DAS BUCH ANDRAS I. Eberhard Weidner

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DAS BUCH ANDRAS I - Eberhard Weidner DAS BUCH ANDRAS

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blicken und dort erkennen, dass ich mich nicht erinnern konnte. Ohne meine Antwort abzuwarten, die mir unter Umständen ohnehin vom Gesicht abzulesen war, fuhr er fort: »Wissen Sie denn wenigstens, wie Sie heißen? Können Sie mir Ihren Namen nennen?«

      Diese Fragen erschienen mir schon wesentlich einfacher. Ich öffnete den Mund, und eigentlich hätte die Antwort darauf, nämlich die Nennung meines Namens, wie aus der Pistole geschossen kommen müssen. Doch als nichts dergleichen geschah, und ich stattdessen stumm wie ein Fisch blieb und immer angestrengter nachdenken musste, wurde mir schlagartig und mit erschreckender Gewissheit bewusst, dass es gar keine einfachen Fragen waren. Zumindest nicht für mich und nicht in diesem Augenblick. Gleichzeitig wurde für mich deutlich, dass ich wohl ein wesentlich größeres Problem hatte, als ich zunächst angenommen hatte.

      Dennoch ließ ich mich nicht so schnell entmutigen. Ich schloss die Augen, um jede Ablenkung durch die Außenwelt auf ein Minimum zu reduzieren, und forschte noch intensiver in den Tiefen meines bodenlos wirkenden Verstandes. Das gibt es doch nicht, dass ich mich nicht mehr an meinen eigenen Namen, nicht einmal mehr an mich selbst erinnern kann, dachte ich grimmig. Natürlich hatte ich von derartigen Fällen bereits gehört oder gelesen – Amnesie wurde dieser Zustand genannt –, aber das konnte doch nicht mir widerfahren sein. Mein Name ist … Ich bin … Doch an diesem Punkt kam ich einfach nicht weiter.

      Meine Gedanken stießen immer tiefer in mein Gedächtnis wie bohrende, tastende, suchende Finger und forschten dort geradezu fieberhaft – und das im wahrsten Sinne des Wortes, denn mir wurde schlagartig heiß und der Schweiß brach mir aus, obwohl ich diese körperlichen Empfindungen nur am Rande wahrnahm – nach jedem noch so winzigen Fetzen einer Information, die mir einen Anhaltspunkt für die Antworten auf Gabriels Fragen geben könnte. Plötzlich hatte ich das starke Empfinden, ganz nah dran zu sein, so als würde mir der Name gleich auf der Zunge liegen, sodass ich ihn nur noch aussprechen musste. Doch dann stießen meine Gedankenfinger unvermittelt ins Leere. Sie tasteten umher wie der Stock eines Blinden, trafen jedoch nirgends in ihrer unmittelbaren Umgebung auf den geringsten Widerstand. Ein ziemlich ausgedehnter Bereich aus absolutem Nichts schien sich an dieser Stelle meines Gedächtnisses zu befinden, an der eigentlich Tausende von Erinnerungen zu finden sein müssten. Wie eine ausgedehnte Fläche Ödland inmitten eines grünen, wuchernden Regenwaldes, auf der absolut nichts, nicht einmal ein winziger Grashalm wuchs.

      Ich glaubte, einen schwachen Sog wahrzunehmen, der von dieser unheimlichen Leere in meinem Gedächtnis ausging, nach meinem tastenden Verstand griff und ihn in das unheimliche Nichts zerren wollte wie in ein schwarzes Loch. Ich zog meine Gedankenfinger daher so schnell wie möglich wieder etwas zurück, konnte es jedoch nicht lassen, weiterhin die Ränder dieses Leerraums prüfend abzutasten, so wie man mit der Zunge immer wieder ungewollt über eine wunde Stelle im Zahnfleisch streicht, obwohl man genau weiß, dass man das besser bleiben lassen sollte. Ich stellte dabei fest, dass es im Grunde keinen gleitenden Übergang gab, sondern der Bereich mit intakten Erinnerungen – die allerdings nur allgemeine und keine persönlichen Dinge betrafen – schlagartig endete, so als wäre mit einem scharfen Skalpell ein bestimmter Bereich meines Gehirns herausgeschnitten worden. Das war natürlich absoluter Blödsinn, wie selbst mir als Laie im Bereich der Gehirnchirurgie klar war.

      Ich testete Erinnerungen und Fähigkeiten, die in den unbeschädigten Bereichen meines Verstandes gespeichert waren. Ich konnte mich an zahlreiche Personen der Zeitgeschichte, Orte, geschichtliche Ereignisse und eine Unmenge anderer Dinge erinnern. Ich war problemlos in der Lage, einfache und sogar kompliziertere Rechenaufgaben zu lösen und ganze, willkürlich gewählte Sätze ins Englische, ins Französische und teilweise sogar ins Lateinische zu übersetzen, obwohl ich bei Letzterem schon größere Schwierigkeiten hatte.

