DAS BUCH ANDRAS I. Eberhard Weidner

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DAS BUCH ANDRAS I - Eberhard Weidner DAS BUCH ANDRAS

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als wäre ich erst in diesem Moment zu ihnen gestoßen, und sah mir dabei zum ersten Mal überhaupt direkt ins Gesicht. Er lächelte jedoch nicht und zeigte mit Ausnahme seiner versöhnlichen Worte auch sonst keine Spur von Freundlichkeit, sondern behielt seinen bisherigen unbeteiligten, fast schon leblosen Gesichtsausdruck bei. Lediglich seine schiefergrauen Augen erwachten in diesem Moment zum Leben und funkelten mich, wie ich meinte, mit einem zornigen, ja geradezu hasserfüllten Aufblitzen an. Doch er wandte zu schnell den Blick wieder ab und richtete ihn stattdessen auf das dicke Aktenbündel, das er aus seiner Aktentasche geholt und vor sich auf die Tischplatte gelegt hatte, als dass ich mir sicher sein konnte, ob ich mir die Wut oder den Hass in seinem Blick nicht nur eingebildet hatte. Warum sollte er mir auch derartige negative Gefühle entgegenbringen? Schließlich kannten wir uns nicht – zumindest nahm ich das an. Außerdem war er nur ein Kriminalbeamter, der beruflich mit meinem Fall zu tun hatte und nicht selbst betroffen war. Andernfalls wäre ihm dieser Fall auch nicht zugeteilt worden. Wobei ich mir natürlich in erster Linie die Frage stellte, warum die Kripo überhaupt Ermittlungen anstellte. Aber das würde ich wohl alsbald erfahren.

      Ich ersparte mir eine Erwiderung seines Grußes und wartete stumm ab, dass er fortfahren würde. Eine kleine, wenn auch kindische Solidaritätsgeste gegenüber Dr. Jantzen.

      In meinen Augen wirkte der Kommissar beinahe schon zu alt für den aktiven Polizeidienst und stand möglicherweise kurz vor der Pensionierung. Er besaß einen extrem kurz geschnittenen, strahlend weißen Haarkranz, der wie die Tonsur eines Mönchs ein kreisrundes, glänzendes und mit zahlreichen Leberflecken gesprenkeltes Fleckchen Kopfhaut umrahmte. Darüber hinaus hatte er einen schmalen, sehr knochig wirkenden Körperbau und an die Krallen eines Raubvogels erinnernde faltige Hände mit langen, schmalen Fingern. Zu dem insgesamt bereits sehr vogelartigen Eindruck passte seine Nase, die wie der Schnabel eines Geiers hervorstand, sein Gesicht dominierte und ihm zusammen mit den kalt wirkenden grauen Augen das Aussehen eines grimmigen Scharfrichters oder Inquisitors verlieh.

      Mein Mut, den ich zum größten Teil der tröstlichen Gegenwart von Gabriel und Dr. Jantzen verdankte, verließ mich bei dieser ungewollten Assoziation dann doch beinahe, und so senkte ich rasch den Blick und richtete ihn auf meine Hände, die ich wieder in meinen Schoß gelegt hatte und nervös aneinanderrieb, als wären sie eiskalt und müssten durch Reibungsenergie aufgewärmt werden. Doch eigentlich war das Gegenteil der Fall. Allmählich wurde es mir unangenehm warm, und ich spürte, dass mir erneut der Schweiß ausbrach. Gern hätte ich in diesem Moment etwas getrunken, doch das Glas vor mir war mittlerweile leer. Ich hätte natürlich Gabriel bitten können, mir noch etwas frisches Wasser zu bringen, doch es war mir lieber, seine beruhigende Gegenwart in meiner unmittelbaren Nähe zu wissen. Ich kannte den Pfleger zwar kaum und das auch erst seit kurzer Zeit, hatte aber schon begonnen, ihm mein Vertrauen zu schenken. Von allen Anwesenden in diesem Raum, so glaubte ich, hatte Gabriel noch am ehesten mein Wohl im Auge. Allerdings würde auch er nichts gegen einen richterlichen Beschluss oder ein anderes amtliches Schriftstück ausrichten können.

      »Frau Dorn«, sprach mich der Kriminalbeamte nach einer kurzen Pause erneut an, worauf ich unwillkürlich den Blick hob. Gehrmann sah jedoch weiterhin in seine Akte, als hätte er dort die wesentlichen Stichpunkte seiner Ausführungen skizziert und benötigte diese als Gedächtnisstütze.

      Vielleicht will er dadurch, dass er den Blick von mir abgewandt hält, aber auch vermeiden, dass ich in seinen Augen seine wahren Gefühle erkennen kann, durchzuckte mich ein überraschender Gedanke. Schließlich konnte ich schon einmal den Hass in seinen Augen sehen. Aber war ich mir da überhaupt sicher? Rasch verwarf ich diesen absurden Einfall wieder, bevor er in meinem Verstand Wurzeln schlagen und wachsen konnte, so unwahrscheinlich erschien er mir.

