amrein

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DEBORA - T.D. Amrein Krügers Fälle

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nicht alle an der Front?“, fragte sie nach.

      Hans lächelte. „Natürlich waren nie alle an der Front, jemand musste doch die Industrie am Laufen halten. Als Facharbeiter oder Eisenbahner bekam man schnell den UK-Stempel. Mit guten Beziehungen manchmal auch einfach so.“

      Auf ihren fragenden Blick ergänzte er: „UK bedeutete unabkömmlich“.

      „Ich habe in der Schule gelernt, dass die Frauen in den Fabriken, die Männer ersetzt haben“, warf Michélle ein.

      Hans lächelte erneut. „Ja natürlich haben viele Frauen in den Fabriken gearbeitet. Aber nicht nur sie allein, das ist ein Mythos. Ohne Facharbeiter kann man keine komplizierte Produktion aufrechterhalten. Außerdem konnte man die Frauen doch nicht mit Hunderten von Zwangsarbeitern alleinlassen. Stellen Sie sich das doch einmal einfach vor.“

      Michélle nickte. „Das leuchtet mir ein.“

      Hans leerte sein Glas. „Sie trinken ja gar nicht, Frau Steinmann. Schmeckt es Ihnen nicht?“

      „Doch doch“, wehrte sie ab. „Aber es war so spannend, dass ich es ganz vergessen habe.“ Michélle schaltete das Band ab.

      „Ich glaube, das reicht für den Moment, vielen Dank“, sagte sie. „Darf ich wiederkommen, wenn ich neue Fragen habe?“

      „Wäre mir ein großes Vergnügen“, antwortete er. „Sie sind jederzeit willkommen, Frau Steinmann.“

      Michélle beschloss, mit weiteren Befragungen zu warten, bis die Ergebnisse aller Laboranalysen vorlagen. Nach Verwandten zu suchen, solange nicht klar war, ob es sich überhaupt um die Wallners handeln konnte, ließ sich kaum rechtfertigen. Natürlich musste sie das noch mit Krüger absprechen. Einige Tage würde sie benötigen, um das Gehörte genauer einzuordnen und um einige Details zu verifizieren. Dazu würde sich die Aufnahme vom Gespräch mit Hans als unverzichtbare Grundlage erweisen.

      ***

      Carmela hatte lange nachgedacht. Sie wollte weg. Weg von Debora. Weg bedeutete, ganz zu verschwinden. Viele kleine Zeichen, die an sich belanglos schienen, hatten sich zu einer Gewissheit verdichtet. Debora würde sie umbringen, wenn sie sich von ihr trennen wollte. Als Medizinerin kannte sie bestimmt eine Methode, die nicht nachzuweisen war.

      Carmela hatte eigentlich nicht nur ein Problem, wie ihr mittlerweile schmerzlich bewusst geworden war, sondern mindestens zwei. Seit sie mit Debora zusammen lebte, hatte sie auch keine eigene Wohnung mehr. Also wo sollte sie hin?

      Irgendwohin, wo sie niemand kannte und wo sie auch Debora nicht wiederfinden konnte. Dazu brauchte sie auch noch etwas Geld, das ihr genauso fehlte.

      Inzwischen war ihr jedoch eine Lösung eingefallen. Sich für den Rest des Lebens zu verstecken, kam nicht in Frage. Debora würde sie vermutlich auf der Nordhalbkugel des Globus überall finden können. Im tiefen Süden hätte sie vielleicht eine Chance. Aber so weit weg wollte Carmela dann doch nicht. Außerdem sprach sie außer Deutsch nur ein paar Worte Französisch, das war’s schon.

      Wie sollte sie damit in Australien oder Südamerika Fuß fassen?

      Debora würde nur in einem Fall nicht nach ihr suchen: wenn sie davon überzeugt war, dass ihre Freundin nicht mehr lebte.

      Carmelas Plan schien von Anfang an perfekt. Sie würde eine Entführung vortäuschen. Sie kannte in etwa die Verhältnisse von Debora, die nicht allzu viel Bargeld, aber einige Immobilien geerbt hatte. Innerhalb einer Woche sollte die Frau Doktor eine halbe Million lockermachen können, wenn ihre Liebe so weit reichte, dass sie ihr das wert war.

      Außerdem war sie sich ziemlich sicher, dass Debora die Polizei nicht einschalten würde. Die war es gewohnt, ihre Probleme selbst zu lösen. Es würde jedenfalls lange dauern, bevor sie jemanden bitten würde, ihr zu helfen.

