DAS BUCH ANDRAS I. Eberhard Weidner

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DAS BUCH ANDRAS I - Eberhard Weidner DAS BUCH ANDRAS

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in meiner gegenwärtigen Situation noch unvertraut klingenden Namen zu gewöhnen und dementsprechend zu reagieren, wenn ich ihn hörte.

      »Hat Ihr Name weitere Erinnerungen in Ihnen ausgelöst?«, fragte Gabriel, als ich ihm wieder meine volle Aufmerksamkeit schenkte.

      »Nein!« Es gelang mir, dieses eine Wort zu sagen, ohne in Tränen auszubrechen. Die Traurigkeit darüber, all meine wertvollsten Erinnerungen an mein früheres Leben und mein Ich verloren zu haben, war noch nicht vollständig abgeklungen, sondern für den Augenblick allenfalls an den Rand meines Bewusstseins verlagert worden. Ich hegte jedoch die Befürchtung, dass sie dort geduldig darauf wartete, um zu gegebener Zeit und aus gegebenem Anlass erneut über mich herzufallen. Es sei denn, es gelang mir vorher, meine Erinnerungen auf andere Art und Weise wiederherzustellen, so wie man nach dem versehentlichen Löschen der Festplatte eines Computers auf eine zuvor erstellte Sicherheitskopie zurückgreift. Ich besaß zwar kein solches Backup meiner Erinnerungen, möglicherweise konnte ich die Lücken aber durch Informationen füllen, die ich von anderen erhielt. Schon formte sich in meinem Kopf ein wahrer Katalog weiterer Fragen, die meine Aufmerksamkeit so vollständig gefangen nahmen, dass mir schon aus diesem Grund keine Zeit blieb, weiterhin Trübsal zu blasen.

      Gabriel musste mir angesehen haben, dass ich mich wieder gefangen hatte und ihn jeden Moment mit einem weiteren Bombardement an Fragen eindecken würde. Bevor ich auch nur eine einzige davon stellen konnte, nahm er mir aber schon den Wind aus den Segeln, indem er sagte: »Ich bin im Augenblick leider nicht in der Lage, Ihnen weitere Fragen zu beantworten, Frau Dorn. Vielleicht kann Ihnen aber Dr. Jantzen dabei helfen, die eine oder andere Lücke in Ihrem Gedächtnis zu füllen. Sobald er erfahren hatte, dass Sie aufgewacht und allem Anschein nach wieder bei Sinnen sind, wies er mich an, Sie zu ihm zu bringen.«

      »Wieder bei Sinnen …?«, wiederholte ich nachdenklich. Zumindest wurde mir nun ansatzweise bewusst, warum ich mit Ledergurten ans Bett gebunden worden war. Ich war wohl nicht bei Sinnen gewesen, was immer das im konkreten Fall bedeutete.

      Erneut schien mir Gabriel anzusehen, was ich dachte. Vielleicht war ich auch nur sehr einfach zu durchschauen. Was wusste ich denn schon über mich? Gar nichts!

      »Sie haben richtiggehend getobt«, konkretisierte der Pfleger seine vorherige Aussage. »Nachdem Sie eingeliefert worden waren, haben Sie jedes Mal, sobald Sie erwacht sind, fürchterlich geschrien, um sich geschlagen, getreten und sogar gebissen. Zu Ihrer eigenen und zur Sicherheit des Personals mussten wir Sie fixieren …« Bei diesen Worten wies er mit der rechten Hand nacheinander auf die diversen Ledergurte. »… und medikamentös ruhigstellen. Der Durst und die Kopfschmerzen kommen wahrscheinlich davon.«

      Möglicherweise hatte er mir damit weitaus mehr erzählt, als er eigentlich vorgehabt hatte, und unweigerlich einen Rattenschwanz weiterer Fragen aufgeworfen. Doch bevor ich auch nur ein Wort äußern konnte, vollführte er mit der Hand wieder eine entschlossene Geste, die mir Schweigen gebot.

      »Da Sie jetzt wach und nach meinem ersten Eindruck auch wieder endgültig bei Sinnen sind, gehe ich davon aus, dass die Fixierung durch die Gurte nicht länger erforderlich ist. Wenn Sie mir versprechen, keine Schwierigkeiten zu machen, kann ich auch davon absehen, Ihnen zur Sicherheit eine Zwangsjacke anzuziehen.«

      Mir wurde bereits bei der bloßen Vorstellung ganz anders, in einer Zwangsjacke durch das Gebäude zu diesem Doktor Jantzen geführt zu werden. »Was immer vorher mit mir los war, jetzt bin ich wieder vollkommen klar im Kopf«, versicherte ich dem Pfleger daher rasch und ergänzte, wenn auch nur in Gedanken: Abgesehen von einer Gedächtnislücke so groß wie ein Fußballfeld. Laut fuhr ich fort: »Ich verspreche hoch und heilig, Ihnen keine Schwierigkeiten zu bereiten. Großes Indianerehrenwort. Ich werde ganz brav sein.« Meine Worte klangen zwar ziemlich kindisch, doch ich meinte sie ernst. Und wenn ich meine Hände hätte bewegen können, dann hätte ich meine Worte sogar durch die entsprechenden Gesten ergänzt, so eifrig war ich bemüht, Gabriel von meiner Ernsthaftigkeit zu überzeugen, denn eine Zwangsjacke war in meiner Vorstellung zu eng mit dem Begriff »Irrsinn« verknüpft. Möglicherweise befürchtete ich, neben dem offensichtlichen Problem mit meiner Erinnerung tatsächlich den Verstand zu verlieren, sobald man mich in eine Zwangsjacke stecken würde.

