DAS BUCH ANDRAS I. Eberhard Weidner

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DAS BUCH ANDRAS I - Eberhard Weidner DAS BUCH ANDRAS

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hatten, und waren durch zahlreiche, äußerst brutale Messerstiche getötet worden.

      Auf einem schwarzen Altarstein im Zentrum des Raumes wurde darüber hinaus eine erhebliche Menge Blut gefunden, das sich jedoch keinem der beiden Leichname zuordnen ließ. Da Sie selbst, Frau Dorn, körperlich unversehrt waren, kann es sich somit nur um das Blut einer vierten, bislang noch unbekannten Person handeln. Wir gehen daher davon aus, dass es von Ihrem Bruder Andras Dorn stammt, dessen Kleidung und Ausweispapiere in der Nähe des Tatorts gefunden wurden. Ein Vergleich mit einer Probe Ihres Blutes sowie ein DNA-Test, um diesen Punkt endgültig abzuklären, stehen noch aus und werden demnächst durchgeführt, sofern Sie Ihr Einverständnis zu einer Blutentnahme und einer Speichelprobe erklären.

      Nachdem die Streifenbeamten vor Ort die Leichen gefunden hatten, informierten sie unverzüglich den Kriminaldauerdienst. Das ist der Bereitschaftsdienst der Kriminalpolizei, der als Bindeglied zwischen den Streifenbesatzungen vor Ort und den Fachkommissariaten dient. Da im Keller des Hauses Kleidung und Ausweise von Ihnen und Ihrem Bruder gefunden wurden, wurde sofort die nähere Umgebung der Villa abgesucht. Diese Maßnahme blieb aber vorerst ohne Erfolg.

      Erst mehr als drei Stunden nach Eingang des Notrufs wurden Sie von einer Streife auf dem Westfriedhof aufgegriffen, nachdem ein vorbeikommender Autofahrer die Polizei benachrichtigt und hysterisch gemeldet hatte, der Geist einer nackten, blutüberströmten Frau würde zwischen den Gräbern des Friedhofs herumspuken. Wie sich herausstellte, waren Sie tatsächlich nackt und mit Blut bespritzt. Es handelte sich jedoch nicht um Ihr eigenes Blut, da Sie, wie bereits erwähnt, zumindest körperlich unversehrt waren, sondern war mit dem Blut auf dem Altarstein identisch. In Ihrer linken Hand hielten Sie zudem eine Art Ritualdolch mit schwarzem Griff und blutverschmierter Klinge.

      Sie ließen sich von den Beamten widerstandslos das Messer abnehmen, eine Decke überstreifen und in den Streifenwagen bringen. Nachdem durch den zuständigen Ermittlungsrichter rasch entschieden wurde, dass Sie aufgrund Ihres bedenklichen psychischen Zustands in das Privatsanatorium Dr. Straub gebracht werden sollten, fuhren die Kollegen mit Ihnen an diesen Ort. Erst nach Ihrer Einlieferung begannen Sie damit, zu toben und ein höchst aggressives Verhalten an den Tag zu legen. Daraufhin wurden Sie mit Beruhigungsmitteln behandelt und waren während der letzten Tage leider nicht ansprechbar, was jegliche Möglichkeit einer Befragung ausschloss.

      Das sind im Wesentlichen die Fakten, die in den Ermittlungsakten enthalten sind und die ich Ihnen daher nennen kann.«

      Nachdem der Kriminalbeamte seinen Bericht abgeschlossen hatte, herrschte für mehrere Sekunden nahezu atemlose Stille im Raum. Alles, was ich hören konnte, waren mein eigener Herzschlag und das Rauschen des Blutes in meinen Adern.

      Dr. Jantzen hatte mich die ganze Zeit über sehr aufmerksam beobachtet und sich gelegentlich Notizen gemacht. Der Hauptkommissar hatte hingegen nahezu ständig nach unten auf die Ermittlungsakte gestarrt und mir nur ab und zu einen kurzen Blick zugeworfen, als hätte er zwischendurch immer wieder überprüfen wollen, ob ich auf seine Worte in irgendeiner äußerlich erkennbaren Form reagierte.

      Meine Reaktion auf die Schilderung des Polizisten enttäuschte mich selbst jedoch am allermeisten, denn es gab keine.

      Im Grunde war ich auf nahezu alles, was meiner Ansicht nach geschehen konnte, gefasst gewesen. Dass möglicherweise eine Flut meiner wiedergewonnenen Erinnerungen mein Bewusstsein unter sich begraben würde. Dass nur einzelne, selektive Erinnerungen an die Geschehnisse dieser Nacht, ausgelöst durch die Worte des Kriminalbeamten, an der Oberfläche meines Verstandes auftauchen würden wie Gasblasen in einem Sumpf. Oder auch, dass das schwarze Loch in meinem Gedächtnis einfach verschwinden würde, als hätte es nie existiert, und all meine verlorenen Erinnerungen an seiner Stelle wieder auftauchen würden, jetzt und zukünftig jederzeit problemlos von mir abrufbar.