      Zwei, drei Tage konnte sie sich noch Zeit lassen und die Kranke spielen. Bis dahin mussten einige Kleinigkeiten geregelt sein. Dann würde sie einfach verschwinden. Nur damit, was sie am Leib trug und was dazu noch in ihre Handtasche passte.

      Sie begann gleich damit, in einer der Fachzeitschriften, die massenhaft vorhanden waren, nach Textstellen zu suchen, die sich für eine zweckmäßige Botschaft ausschneiden ließen. Es war viel einfacher als gedacht. Schnell hatte sie einige Worte gefunden, die sie sogar als Ganzes verwenden konnte.

      So praktisch wie hier in der gemeinsamen Wohnung, würde sie es sonst nirgends haben, um ein Erpressungsschreiben anzufertigen. Hier war alles Nötige vorhanden. Texte, Schere, Kleber und auch Latexhandschuhe. Debora führte schließlich einen vorbildlichen Haushalt.

      Den ersten Satz, „wir haben die Lösung für ihre Hautprobleme“, machte den Anfang. „Wir haben“, schnitt sie aus. Carmela musste sie dann doch aus Einzelbuchstaben zusammenschnippeln. „Lösung“, ergab immerhin den ersten Teil von Lösegeld. Für den Betrag verwendete sie eine Zahl aus dem Text: 500.000 Betroffene für irgendeine Allergie. Aus, gebrauchte Spritzen sicher entsorgen, entstand, gebrauchte Noten. Nach zwei Stunden war es geschafft. Als "Beilage" würde sie später noch einen ihrer Piercing-Stecker an das Blatt hängen.

      Einen, der Debora bestimmt überzeugen würde. Hatte sie ihn ihr doch als eine besondere Art von Verlobungsring angebracht. Ein sogenanntes Isabella-Piercing mit einem Verschluss, der sich ohne ein bestimmtes Werkzeug nicht öffnen ließ.

      Obwohl Debora das Gegenstück genauso trug, war das für Carmela inzwischen zu einem weiteren Indiz geworden, dass sie eigentlich eine Gefangene war. Ein Beutestück, dass Debora nie mehr freiwillig hergeben würde.

      Zufällig hatte Carmela, als sie einmal nach einer Nachtcreme in Deboras Schminksachen suchte, dieses bestimmte Werkzeug gesehen, dass Frau Doktor vermutlich für Notfälle zu Hause aufbewahrte.

      Der Notfall war jetzt da, dachte Carmela grimmig! Mit dem Schlüssel und einem extra hochvergrößernden Schminkspiegel bewaffnet, machte sie sich ans W

      6. Kapitel

      Guerin traf sich mit seinem Kollegen aus Basel, Kommissar Kaspar Gruber, in einem Café in Colmar. Sie kannten sich schon seit vielen Jahren. Weil es jeweils Wochen dauerte, bis sich die offiziellen Stellen über eine grenzübergreifende Zusammenarbeit geeinigt hatten, kürzten sie das Verfahren im beidseitigen Interesse einfach ab. Die Berichte wurden dann zu gegebener Zeit erstellt und angepasst. Natürlich besuchte man sich meistens privat. Aber sobald sie über einen grenzüberschreitenden Fall sprachen, wurde das Treffen eigentlich illegal.

      Gruber machte sich Notizen. Mit einer französischen Polizeiakte im Gepäck über die Grenze zu fahren, war ihm dann doch zu riskant. Obwohl er selten kontrolliert wurde.

      „Stell dir vor“, berichtete Guerin, „ich habe zurzeit zwei völlig unterschiedliche Todesfälle auf dem Tisch, in denen sie eine Rolle spielt. In welcher Art weiß ich zwar noch nicht. Sie könnte eine Psychopatin sein, die manchmal auch nur zum Spaß Leute umbringt. Bei einer ausgebildeten Ärztin dürfte das kaum auffallen, wenn sie es darauf anlegt. Eiskalt genug wäre sie jedenfalls. Der traue ich wirklich vieles zu!“

      „Ist schon auffällig“, bestätigte Gruber.

      „Und das ist noch nicht alles. Ich habe im Archiv gegraben, sie war tatsächlich schon einmal in einen Fall involviert, unten an der Côte. Ein ganz seltsamer Vorgang. Sie war die einzige Überlebende, zumindest sozusagen, die anderen Personen sind bis heute verschollen.“

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