      Insgesamt betrachtet machte es mir also keine besondere Mühe, mich innerhalb kurzer Zeit an all diese eher allgemeinen Informationen zu erinnern. Doch sobald ich wieder in den Bereich vorstieß, in dem sich die persönlichen Erinnerungen, die ein Mensch im Laufe seines Lebens in seinem Gedächtnis abspeichert, hätten befinden müssen, fand ich nichts anderes als die schrecklich gähnende Leere. Alles, was mich persönlich betraf – mein Name, meine gesamte Vergangenheit, im Grunde mein komplettes bisheriges Leben –, war wie ausgelöscht. Beinahe kam es mir so vor, als hätte ich vor meinem Erwachen überhaupt nicht existiert.

      Ein furchtbarer Gedanke, der mir Angst machte.

      Kapitel 3

      Schließlich gab ich auf, zog meine gedanklichen Finger aus den Tiefen meines Verstandes und öffnete die Augen.

      Es waren scheinbar nur wenige Sekunden vergangen, obwohl es mir wie eine Ewigkeit vorgekommen war, denn Gabriels Gesichtsausdruck hatte sich nicht im Geringsten verändert. Immer noch sah er interessiert und freundlich auf mich herab und wartete auf eine Antwort, ohne zu ahnen, welches Drama sich soeben in meinem Verstand abgespielt hatte.

      Ich spürte den Schweiß, der mir unter anderem in Form unzähliger kleiner Perlen auf der Stirn stand, und hatte plötzlich Mühe, ein Schluchzen und die Tränen zurückzuhalten, die meine Augen zu überschwemmen drohten. Zu groß war in diesem Moment die Enttäuschung über die niederschmetternde Erkenntnis, dass ich eine Frau ohne Namen und Vergangenheit war.

      Da ich befürchtete, in lautes, unkontrollierbares Schluchzen auszubrechen, sollte ich versuchen, auch nur ein einziges Wort zu äußern, beschränkte ich mich darauf, den Kopf zu schütteln. Dabei lösten sich zahlreiche Schweißtropfen von meiner Stirn, liefen mir übers Gesicht und vermischten sich mit ein paar Tränen, die ich nicht zurückhalten konnte und die mir aus den Augenwinkeln rannen.

      Gabriel verstand, was ich damit ausdrücken wollte. Er nickte, während sich ein mitfühlender Ausdruck auf seinem Gesicht ausbreitete. In diesem Moment glaubte ich zu erkennen, dass in der breiten Brust dieses im wahrsten Sinne des Wortes großen Mannes auch ein mindestens ebenso großes Herz schlagen musste.

      »Das haben wir befürchtet!« Gabriel runzelte nachdenklich die Stirn, ließ aber offen, wen er mit wir meinte. »Aber wenigstens kann ich Ihnen in einer Sache weiterhelfen: Ihr Name ist Sandra Dorn.«

      Sandra Dorn – Sandra Dorn – Sandra … Dorn – Sandra … Dorn – San…dra … Dorn – Sa…n…d…ra … D…or…n …

      Der Name wirbelte durch meinen Kopf wie eine aufgeregte Fliege in einem verschlossenen Marmeladenglas, erzeugte immer wieder neue Echos, die von den Innenwänden meines Schädels abprallten wie verbale Querschläger, sich überlagerten und in ihre Einzelteile, ihre Silben, ja sogar ihre einzelnen Buchstaben zersplitterten, bis die beiden Worte jegliche Bedeutung verloren hatten, ohne während all dessen auch nur einmal ein Gefühl von Vertrautheit oder Wiedererkennen in mir auszulösen.

      Zunächst hatte ich noch gehofft, die Nennung meines Namens würde, einer Initialzündung gleich, eine Flut weiterer Erinnerungen auslösen, die aus den Tiefen meines Unterbewusstseins hervorströmten und meinen Verstand überschwemmten, doch nichts dergleichen geschah. Es schienen nur zwei einfache Worte zu sein, die Bezeichnung einer Person zwar, aber ohne eine besondere Beziehung zu mir oder eine tiefere Bedeutung für mich persönlich.

      Dennoch war dieser Name im Augenblick scheinbar alles, was mir von meinem bisherigen Leben geblieben war, sodass ich ihn trotz seiner anfänglichen Fremdheit dankbar annahm wie ein kostbares Geburtstagsgeschenk und sogleich in verschiedenen Variationen in Gedanken benutzte, um mich daran zu gewöhnen: Sandra Dorn. Mein Name ist Dorn, Sandra Dorn. Ich heiße Sandra Dorn. Hallo, ich bin Sandra. Vielleicht, so hoffte ich, würde er mir mit der Zeit und mit dem Grad seiner Anwendung vertrauter werden, so wie man neue Schuhe auch erst einlaufen muss, bevor sie hundertprozentig passen.

      »Frau Dorn?«

      Gabriel hatte mich wohl schon mehrmals mit meinem Namen angesprochen, bevor ich endlich darauf

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