DAS BUCH ANDRAS I. Eberhard Weidner

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DAS BUCH ANDRAS I - Eberhard Weidner DAS BUCH ANDRAS

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      »Frau Dorn. Ich bin Dr. Stefan Jantzen, Facharzt sowohl für Neurologie und Psychiatrie als auch für psychosomatische Medizin und Psychotherapie. Gleichzeitig bin ich der Leiter dieser Abteilung des psychiatrischen Privatsanatoriums Dr. Straub.«

      Ich war mir sicher, dass Dr. Jantzen diesen kleinen Vortrag über seine Qualifikationen jedem seiner Patienten hielt, dennoch leierte er die Worte nicht einfach herunter, sondern sprach ernst und eindringlich mit mir, als wären die beiden Sätze für mich von existenzieller Bedeutung. Und ich hörte ihm auch ebenso aufmerksam zu, denn in meiner gegenwärtigen Situation war ich für jeden Fetzen an Information dankbar, der mir dabei half, das gefräßige schwarze Loch in meinem Schädel wieder aufzufüllen. Was Dr. Jantzen mir bis jetzt gesagt hatte, waren zwar nur allgemeine Informationen über seine eigene Person, seine Funktion und meinen Aufenthaltsort, doch ich hoffte, dass im Laufe unserer Unterredung auch Informationen über mich folgen würden. Gegebenenfalls musste ich den Arzt gezielt danach fragen, doch ich hatte das Gefühl, dass der richtige Zeitpunkt dafür noch nicht gekommen war. Also hielt ich mich zurück und übte mich weiterhin in Geduld.

      Dr. Jantzen blätterte kurz in der Akte, als würde er nach bestimmten Informationen suchen, und fuhr dann fort: »Sie wurden vor vier Tagen, am frühen Sonntagmorgen um 4:38 Uhr eingeliefert, nachdem man Sie in einem verwirrten und aggressiven Zustand aufgegriffen hatte. Auch nach der Aufnahme durch den diensthabenden Arzt verhielten Sie sich weiterhin äußerst aggressiv und griffen jeden an, der Ihnen zu nahe kam. Aus diesem Grund wurden Sie medikamentös ruhiggestellt und überwacht. Danach erfolgte die ärztliche Aufnahmeuntersuchung. Sie waren körperlich unversehrt, in Ihrem Blut wurde jedoch eine starke Konzentration verschiedener halluzinogen wirkender Substanzen festgestellt. Sie konnten weder Ihren Namen nennen, noch waren Sie in der Lage, auf einfachste Fragen zu antworten. Der diensthabende Arzt schrieb in den Aufnahmebogen, dass Sie sich wie ein wildes Tier gebärdeten. Sie knurrten und schrien unartikuliert, schlugen um sich, kratzten und bissen sogar zu. Ein Pfleger und eine Schwester mussten wegen Bissverletzungen, die Sie ihnen zugefügt haben, sogar ärztlich behandelt werden. In dieser Hinsicht kann ich Sie allerdings beruhigen, denn es handelte sich um keine schwerwiegenden Verletzungen.«

      Dr. Jantzen machte eine Pause und sah mich durch die Gläser seiner Brille konzentriert an, als wollte er seine bisherigen, teilweise durchaus schockierenden Äußerungen auf mich einwirken lassen und vor allem meine Reaktion darauf sehen.

      Meine Reaktion auf seine Worte war jedoch eher zwiespältig. Einerseits schockierte es mich natürlich, zu hören, dass ich mich wie ein Tier verhalten und zwei Menschen verletzt hatte. All das tat mir leid, und ich beschloss, mich bei den Betroffenen bei nächster Gelegenheit zu entschuldigen. Andererseits hatte ich aber keinerlei eigene Erinnerungen an diese Geschehnisse, sodass für mich eine unmittelbare Verbindung zwischen den geschilderten Ereignissen und mir fehlte. Es fühlte sich aus diesem Grund eher so an, als wäre all dies nicht mir, sondern einer anderen Person widerfahren. Statt Scham empfand ich daher eher ein starkes Gefühl der Depersonalisation.

      »Während Ihres viertägigen Aufenthalts im Beruhigungsraum haben wir durch die richtige Dosierung des Beruhigungsmittels dafür gesorgt, dass Sie dreimal pro Tag zu sich kamen«, fuhr der Arzt fort. »Einerseits dienten diese Wachphasen dazu, Sie zu füttern und zur Toilette zu bringen, andererseits wollten wir natürlich überprüfen, ob sich Ihr Zustand verbessert hatte. Leider waren Sie aber bis heute kein einziges Mal ansprechbar. Ihr psychischer Zustand schien sich nach Ihrer Einlieferung nicht zum Besseren zu verändern. Wir waren daher gezwungen – zu Ihrem eigenen Schutz und dem unseres Personals –, Sie immer wieder in einen künstlichen Schlaf zu versetzen, und hofften, dass sich Ihr Zustand beim nächsten Erwachen wesentlich verbessert hatte. Dies war heute endlich der Fall. Nachdem Sie erwacht waren, stellte das Überwachungspersonal, das Sie mithilfe der Kamera im Beruhigungsraum ständig unter Beobachtung hielt, fest, dass Sie zum ersten Mal bewusst auf Ihre Umgebung reagierten. Ich wurde daher umgehend informiert und schickte Gabriel zu Ihnen, um Sie zu mir bringen zu lassen. Der Rest ist Ihnen bekannt.«

