DAS BUCH ANDRAS I. Eberhard Weidner

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DAS BUCH ANDRAS I - Eberhard Weidner DAS BUCH ANDRAS

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ein kaum hörbares, schabendes Geräusch, als sie rasch über die Oberfläche des Papiers huschte und ihre wohl nur für Dr. Jantzen lesbaren Schriftzeichen hinterließ.

      »Umfasst die Lücke in Ihren Erinnerungen, soweit Sie das zu diesem Zeitpunkt überhaupt beurteilen können, sämtliche autobiografischen Informationen Ihres ganzen bisherigen Lebens, oder beschränkt sie sich nur auf einen bestimmten, eingrenzbaren Zeitraum?«

      »Ich denke, dass …« Ich stockte, überlegte kurz, wie ich es formulieren sollte, und setzte dann noch einmal neu an. »Nach meinem Gefühl ist … alles weg.«

      »Wie steht es mit Ihrem Kurzzeitgedächtnis? Können Sie sich zum Beispiel lückenlos an alle Ereignisse seit Ihrem Erwachen erinnern?«

      »Ja, sicher«, bestätigte ich, insgeheim froh, dass wir uns wieder auf vertrauterem und ungefährlicherem Terrain bewegten. »Damit habe ich überhaupt keine Probleme.«

      »Können Sie mir dann sagen, wie ich heiße?«

      Ich antwortete wie aus der Pistole geschossen: »Sie sind Dr. Stefan Jantzen, Facharzt sowohl für Neurologie und Psychiatrie als auch für psychosomatische Medizin und Psychotherapie. Außerdem sind Sie der Leiter dieser Abteilung des psychiatrischen Privatsanatoriums Dr. Straub«, wiederholte ich nahezu wortwörtlich seine eigenen einleitenden Sätze, mit denen er sich vorgestellt hatte. Es handelte sich zwar nur um einen kleinen Test, mit dem der Arzt mein Kurzzeitgedächtnis prüfen wollte, doch ich fühlte mich, als hätte ich soeben eine wichtige Prüfung erfolgreich gemeistert und konnte mir daher auch ein triumphierendes Grinsen nicht verkneifen.

      Dr. Jantzen erwiderte mein Lächeln sogar für einen kurzen Moment und nickte anerkennend. »Ausgezeichnet, Frau Dorn. Ihr Kurzzeitgedächtnis funktioniert nicht nur tadellos, Sie haben außerdem auch ein ausgezeichnetes Erinnerungsvermögen.« Erneut huschte der Kugelschreiber in seiner Hand über das Papier und fügte dem bisher Niedergeschriebenen weitere Einzelheiten hinzu, die am Ende, wenn unterm Strich alles zusammengezählt wurde, zu einer hoffentlich nicht zu niederschmetternden Diagnose über meinen Zustand führen würden.

      »Aber an die Zeit vor Ihrem heutigen Erwachen können Sie sich im Grunde überhaupt nicht erinnern?«

      Ich dachte diesmal etwas länger nach, bevor ich antwortete. Noch einmal näherte ich mich mit meinen gedanklichen Fühlern dem Flecken umfassender Leere in meinem Verstand, fand dort jedoch weder einen Widerhall auf die Frage des Arztes noch sonst einen Erinnerungsfetzen. Wenn ich bewusst an mein Leben vor dem heutigen Tag dachte und versuchte, mir Bilder oder Ereignisse davon ins Gedächtnis zu rufen, erntete ich lediglich anhaltendes Schweigen und undurchdringliche Finsternis. Also zog ich meine blind umhertastenden Gedankenfühler rasch wieder zurück, als ich erneut den leichten Sog zu spüren glaubte, der mein Bewusstsein mit sich reißen wollte, und schüttelte den Kopf, einerseits aus Resignation, andererseits als Antwort auf die Frage des Doktors. »Ich kann nichts finden! Absolut gar nichts. Es ist fast so, als … als wäre ein bestimmter, abgegrenzter Bereich einer Festplatte gelöscht und neu formatiert worden.«

      »Also fehlen auch sämtliche Erinnerungen an die Nacht, in der Sie bei uns eingeliefert wurden?«

      Der Tonfall des Arztes hatte sich bei dieser Frage zwar nur unmerklich verändert, doch ich registrierte es wie ein hochempfindliches Thermometer, das sogar die kleinste Temperaturschwankung wahrnehmen kann. Diese Veränderung in der Tonlage teilte mir unterschwellig mit, dass Dr. Jantzen die Antwort auf diese Frage besonders wichtig zu sein schien, und zwar, wie ich meinte, nicht allein unter therapeutischen Gesichtspunkten, sondern auch aus einem anderen, mir im Augenblick allerdings noch unbekannten Grund. Dieses Mal musste ich nicht erst nachdenken, sondern wusste die Antwort darauf sofort: »Ich kann mich an absolut gar nichts erinnern, was in jener Nacht und davor passiert ist. Aber vielleicht können Sie mir mehr darüber sagen. Möglicherweise enthält meine Krankenakte nähere Informationen darüber.«

      Ich glaubte fast zu sehen, wie Dr. Jantzen vor mir zurückwich. Zumindest gedanklich, denn körperlich bewegte er sich keinen einzigen Millimeter. Es war, als würde plötzlich eine dunkle Wolke über ihm schweben und einen Schatten auf sein Gesicht werfen. Aus irgendeinem Grund verschloss er sich meinem Versuch, von ihm Informationen über die Geschehnisse unmittelbar vor meiner Einlieferung in diese Anstalt zu erhalten, und ließ gewissermaßen die geistigen Jalousien herunter.