      »Mir ist natürlich vollauf bewusst«, fuhr Hauptkommissar Gehrmann fort, »dass Sie durch die zurückliegenden Ereignisse vermutlich noch immer unter Schock stehen. Und da Sie, wie man mir mitteilte, erst vor wenigen Stunden wieder zu Bewusstsein kamen, hatten Sie vermutlich auch noch keine Zeit, die Vorfälle gedanklich zu verarbeiten und die Zusammenhänge vollständig zu begreifen. Auch wenn mich Dr. Jantzen für gefühllos und diese Befragung für reine Schikane und eine Gefahr für den Therapieerfolg halten mag, so kann ich Ihnen versichern, dass sie zum gegenwärtigen Zeitpunkt absolut notwendig ist. Ich versuche zwar, sie so behutsam und schonend wie möglich durchzuführen. Aber angesichts der unabänderlichen Tatsache, dass seit den Morden bereits annähernd fünf Tage verstrichen sind, ohne dass die ermittelnden Behörden in der Lage waren, die einzige bekannte Augenzeugin zu befragen, ist ein weiteres Zuwarten in meinen Augen und im Übrigen auch in denen der zuständigen Staatsanwältin, wie ich hinzufügen möchte, nicht länger zu verantworten.«

      Er verstummte und blickte nun doch überrascht von seinen Papieren auf, da er die widersprüchlichen Reaktionen von Dr. Jantzen und mir auf seine Worte natürlich, wenn auch verzögert mitbekommen haben musste.

      Dr. Jantzen hatte eine Verwünschung gemurmelt. Die Tatsache, dass der Facharzt für jegliches Psychozeug überhaupt in der Lage war, derartige Flüche auszustoßen, schockierte mich dabei nur unwesentlich weniger als der Umstand, dass es hier allem Anschein nach um eine Mordermittlung ging. Und zwar augenscheinlich nicht nur um einen einzelnen Mord, denn der Kriminalbeamte hatte die Mehrzahl verwendet. Ich hatte daher, während Dr. Jantzens Worte noch in der Luft hingen, überrascht nach Luft geschnappt wie ein Fisch, der sich plötzlich an Land wiederfindet, und die Hand vor den Mund geschlagen, um zu verhindern, dass sich ein Aufschrei des Entsetzens Bahn brach, denn mit einem Mal schienen meine furchtbarsten Schreckensvisionen, die ich kurz zuvor noch als unrealistisch betrachtet hatte, wahr geworden zu sein.

      Mit geweiteten Augen, in denen sein Unverständnis deutlich zu lesen war, sah Hauptkommissar Gehrmann erst mich und dann den Arzt an. »Was hat das zu bedeuten, Dr. Jantzen?«

      Bevor der Doktor ihm eine Antwort gab, sah er zunächst zu mir und fragte, ob mit mir alles in Ordnung sei. Ich gab ihm durch ein kurzes Nicken zu verstehen, dass es mir gut ging. Erst dann wandte sich Dr. Jantzen an den Polizisten und gab ihm eine Erklärung. »Frau Dorn hat durch die traumatischen Umstände, deren Zeugin sie wurde, eine dissoziative Amnesie erlitten.«

      »Amnesie?«, wiederholte der Beamte in fragendem Tonfall den Begriff, der es von allen Fachausdrücken, die Dr. Jantzen benutzt hatte, noch am ehestens geschafft hatte, von Gehrmann verstanden worden zu sein. »Sie meinen, Frau Dorn kann sich an nichts erinnern?«

      »Genau so ist es. Frau Dorn ist im Augenblick überhaupt nicht in der Lage, sich an die belastenden Ereignisse oder irgendein anderes autobiografisches Detail ihres Lebens zu erinnern. Der Versuch einer Befragung über Dinge aus ihrer Vergangenheit ist daher absolut unnütz. Das hätte ich Ihnen natürlich auch vorher sagen können, wenn Sie mir Gelegenheit dazu gegeben hätten. So haben wir nur kostbare Zeit vergeudet.«

      Ich konnte sehen, dass der Polizist sich bemühte, diese neuen Informationen zu verdauen. »Und Sie können mit hundertprozentiger Sicherheit ausschließen, dass Frau Dorn diesen … diesen Gedächtnisverlust nicht nur simuliert?«, fragte er dann den Arzt, als wäre ich überhaupt nicht anwesend.

      Ich schnaubte entrüstet angesichts dieses empörenden Vorwurfs, doch der Kriminalbeamte beachtete mich gar nicht. Lediglich Dr. Jantzen warf mir einen kurzen besänftigenden Blick zu, bevor er seine Aufmerksamkeit wieder auf Hauptkommissar Gehrmann richtete. »Natürlich kann ich mir über so etwas nicht hundertprozentig sicher sein, schließlich kann ich ebenso wenig wie Sie in Frau Dorns Kopf hineinsehen. Es ist schlichtweg unmöglich, eine dissoziative Amnesie eindeutig von einem simulierten Gedächtnisverlust zu unterscheiden. Dazu liegen bisher weder Untersuchungsmethoden noch Vorgehensweisen vor. Zwar weisen Patienten mit dissoziativer Amnesie im Gegensatz zu Simulanten grundsätzlich eine deutlich höhere Hypnotisierbarkeit auf, allerdings stehen wir erst am Anfang der Heilbehandlung. Wenn Sie allerdings meine persönliche Meinung als behandelnder Facharzt dazu hören wollen, dann kann ich Ihnen sagen, dass ich im Augenblick davon ausgehe, dass Frau Dorn keineswegs simuliert, sondern tatsächlich große

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