      Für all diese erhofften Alternativen und sogar noch einige mehr, die ich mir gar nicht so genau ausgemalt hatte, war ich innerlich gewappnet gewesen. Mein ganzer Körper hatte sich zu Beginn des Berichts verkrampft, sodass es wehgetan hatte, und sämtliche Muskeln hatten sich vor Anspannung gestrafft, bis sogar die Hände in meinem Schoß nahezu unlösbar ineinander verkrallt gewesen waren. Doch allmählich, mit jedem weiteren Satz des Hauptkommissars, hatte ich mich wieder entspannt. Und die Verkrampfung war allmählich aus meiner Muskulatur gewichen, als jegliche psychische Reaktion auf seine Worte ausgeblieben und mir immer bewusster geworden war, dass auch keine solche erfolgen würde. Stattdessen hatte sich nach und nach in meinem Innern eine entsetzliche Leere ausgebreitet, verursacht durch die maßlose Enttäuschung über diesen erneuten Misserfolg.

      Das lag nicht nur daran, dass die Worte des Kriminalbeamten keine eigenen Erinnerungen in meinem Bewusstsein zutage gefördert hatten, wie ich insgeheim natürlich gehofft hatte, sondern auch daran, dass sie mich nicht einmal sonderlich berührt hatten. Es kam mir die ganze Zeit eher so vor, als würde der Polizist über das Leben mir vollkommen fremder Menschen sprechen, gewissermaßen eine Märchenerzählung mit fiktionalen Charakteren. Weder die Erwähnung der Leichen meiner Eltern noch die Tatsache, dass mein Bruder ebenfalls viel Blut am Tatort verloren haben musste, schienen mir viel zu bedeuten oder auch nur nahezugehen. Ich kam mir deshalb vor wie ein Monster oder Psychopath, der überhaupt nicht in der Lage ist, Gefühle für die Menschen um ihn herum zu entwickeln, selbst wenn es seine eigenen Angehörigen waren. Doch das, versuchte ich mich zu trösten, konnte auch daran liegen, dass ich keinerlei eigene Erinnerungen an diese Menschen hatte. Die spärlichen Informationen, die ich über sie besaß, stammten nicht aus meinem Innern, sondern allesamt aus dem Munde Dritter. Es war daher auch nur logisch, dass ohne jeglichen inneren Bezug keine emotionale Bindung zu ihnen entstehen konnte, die in mir Trauer, Wut, Entsetzen oder ähnliche tiefgehende Gefühle über ihre Schicksale auslösen konnten.

      Meine grenzenlose Enttäuschung musste auch auf meinem Gesicht deutlich abzulesen sein, denn Dr. Jantzen sagte: »Es tut mir wirklich leid, dass es nicht die von Ihnen erhoffte Wirkung hatte, Frau Dorn.«

      Ich blickte ihn an, um zu sehen, ob er insgeheim vielleicht sogar erleichtert über diesen Misserfolg oder ebenfalls enttäuscht war, doch seiner Miene war nicht das Geringste über seine wahren Gefühle abzulesen. Allenfalls eine Spur von Anteilnahme konnte ich darin sehen.

      »Wenn meine Worte nicht ausgereicht haben«, meldete sich in diesem Moment Hauptkommissar Gehrmann zu Wort, »dann können Sie sich gerne ein paar Lichtbilder ansehen, Frau Dorn. Vielleicht hilft es Ihrem Gedächtnis auf die Sprünge, wenn Sie den Tatort mit eigenen Augen sehen.«

      Für einen Augenblick stockte mir der Atem bei dieser unerwarteten Entwicklung. Ich schöpfte sogleich neuen Mut und stieß die angehaltene Luft aus. »Sie haben Fotos dabei?«

      Der Kriminalbeamte nickte, ohne mich anzusehen, und blätterte in seiner Akte bis zum Ende. »Es gibt auch eine Videoaufnahme vom Tatort, aber die habe ich natürlich nicht bei mir.« Er nahm einen braunen Umschlag mit dem Aufdruck Lichtbilder aus dem Hefter, öffnete die Klappe und schüttelte einen schmalen Stapel Fotografien heraus.

      Als sich Gehrmann von seinem Stuhl erheben wollte, um mir die Fotos zu bringen, sie mir eventuell sogar einzeln vorzulegen und jedes auch noch zu kommentieren, kam ihm Dr. Jantzen zuvor. Er nahm dem Polizisten den Stapel ab und kam damit zu mir. Der Beamte zuckte mit den Schultern und beobachtete dann aufmerksam den Arzt, als dieser sich auf einen Stuhl in meiner unmittelbaren Nähe setzte.

      Dr. Jantzen schien seinen Widerstand gegen eine Konfrontation mit dem Tatort und damit auch mit den das Trauma auslösenden Ereignissen komplett aufgegeben zu haben und sich zwischenzeitlich sogar mir einem weiteren Versuch angefreundet zu haben, meine Erinnerungen mithilfe der Lichtbilder aufzufrischen. Vielleicht hatten ihm die bisherigen Misserfolge aber auch deutlich gemacht, dass die Gefahr einer Retraumatisierung nicht so groß war, wie er anfangs befürchtet hatte.

      Bevor Dr. Jantzen die Fotografien Stück für Stück

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