      »Aus therapeutischen Gesichtspunkten ist es weder förderlich noch vollkommen ungefährlich, diese Thematik bereits in einem so frühen Stadium zu besprechen. Wir werden zu einem späteren Zeitpunkt darüber reden«, sagte der Arzt bestimmt und studierte – wie um jede weitere Diskussion über dieses anscheinend heikle Thema zu unterbinden – demonstrativ seine Gesprächsnotizen.

      Mir wurde klar, dass Dr. Jantzen damit die Befragung abgeschlossen und vorerst alle wesentlichen Informationen für eine erste Diagnose gesammelt hatte. Ich ließ es daher vorerst bleiben, weiter auf dem Thema herumzureiten, das der Arzt partout nicht mit mir besprechen wollte. Stattdessen schwieg ich und wartete gespannt auf sein fachärztliches Urteil. Dabei interessierten mich weniger die medizinischen Details seiner Ausführungen, sondern vor allem die entscheidende Frage, ob und wie die Erinnerungslücke geschlossen oder die fehlenden Erinnerungen wiederhergestellt werden konnten.

      Was immer Dr. Jantzen mir gleich mitteilen würde, würde den Verlauf meines gesamten weiteren Lebens bestimmen. Ich spürte, wie meine innere Anspannung kontinuierlich zunahm. Meine Kehle fühlte sich wieder staubtrocken und kratzig an. Rasch trank ich einen großen Schluck Wasser. Meine Hand zitterte dabei stark, sodass ich, nachdem ich das Glas wieder auf den Tisch gestellt hatte, schnell die Hände in meinem Schoß verbarg und ineinander verschränkte, um sie halbwegs ruhig zu halten.

      Schließlich, als ich das Warten kaum noch ertragen konnte, weil meine Aufregung fast zu groß geworden war, um sie weiterhin unter Kontrolle zu halten, legte Dr. Jantzen seine Notizen zur Seite. Er sah mich mit ernstem Blick an und begann mit gerunzelter Stirn zu sprechen: »Frau Dorn, als vorläufige, erste Beurteilung kann ich Ihnen zum augenblicklichen Zeitpunkt Folgendes mitteilen: Bei dem von Ihnen geschilderten vorherrschenden Störungsbild handelt es sich meiner Meinung nach um eine dissoziative Amnesie. Das ist eine plötzlich auftretende Unfähigkeit, sich an Aspekte seiner persönlichen Lebensgeschichte zu erinnern, wobei dieses Unvermögen in Ihrem Fall Ihr gesamtes bisheriges Leben zu umfassen scheint. Die sogenannte dissoziative Amnesie geht nicht auf die direkte körperliche Wirkung einer Substanz, also beispielsweise eine Droge oder ein Medikament, oder eines neurologischen oder anderen medizinischen Krankheitsfaktors, zum Beispiel aufgrund eines Schädel-Hirn-Traumas, zurück, sondern wird meist durch ein zurückliegendes traumatisches oder besonders belastendes Erlebnis ausgelöst. Man spricht in diesem Zusammenhang auch von psychogener Amnesie, also eine Art von Verdrängung. Bei Ihrer Einlieferung wurden zwar große Mengen einer ganzen Reihe halluzinogener Substanzen in Ihrem Blut festgestellt, meiner Meinung nach wurde der Gedächtnisverlust allerdings nicht durch eine Substanzintoxikation, also einen sogenannten Blackout, hervorgerufen. Gegen diese Ursache spricht nämlich eindeutig, dass Ihr Kurzzeitgedächtnis nicht gleichermaßen gestört ist.«

      »Ist diese … dissoziative Amnesie heilbar?«

      »Eine dissoziative Amnesie ist für gewöhnlich reversibel. Da die Gedächtnisstörung in Ihrem Fall nicht auf eine organische Ursache, also eine tatsächliche Verletzung des Gehirns, zurückzuführen ist, besteht somit eine sehr große Chance auf eine komplette Wiederentdeckung oder Wiederherstellung der betroffenen Erinnerungen. Die Gedächtnisstörung kann dabei durchaus kurzlebig sein und spontan abklingen, insbesondere können die Erinnerungen in Situationen, die eine starke Ähnlichkeit mit den unterdrückten Erlebnissen haben, plötzlich wieder auftauchen, oft auch nur bruchstückhaft, was nicht selten zu Verwirrung und enormen Ängsten führt. Normalerweise ist eine dissoziative Amnesie aber – vor allem in einem schwerwiegenden Fall wie Ihrem – langwierig und erfordert eine mehrjährige

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