      Meine ernsthaften Worte und vermutlich auch mein Gesichtsausdruck mussten überzeugend genug gewesen sein, denn Gabriel nickte schließlich. »Gut, dann will ich Ihnen mal glauben. Sobald ich die Gurte entfernt habe, können Sie diese Kleidungsstücke anziehen. Ich hoffe, sie passen halbwegs. Ich werde draußen im Flur warten, bis Sie sich angezogen haben. Danach bringe ich Sie zu Dr. Jantzen. Er wartet bestimmt schon ungeduldig auf uns.« Nach diesen Worten legte er das Kleiderbündel, das er die ganze Zeit über dem linken Unterarm getragen hatte, direkt neben meinem Kopf auf dem Bett ab und begann dann, nacheinander die Gurte zu lösen.

      Kapitel 4

      Dr. Jantzen machte überhaupt nicht den Eindruck, als hätte er ungeduldig auf mein Erscheinen gewartet. Ganz im Gegenteil: Er hatte mich weder begrüßt, als Gabriel mich in den Raum geführt hatte, noch hatte er bislang in sonst einer äußerlich erkennbaren Weise meine Gegenwart zur Kenntnis genommen. Er blätterte stattdessen in einem schmalen Hefter, dessen Inhalt seine volle Aufmerksamkeit in Anspruch nahm. Man musste kein Albert Einstein sein, um zu erraten, dass es sich bei der Mappe wohl um meine Krankenakte handelte. Sie war zum Glück nicht sehr umfangreich. Dies weckte in mir die berechtigte Hoffnung, dass ich kein Dauergast in dieser oder einer ähnlichen Einrichtung war, sondern nur aufgrund eines unglücklichen Umstands, möglicherweise eines Irrtums – wogegen aber mein von Gabriel erwähntes Toben in den letzten Tagen sprach –, für kurze Zeit hier gelandet war und bald wieder in mein Leben, wie immer dieses auch aussehen mochte, zurückkehren konnte.

      Der Arzt und ich saßen uns in einer Art Besprechungszimmer gegenüber, jeder an der Schmalseite eines langen Tisches, der, wäre er auch nur um wenige Meter länger, es wohl erforderlich gemacht hätte, dass wir uns schreiend verständigen oder mit Walkie-Talkies ausgerüstet werden mussten. Allerdings war es weder von seiner noch von meiner Seite bislang zu einem Versuch der Verständigung gekommen. Vielleicht hatte der gute Doktor auch Angst, Schwachsinn könnte ansteckend sein, und versuchte daher, so viel Raum wie nur möglich zwischen sich und seine Patienten zu bringen.

      Ich trug mittlerweile nicht mehr den blauen Schlafanzug, in dem ich erwacht war, sondern schlichte weiße Baumwollunterwäsche, eine hellblaue Jeans, ein schwarzes T-Shirt ohne Aufdruck, weiße Socken und ein Paar einfacher, weißer Leinenturnschuhe. Nicht alles davon passte wirklich hundertprozentig, weswegen ich davon ausging, dass es nicht meine eigenen Sachen waren. Was mit meiner Kleidung geschehen war und warum ich fremde Sachen anziehen musste, waren zwei weitere Rätsel, die sich in die lange Liste der Fragen einreihten, auf die ich mir von Dr. Jantzen im Laufe unseres bevorstehenden Gesprächs Antworten erhoffte.

      Auch wenn mein erster Eindruck von Dr. Jantzen aufgrund seines distanzierten Verhaltens nicht der allerbeste war, war mir dennoch bewusst, dass mein weiterer Aufenthalt in dieser Einrichtung und die Umstände desselben wohl in erster Linie vom Urteil dieses Mannes abhängen würden. Ich hatte daher nicht vor, ihn schon bei unserer ersten Begegnung allein dadurch gegen mich aufzubringen, indem ich ihn beim Studium meiner Krankenakte störte. Aus diesem Grund übte ich mich vorerst in Geduld und trank gelegentlich von dem Wasser, das Gabriel mir unmittelbar nach unserer Ankunft in einem großen Glas zusammen mit einer Aspirin-Tablette gegen meine Kopfschmerzen gebracht hatte. Ich vermeinte bereits zu spüren, dass der pochende Schmerz in meinem Schädel von Minute zu Minute schwächer wurde, während Dr. Jantzen sich Seite um Seite durch die zum Glück nicht sehr umfangreiche Akte arbeitete und scheinbar jeden einzelnen Abschnitt sehr aufmerksam und teilweise sogar mit gerunzelter Stirn studierte. Immerhin verhalf mir diese Geduldsprobe zu einem weiteren kleinen Mosaiksteinchen in meinem verlorenen Selbstbildnis, indem sie mir zeigte, dass ich, wenn es darauf ankam, geduldig sein konnte.

      Anfangs verkürzte ich mir die Wartezeit dadurch,

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