      »Ja.«

      »Wie geht es Ihnen jetzt? Haben Sie noch irgendwelche Beschwerden?«

      Für den Moment drängte ich meine eigenen Fragen in den Hintergrund meines Bewusstseins, wo sie sich wahrscheinlich weiterhin fröhlich und ungebremst vermehrten, während ich nicht auf sie achtete, und konzentrierte mich stattdessen zunächst auf das, was der Arzt von mir wissen wollte.

      »Ich hatte nach dem Aufwachen einen ausgetrockneten Mund und leichte Kopfschmerzen«, informierte ich ihn, wie ich es bereits Gabriel gegenüber getan hatte. »Gabriel brachte mir freundlicherweise dieses Glas Wasser und eine Kopfschmerztablette. Beides hat geholfen, meine Beschwerden zu lindern. Die Kopfschmerzen sind inzwischen kaum noch zu spüren. Aber …«

      »Aber …«, bohrte Dr. Jantzen sofort nach, nachdem ich verstummt war. Wahrscheinlich gehörte es zu seinem Beruf, beim kleinsten Zögern sofort unnachgiebig nachzuhaken und alles ans Licht des Tages zu zerren, was seine Patienten ansonsten nur widerstrebend von sich gaben.

      »Ich … kann mich an … an nichts … äh, erinnern«, sprach ich mein größtes Problem schließlich stotternd aus und sah Dr. Jantzen hilflos an, weil mir in diesem Augenblick die richtigen Worte fehlten, um das ganze Ausmaß meines inneren Zustands angemessen zu beschreiben.

      Doch anstatt mir mit Worten eine Art akustischer Hilfestellung zu geben, wartete er einfach schweigend ab, was ich noch aus eigenem Antrieb von mir geben würde. Unter Umständen wollte er meine Aussagen nicht beeinflussen oder unbewusst in eine falsche Richtung lenken.

      Ich schluckte, versuchte, mir in Gedanken die passenden Worte zurechtzulegen, und fuhr dann, immer noch stockend, fort: »Ich meine, … alles, was mich selbst betrifft, … meine Vergangenheit, mein Leben, ja, sogar mein Name …, das ist alles weg. Wie ausgelöscht, gewissermaßen wegradiert.« Wie zur Verdeutlichung meiner Erklärungen – irgendwie hatte ich wohl das Gefühl, es bedurfte einer solchen, da mir meine eigenen Worte absolut unzulänglich erschienen, um das Ausmaß der Leere in meinem Verstand auch nur annähernd anschaulich zu machen – klopfte ich mir mit den Handflächen mehrmals leicht von beiden Seiten gegen die Schläfen.

      Dr. Jantzen nickte verständnisvoll, als könnte er nachempfinden, wie mir im Augenblick zumute war, was ich jedoch stark bezweifelte, und vollführte mit der linken Hand eine besänftigende Geste. »Beruhigen Sie sich bitte, Frau Dorn. Ich kann mir gut vorstellen, wie Sie sich im Moment fühlen, glauben Sie mir. Aber zunächst möchte ich Ihnen einige Fragen stellen, um das genaue Ausmaß Ihres Gedächtnisverlustes festzustellen. Sind Sie damit einverstanden?«

      Ich nickte knapp. Im Grunde war ich mit allem einverstanden, wenn es mir dabei half, den Verlust meiner Erinnerungen wieder rückgängig zu machen.

      »Gut. Dann lassen Sie uns anfangen.« Dr. Jantzen zog ein unbeschriebenes Blatt Papier aus der Akte und machte den Kugelschreiber schreibbereit, den er schon die ganze Zeit in der Hand gehalten hatte. »Umfasst Ihre Erinnerungslücke ausnahmslos Aspekte Ihrer persönlichen Lebensgeschichte?«

      Ich nickte, ohne lange darüber nachdenken zu müssen. »Soweit ich das feststellen konnte, ist es so.«

      Der Arzt schrieb ein paar selbst aus der Ferne krakelig erscheinende Worte auf das Blatt und stellte währenddessen schon die nächste Frage: »Sie können allgemeine Informationen, die Sie im Verlauf Ihres bisherigen Lebens gesammelt haben, also bei Bedarf problemlos abrufen und nutzen?«

      »Ja. Genauso ist es! Ich habe es selbst schon überprüft. Fremdsprachen, mathematische Berechnungen, geschichtliche Personen und Ereignisse, an vieles aus diesen und anderen Bereichen kann ich mich problemlos erinnern. Allerdings kann ich mich nicht daran erinnern, woher ich bestimmte Kenntnisse habe. Ich kann also nicht sagen, was ich beispielsweise in der Schule gelernt habe oder auf andere

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